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Nach der Eishockey-WM reicht es lettischen Fans nur noch für Suppe

epa10641799 Latvia's supporters cheer during the preliminary round group B match between Kazakhstan and Latvia at the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 in Arena Riga, Latvia, 20 May 2023. E ...
Ein Tscheche unterstützt die Heimfans an der WM in Lettland gegen Kasachstan.Bild: keystone

Nach der Eishockey-WM reicht es lettischen Fans nur noch für Suppe

Gegen Ende der zweiten Woche kommt die Eishockey-WM in Riga endlich in Fahrt. Doch die Menschen in Lettlands Hauptstadt haben andere Sorgen. Das gilt auch für den Sport.
22.05.2023, 17:3922.05.2023, 17:39
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Auf den ersten Blick könnte man sich fast wie in der Ukraine fühlen. An jeder Tür eines Trams oder Stadtbusses klebt unübersehbar eine ukrainische Flagge, vor jedem öffentlichen Gebäude weht die ukrainische Fahne. Blau-Gelb ist fast öfter zu sehen als das lettische Weinrot. Wären da nicht die Eishockey-Fans.

Die ganz grosse Euphorie gibt es allerdings nicht. Die echten Farbtupfer in der Stadt sind die bunt gekleideten Fans aus der Slowakei, Tschechien und der Schweiz.

Czech fans holding flag with writing WORLD PEACE AND FREE BEER FOR ALL during the IIHF Ice hockey, Eishockey World Championship, WM, Weltmeisterschaft Group B match Czech Republic vs Slovenia in Riga, ...
Da sage noch einer, Hockey-Fans gehe es nur ums Saufen.Bild: www.imago-images.de

Langsam nimmt die Begeisterung zwar zu, auch weil die Letten nach zwei Niederlagen zum Start nun viermal in Folge gewonnen haben und am Dienstagabend gegen die Schweiz um den erstmaligen Einzug in die WM-Viertelfinals seit 2018 spielen.

Zu teuer für den normalen Letten

Ein Grund für die enttäuschenden Zuschauerzahlen sind die Ticketpreise. 48 Euro kosten die schlechtesten Plätze, unter 89 Euro pro Spiel geht es kaum. In einem der ärmsten Länder der EU mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 1200 Euro, das wirtschaftlich stark unter den Verwerfungen durch Corona und den Krieg in der Ukraine leidet, sind das horrende Preise.

«Was bezahlst du», fragt der lettische Lausanne-Stürmer Ronalds Kenins. «Essen oder Wohnung? Wenn eine Familie mit zwei Kindern zur WM kommen will, kann sie danach einen Monat nur noch chinesische Suppe essen.»

Die Viertelfinal-Qualifikation wäre lediglich eine Momentaufnahme. Der Krieg in der Ukraine hat das eng mit Russland verflochtene Land in eine Krise gestürzt. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg strömten viele Menschen aus dem Rest der Sowjetunion in den baltischen Staat, zwischen 1945 und dem Kollaps des kommunistischen Staatengebildes stieg die Bevölkerung von 1,8 auf fast 2,7 Millionen an, Russisch wurde die dominierende Sprache.

The Monument of Freedom is illuminated with the colors of the Ukrainian national flag to mark the one-year anniversary of Russia's invasion of the country, in Riga, Latvia, Friday, Feb. 24, 2023. ...
Am Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine leuchtete das Wahrzeichen Rigas in Blau und Gelb.Bild: keystone

Mit der Unabhängigkeit 1991 kehrten die Machtverhältnisse wieder radikal. Wer nicht Lettisch sprach, wurde nicht Bürger des neuen Staates. Auch heute noch spricht über ein Drittel der Einwohner Lettlands zuhause Russisch, aus dem Strassenbild Rigas sind die kyrillischen Schriftzeichen aber komplett verschwunden. Mittlerweile ist die Bevölkerungszahl wieder auf den Stand von 1945 gesunken. Manche Russen kehrten dem Land den Rücken, viele gut ausgebildete Junge suchten ihr Glück in der EU.

Folgenschwerer Bruch mit Russland

Dennoch blieben die Verbindungen zu Russland gerade im Eishockey eng. Als die «Sbornaja» 2014 ihren bislang letzten WM-Titel feierte, standen mit Olegs Znaroks und Harijs Witolinsch zwei ehemalige lettische Nationalspieler an der Trainerbande. Dinamo Riga spielte seit deren Gründung 2008 in der Kontinental Hockey League (KHL). Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist dies nicht mehr möglich. Lettland gehört gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu den grössten Unterstützern der Ukraine.

Der Bruch mit der einstigen Kolonialmacht hat drastische Folgen für das Eishockey. Das Niveau der heimischen, halbprofessionellen Liga ist bescheiden, die Spieler, die konnten, wechselten ins Ausland.

Noch schlechter sieht es beim Nachwuchs aus. «Bis zur Stufe der 14-Jährigen ist das Niveau sehr gut», betont Nationaltrainer Witolinsch, der als Spieler und Trainer unter anderem in Chur, Rapperswil-Jona und Davos aktiv war und seither in der Schweiz wohnt. «Aber danach haben wir keine gute eigene Meisterschaft mehr.»

Keine Ausbildung in der Schweiz mehr

Während vieler Jahre kamen deshalb junge lettische Spieler zur Ausbildung in die Schweiz. Nach fünf Jahren in Nachwuchsmannschaften galt man als Lizenz-Schweizer und belastete das Ausländerkontingent in der National oder Swiss League nicht. Vom aktuellen lettischen WM-Kader sind mit Kenins und Goalie Ivars Punnenovs (beide Lausanne), Deniss Smirnovs (Kloten) und Toms Andersons (La Chaux-de-Fonds) gleich vier Spieler diesen Weg gegangen.

Latvia's forward Deniss Smirnovs #73, Latvia's forward Ronalds Kenins #91 and Latvia's forward Toms Andersons #22, look their teammates, during the IIHF 2023 World Championship prelimin ...
«Schweizer Trio» bei Lettland: Smirnovs, Kenins und Andersons (von links).Bild: keystone

Im Zuge der Erhöhung der Ausländerplätze fällt diese Regelung aber in drei Jahren. Für die Letten fällt damit ein Weg zur Ausbildung im Ausland weg. Aktuell bemüht man sich um eine vermehrte Zusammenarbeit mit Finnland, je ein Aktiv- und Juniorenteam konnten die letzte Saison in dortigen Ligen absolvieren. Was wäre die ideale Lösung? Kenins lacht und sagt: «Ihr fragt mich, wie wenn ich ein Politiker wäre.»

Einfacher ist die Ausgangslage für das Spiel vom Dienstagabend (19.20 Uhr Schweizer Zeit). Während das Schweizer Team als Gruppensieger feststeht und es sportlich um nichts mehr geht, braucht Lettland voraussichtlich einen Punkt für die Viertelfinals. Ein spezielles Spiel ist es sowieso: «Ich bin schon länger in der Schweiz als in Lettland», stellt der 29-jährige Toms Andersons fest. (ram/sda)

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4 Kommentare
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Wöufu
22.05.2023 19:07registriert Dezember 2020
Ich war schon ein paar mal in Lettland und kann es nur empfehlen. Das Land ist wunderschön und die Natur der Hammer.
Eine Kanutour auf der Düna z.B. ist sehr zu empfehlen.
So freundliche und gastfreundliche Menschen trifft man selten.
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Perking
22.05.2023 19:34registriert Oktober 2020
, das wirtschaftlich stark unter den Verwerfungen durch Corona und den Krieg in der Ukraine leide

Inflation sagt man dem in nicht-schönfärberisch. Für die Letten hoffe ich auf ein sehr baldiges Ende des Ukrainekonflikts. Ein wunderschönes Land übrigens, ist eine Reise wert
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