Im Sommer drehte sich in der Schweizer Sportwelt plötzlich alles um die Frauen. Die Fussball-Europameisterschaft begeisterte das Land und verschaffte den Problemen, die sich den Athletinnen stellen, zusätzliche Aufmerksamkeit.
Die fehlenden Strukturen, zum Beispiel, besonders im Nachwuchs, wo es zu wenig Trainerinnen, zu wenig Schiedsrichter und zu wenig Trainingsmöglichkeiten gibt. Auch dank des Schwungs des Heim-Turniers versprachen Politik und der Schweizerische Fussballverband, sich diesen Problemen anzunehmen. Zudem löste die EM bei den Fans eine zuvor nie dagewesene Euphorie mit Rekord-Fanmärschen und -Zuschauerzahlen aus. Davon hoffen nun nicht nur die Fussballerinnen und ihre Klubs zu profitieren.
«Wenn jemand wirklich geglaubt hat, dass Frauensport kein Potenzial habe, war die EM der Beweis des Gegenteils», sagt Eishockey-Star Lara Stalder im Gespräch mit watson. Der in der ganzen Schweiz sehr populäre Sport wäre wohl prädestiniert dafür, den Schub der Fussball-EM ebenfalls zu nutzen. Und nicht nur die Stürmerin des EV Zug ist optimistisch, dass dies gelingen kann.
«Durch das Turnier werden Frauen mehr beachtet und gehört», streicht die Davoserin Julina Gianola heraus. Lisa Rüedi von den ZSC Lions glaubt, dass der ganze Frauensport in der Schweiz davon profitiert habe, und fügt an: «Zu sehen, wie die Schweiz angesteckt werden kann, motiviert uns, aber hoffentlich auch Sponsoren, weiter zu investieren.» Dass sich das lohnt, ist in den Augen von Stalder offensichtlich: «Das sollte jetzt auch der Letzte kapiert haben.»
Schon in den letzten Jahren habe sich einiges verbessert. Die Trainings sind professioneller geworden, an immer mehr Standorten wird ins Eishockey der Frauen investiert und auch sonst passiere sehr viel, sagt Sinja Leemann, die von den ZSC Lions zum Meister SC Bern gewechselt ist. Dort gebe es immer bessere Trainingsmöglichkeiten, die Spielerinnen haben Physiotherapeutinnen und -therapeuten zur Verfügung und es werde viel getan, dass sie sich möglichst auf den Sport fokussieren können. So konnte die 23-Jährige im Beruf auf ein 60-Prozent-Pensum reduzieren.
Die gleichaltrige Gianola, die aufgrund der fehlenden Perspektive im Alter von 19 Jahren noch zurückgetreten war, ergänzt: «Es hat einen Riesenschritt gegeben. Man wird finanziell unterstützt und es gibt verschiedene gute Standorte. Ein Mädchen in Davos hat jetzt ein Ziel vor Augen, kann in die höchste Liga kommen und trotzdem Zuhause bleiben.» Der HCD hat seit 2023 ein eigenes Frauenteam.
Ein Grund für die positive Entwicklung ist auch Lara Stalder. Die 31-jährige Luzernerin wechselte vor zwei Jahren aus Schweden zurück in die Schweiz und unterschrieb beim damals zweitklassigen EV Zug, um «die Strukturen im Fraueneishockey in der Zentralschweiz mitaufzubauen». Nun sagt sie: «Es ist eine wahre Freude, darauf zurückzublicken, wie wir alles aufgebaut, was für eine Bewegung wir ausgelöst und wie viele Zuschauer wir schon angelockt haben. Wir haben vielen Kritikern bewiesen, was in diesem Sport möglich ist. Darauf können wir stolz sein.» Über 4000 Zuschauerinnen und Zuschauer kamen zu einem Playoffspiel und sorgten damit für eine Rekordkulisse, im Schnitt waren über 1000 Fans im Stadion. Ausserdem baute der EVZ ein U9- und auf diese Saison auch ein U12-Team auf.
Dennoch gebe es noch viel zu tun und sei der Fussball schon einige Schritte voraus, betonen alle. Während dort viele Nati-Stars im Ausland spielen und sich ausschliesslich auf den Sport konzentrieren können, ist dies im Eishockey nicht der Fall. Hier müssen selbst viele der besten Schweizerinnen nebenher in hohem Pensum arbeiten. Dabei bliebe vor allem die Erholung auf der Strecke, erklärt Lena-Marie Lutz, die zu der am Samstag beginnenden Saison von Zug zu Ambri gewechselt ist. Im Tessin wird jeweils abends trainiert, die Spielerinnen verlassen die Eishalle erst gegen 21.30 Uhr. Dann sind sie aber noch nicht zu Hause und haben noch nichts gegessen. Am nächsten Morgen geht ein Grossteil des Teams wieder arbeiten. «Ich brauche eigentlich viel Schlaf», sagt Lutz, «aber dort muss ich jetzt etwas zurückstecken.»
Besser ist die Situation bei den anderen Topklubs wie SCB, ZSC, HCD oder vor allem in Zug, wo die Trainings überall nachmittags oder am frühen Abend stattfinden. Beim EVZ ist das gesamte Team inklusive Staff im 40-Prozent-Pensum angestellt, wodurch auch die üblichen Versicherungen durch den Arbeitgeber gedeckt sind sowie eine AHV-Lücke verhindert wird. Andere Spielerinnen müssten dafür noch 80 bis 100 Prozent arbeiten, sagt Stalder, die beim Klub in Vollzeit angestellt ist – 60 Prozent auf der Geschäftsstelle und 40 Prozent als Spielerin –, und erklärt: «So können wir als Team sehr professionell arbeiten.»
Stalder wünscht sich, dass andere Regionen diesen Schritt auch machen, und bietet Hilfe an: «Es ist ein Zusammenarbeiten. Wir sind sehr transparent und wollen, dass andere auch von uns lernen können. Es geht darum, das Produkt Fraueneishockey zu fördern. Wenn wir auf der Ebene auch noch gegeneinander wären, bringt das nicht viel.»
Für die nächsten Schritte hat Stalder bereits ein klares Ziel: «Nach der U12 ist noch eine grosse Lücke zum Women's Team. Diese wollen wir kontinuierlich schliessen und nachhaltig eine Eishockey-Academy aufbauen, um junge Talente an die Spitze zu bringen.» Rüedi wünscht sich vor allem, dass «wir besser davon leben können und niemand mehr gezwungen ist, sich zwischen Job und Hockey zu entscheiden». Die ZSC-Stürmerin steht kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung zur Lehrerin und arbeitet bereits in Teilzeit. Aufgrund ihres Studiums verpasste sie eine WM, da dieses sonst länger gedauert und sie auch noch in diesem Olympia-Winter beschäftigt hätte.
Der Wunsch, sich stärker auf den Sport konzentrieren zu können, ist bei allen präsent. Schliesslich können sie nur so das Beste aus sich herausholen. Ambri-Stürmerin Lutz sagt: «Es wäre mega cool, wenn niemand mehr 100 Prozent arbeiten müsste.» Noch sei dies bei den Tessinerinnen aber bei 90 Prozent des Teams der Fall. Damit sich das ändert, braucht es auch ein grösseres Interesse des Publikums. Viele Spiele werden nur spärlich besucht. SCB-Manager Marc Lüthi bestätigte, dass das Frauenteam trotz Meisterschaft noch ein Minusgeschäft sei.
Sinja Leemann sieht da auch die Spielerinnen in der Pflicht: «Es liegt an uns, das Spiel attraktiv und schnell zu machen.» Gleichzeitig fordert sie aber auch mehr Aktionen, um Zuschauerinnen und Zuschauer zu den Spielen der Women's League zu locken. Die SCB-Stürmerin stellt Partien im Vorfeld von National-League-Spielen der Männer in den Raum und lobt Zug für Aktionen wie die Family Games, bei denen Kinder bis 17 Jahre und Senioren ab 65 Jahren kostenlos ins Stadion dürfen. «So kommen die Leute und merken vielleicht, dass es ihnen gefällt», erklärt Leemann.
Die HCD Ladies tragen seit zwei Jahren im Rahmen des Spengler Cups jeweils ein Ligaheimspiel aus. Gibt es bald eine eigene Ausgabe des traditionsreichen Turniers für Frauen? «Klar sprechen wir darüber und tauschen uns aus, ob das mal etwas sein könnte», sagt Julina Gianola, die als Tochter der HCD-Legende Marc Gianola natürlich einen guten Draht zum Spengler-Cup-CEO hat. Doch die 23-Jährige bremst die Erwartungen: «Ich denke, in naher Zukunft ist das noch nicht realistisch.» Zwar würde sie sich einen ähnlichen Boom wie im Fussball erhoffen, aber glaubt die Stürmerin: «Vielleicht hinkt das Eishockey noch etwas hinterher.»
Womöglich könnte ein grosses Turnier in der Schweiz dabei helfen, diesen Rückstand aufzuholen. Druck auf den Verband würden sie deshalb jedoch nicht ausüben, erstmals seit 2011 eine WM der Frauen ins Land zu holen, sagen Lara Stalder und Lena-Marie Lutz, sind sich jedoch einig: «Es wäre schon sehr cool.»
Zuvor steht mit den Olympischen Spielen aber ein anderes grosses Turnier an. Nach dem 4:0-Sieg im Rahmen der Euro Hockey Tor gegen Schweden und der Niederlage nach Penaltyschiessen gegen Tschechien sind die Schweizerinnen trotz der 0:5-Niederlage zum Abschluss gegen Finnland optimistisch, mit den Topnationen mithalten zu können. «Wir haben einen Riesenschritt gemacht über die letzten Jahre», sagt Lisa Rüedi, «alle Spielerinnen sind besser geworden.»
Dass das Team seit längerer Zeit im selben Kern zusammenwachsen konnte, sieht auch Stalder als grosse Stärke der Schweiz. «Wir haben im Vergleich zu den letzten Jahren eine grössere Breite, was auch auf den Wandel zurückzuführen ist, dass es professioneller geworden ist», berichtet Stalder zudem und gibt eine Medaille als Ziel aus. «Wenn wir gut vorbereitet sind und unser bestes Hockey abrufen können, dann gewinnen wir eine Medaille.»
Tun sie aber nicht.