Könnte es sein, dass Christoph Blocher oder Roger Köppel bei der Albisgüetli-Tagung, dem SVP-Hochamt, unerwünscht sind? Eher nicht. Doch so absurd geht es in Hockey-Genf zu und her. Ohne Chris McSorley (61) gäbe es den Finalisten Servette nicht. Keine andere Persönlichkeit hat in den letzten 25 Jahren ein Hockeyunternehmen so sehr auf allen Ebenen – sportlich, organisatorisch, politisch und wirtschaftlich – so geprägt wie Chris McSorley «sein» Servette. Nicht einmal Marc Lüthi in Bern.
Chris McSorley wird mit seiner Gattin und seinem Sohn im Stadion sein: «Unser erstes Playoffspiel in dieser Saison.» Um die aufregendsten Stunden der 118-jährigen Klubgeschichte zu erleben. Aber nicht in der VIP-Loge.
Er sagt: «Ich habe die Tickets gekauft.» Wie schon im Rahmen eines anderen feierlichen Momentes: Als das Trikot der Legende Goran Bezina unters Hallendach gezogen wird, hat Chris McSorley von seinem langjährigen Captain natürlich eine Einladung.« Aber kurz darauf hat er mich angerufen und sich ganz verlegen entschuldigt. Er dürfe mich nicht einladen. Also habe ich Tickets gekauft, um dabei zu sein.» Ein ehemaliger Präsident habe dann bemerkt, dass er im Stadion sei, und habe ihn per SMS in die VIP-Loge eingeladen. Er möge sich doch zu ihm setzen. «Ich habe abgelehnt.»
Wie kann das sein? Es ist eine Geschichte, die uns wieder einmal zeigt: Die Wirklichkeit ist noch viel irrer als jede Fiktion. In den 1990er-Jahren führt Marco Torriani, der Sohn von Bibi Torriani, der vielleicht grössten Ikone unseres Hockeys, das heutige Mandarin Oriental Hotel. Er präsidiert Servette mehr als zehn Jahre lang.
Der Klub stürzt zeitweise bis in die höchste Amateurliga ab und ist latent vom Konkurs bedroht. Um die Jahrhundertwende gelingt es ihm, die amerikanische Anschutz-Gruppe, die im Immobilien- und Sport-Business schon in London, München und Berlin mitmischt, zum Einstieg in Genf zu überreden. Die Amerikaner bringen 2001 den jungen, charismatischen Coach Chris McSorley von Las Vegas via London nach Genf. Sie statten ihn mit allen Vollmachten aus.
Eine der aufregendsten Geschichten unseres Hockeys nimmt ihren Anfang. 2005 zieht sich Anschutz zurück. Chris McSorley übernimmt zusammen mit dem kanadisch-schweizerischen Doppelbürger Hugh Quennec den Klub. Er sagt im Rückblick ohne Zorn: «Die beste Entscheidung meines Lebens.»
In einem Balanceakt sondergleichen gelingt es den beiden, den Klub finanziell im Gleichgewicht und sportlich konkurrenzfähig zu halten. 2008 und 2010 reicht es zu den verlorenen Finals gegen die ZSC Lions und den SC Bern. Über diese Zeit hat Chris McSorley einmal gesagt, es gebe in Genf zum Glück genügend kapitalistische Glücksritter. Genf ist eben auch eine der Welthauptstädte des Kapitalismus. Support kommt vorübergehend auch vom russischen Milliardär Gennadi Timtschenko, einem Freund Putins.
2014 kommt es zu einem Deal, der inzwischen die Anwälte auf den Tischen tanzen lässt. Chris McSorley bekommt einen Vertrag als Trainer und Sportchef bis 2023 plus Option auf weitere fünf Jahre bis 2028. Also für sage und schreibe 14 Jahre. Es ist die schöne Anerkennung für seine Verdienste und Arbeitskraft. Inzwischen hat sich Servette nach heftigen Turbulenzen in den sicheren Hafen der Stiftung «Fondation 1890» – einst kreiert vom Rolex-Gründer Hans Wilsdorf – gerettet und segelt mit viel Rückenwind in finanziell ruhigen Gewässern.
Die Dienste von Chris McSorley sind nicht mehr gefragt. Der grosse Zampano ist nun Didier Fischer. Er kontrolliert Hockey- und Fussball-Servette. Wie Gewährsleute erzählen, habe er rechtzeitig erkannt, dass es lohnender ist, sich im Hockey statt im nationalen Operetten-Fussball zu engagieren. So sind endlich die Investitionen möglich geworden, die aus einem guten ein womöglich sogar meisterliches Servette gemacht haben. Über Jahre hatte Chris McSorley immer wieder geklagt, er könne machen, was er wolle. Eine Million fehle einfach immer, um Meister werden zu können.
Nun ist da halt nach wie vor der Vertrag mit Chris McSorley. Er hat sich wohlweislich von den neuen Bürogenerälen nicht zermürben lassen. Und so ist er im August 2020 fristlos gefeuert worden. Nun streitet er sich mit Servette vor Gericht um die Restanz seines Vertrages. Es geht exakt um 7'652'151 Franken. Anwaltskosten und Zinsen auf der Forderung nicht eingerechnet. Und so verstehen wir, warum Chris McSorley nicht mehr eingeladen wird und seine Tickets kaufen muss. Um das Team zu sehen, das er gebaut hat.
Fast alle, die heute bei Servette eine Rolle spielen, hat der Kanadier nach Genf geholt. Nicht nur drei Viertel der Spieler, auch Sportchef Marc Gautschi und Trainer Jan Cadieux haben noch unter Chris McSorley als Nachwuchstrainer und Assistenten ihre Servette-Karriere gestartet. Das gesamte Hockeyunternehmen trägt nach wie vor und noch für lange Zeit Chris McSorleys DNA.
Innerlich hat der Kanadier seinen Frieden gemacht. Seine Anwälte mögen Servette auf Trab halten. Doch sein Herz hängt am Klub. Der Gewinn der ersten Meisterschaft der Klubgeschichte wäre die Krönung seines Lebenswerkes. Längst hat er sich einer neuen Aufgabe zugewandt.
Nach dem missglückten Lugano-Abenteuer arbeitet er nun im Auftrag von Schweizer Investoren an einem 320-Millionen-Projekt in Sierre. Wohnungen, Geschäftsräume und natürlich ein Hockeystadion. Er soll Sierre zu neuem Ruhm führen wie einst Servette und wohnt mit seiner Familie in der Stadt.
Für seine neue Heimat hat er einen passenden Namen: «Sunny Valley». Es ist doch schön, fast ein Happy End, wenn in der Abendröte einer grandiosen Karriere noch einmal eine Sonne aufgeht.