1998 arbeitete Chris McSorley letztmals unter Palmen. Er coachte das IHL-Team Las Vegas Thunder. Die IHL gibt es inzwischen nicht mehr. Dann machte sich der charismatische Kanadier auf, um das europäische Hockey zu rocken. Erst in London und ab 2001 in Genf.
Nun ist er zurück unter Palmen. In Lugano. Sein Auftrag: Lugano zu meisterlichen Ehren zurückführen. Den ersten Titel seit 2006 einfahren.
🤝L’Hockey Club Lugano ha il piacere di annunciare che Chris McSorley sarà il nuovo Head Coach della prima squadra bianconera ⚪️⚫️#LVGA #NonMollareMai https://t.co/o0VpAMn8C0
— Hockey Club Lugano (@OfficialHCL) May 6, 2021
Schon einmal hat ein Trainer die DNA Luganos verändert. John Slettvoll. Geo Mantegazza hatte genug vom Mittelmass. Der kanadische Verteidiger Réal Vincent hatte zwar Lugano 1982 als Spielertrainer in die höchste Liga zurückgeführt. Aber ein Meistertrainer war er so wenig wie der in den letzten Tagen in Lugano verabschiedete freundliche Serge Pelletier.
John Slettvoll bekommt ab 1983 von Geo Mantegazza alle Macht und das Geld, um die Mannschaft nach seinem Willen umzuformen. Der Schwede löste eine Revolution aus. Mit intensiverem Training, überlegener Taktik, Härte und Ausdauer – kurzum: durch eine bis dahin bei uns unbekannte Professionalität – holt er in seinem dritten Amtsjahr 1986 den ersten Titel.
Und Slettvoll macht Lugano «grande». Mit weiteren Meisterschaften 1987, 1988 und 1990. Dann erfasst ihn der hockeytechnische Grössenwahn und die Dynastie des «Grande Lugano» wird im Frühjahr 1992 im Viertelfinal vom ZSC gestürzt. Bei den Zürchern an der Bande: Arno Del Curto. Der nächste Hockey-Weltenveränderer.
Die Konkurrenz in der Deutschschweiz muss auf Luganos Erfolge reagieren und investieren. In Lugano wird die Entwicklung angeschoben, die unser Hockey schliesslich bis in den WM-Final bringen wird.
Nun versucht Vicky Mantegazza 2021 das Gleiche zu tun wie ihr Vater Geo vor 38 Jahren. Mit einem neuen Coach die DNA verändern.
Lugano hat alle Voraussetzungen, um wieder «grande» zu werden. Im Laufe der letzten Jahre ist alles versucht worden. Und so ganz nebenbei haben diese Versuche das Schweizer Eishockey erneut verändert: Vicky Mantegazza erkennt das Potenzial von Patrick Fischer als Visionär und Hockey-Weltenveränderer und macht ihn 2012 zum Cheftrainer. Das Experiment scheitert im vierten Jahr, Patrick Fischer wird Nationaltrainer und führt die Schweiz 2018 in den WM-Final.
Und nun also Chris McSorley. Mit einem Dreijahresvertrag. John Slettvoll erfüllte seine Mission Meistertitel zum ersten Mal im dritten Vertragsjahr.
Kann das Experiment gelingen? Nur dann, wenn Chris McSorley Lugano sportlich sozusagen neu erfindet. Lugano ist seit den ruhmreichen 1980er Jahren «erfolgssüchtig»: Viele Emotionen, hohe Erwartungen, die seit 2006 nicht erfüllt werden.
Aber Lugano ist seit 2006 nicht mehr «erfolgshungrig» in dem Sinn, dass längerfristig, geduldig, beharrlich und demütig auf ein grosses Ziel hingearbeitet wird. «Erfolgssucht» verlangt halt nach sofortiger Befriedigung.
Was bei McSorley auch entscheidend ist: Er braucht die Spieler, die seine Hockey-Philosophie umzusetzen vermögen. Sie sollten schnell, bissig, kräftig und taktisch folgsam und leidensfähig sein. Physisch und psychisch. Was in der aktuellen Mannschaft nicht ganz alle sind.
Und er braucht noch etwas: Einen starken Torhüter. John Slettvoll hatte diesen grossen Goalie mit Thierry Andrey.
Luganos Sportchef Hnat Domenichelli ist gerade daran, die Option Cory Schneider (35) zu prüfen. Der Vertrag des amerikanisch-schweizerischen Doppelbürgers läuft aus. Die Frage ist, ob der ehemalige NHL-Titan, zuletzt im Farmteam versenkt, nach wie vor fit ist.
Aber Thierry Andrey war nie und nimmer ein grosser Goalie. Nicht mal in Zentimetern. Das war ein klassischer Lottergoalie. Lugano wurde trotz Andrey Meister, nicht wegen.
Leidenschaft heisst aber eben auch leiden für ein grösseres Ziel. Genau hier kommt der wichtigste Punkt, der gar nicht erwähnt wurde.
Die Transformation funktioniert nur, wenn Vicky ihre Bürotür für die Spieler abschliesst und Chrissie vorbehaltlos den Rücken stärkt.
Nur dann, wenn die Spieler verstehen, dass er der Boss ist, wird sich etwas ändern. Ansonsten werden es nicht drei Jahre unter Palmen für ihn.