Er spricht Deutsch in dem wunderbaren melancholischen Singsang, der für Prager so typisch ist. Wenn er spricht, hört man beinahe Karel Gott («die goldene Stimme von Prag») singen. Er parliert auch russisch, polnisch, slowakisch, tschechisch, englisch und französisch. Er ist klug und freundlich und mit seinem lausbübischen Charme öffnet er jede Türe. Und nun ist Zdenek Matejovsky grad in Newark. Beim Training der Devils. Szenen aus dem Alltag eines Chronistenlebens.
Was führt dich denn hierher?
Deine Schweizer!
So?
Er kramt sein Telefon hervor. Ein Auftrag aus einem grossen helvetischen Medienhaus. Er soll von Timo Meier, Nico Hischier, Akira Schmid und Jonas Siegenthaler etwas zu unseren Playoffs machen. Er hat ein wenig Mühe, die ganze Sache zu ordnen. Logisch. Unser Hockey ist ihm nicht so vertraut. Ich helfe ihm gerne.
Also: Der Timo muss Dir etwas über die Serie der Lakers gegen Zug sagen. Weil der Timo im Juniorenalter für die Lakers gespielt hat.
Aber da steht Rapperswil!
Ja, ja, das sind die Lakers.
Aha.
Den Siegenthaler musst Du zu der Serie ZSC gegen Davos befragen. Weil er mal für die Zürcher gespielt hat.
Ach so.
Den Hischier fragst Du über die Serie Bern gegen Biel. Sein Bruder spielt in Biel.
Aha. Aber was ist mit Langnau gegen – ähh – ….
… Aschua spricht man das aus. Der Schmid kommt aus Langnau. Aber da geht es zwischen Langnau und Aschua um eine Serie gegen den Abstieg.
Aha, gut. Jetzt ist alles klar. Ich danke Dir.
Und so installiert er seine Bildermaschine, stülpt den entsprechenden «Pariser» – excusez l'expression, aber es ist die passende Beschreibung – übers Mikrofon. Er schafft es, nach dem Training in der Kabine alle vier Schweizer nacheinander so zu befragen wie es sein Auftraggeber wünscht.
Zdenek Matejovsky hat eine ganze Batterie dieser «Mikrofon-Pariser» dabei. Mit den Logos seiner verschiedenen Auftraggeber. Darunter ist auch unser staatstragende Fernsehen SRF.
So sendet Zdenek Matejovsky am Mittwoch sozusagen live aus Newark. An anderen Tagen live aus New York. Oder Boston. Oder Philadelphia. Oder Tampa. Oder Edmonton.
Mehr als 20 TV-Sender und Onlineportale aus 13 Ländern sind seine Kunden. Er liefert nach Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark, Slowenien, Tschechien, Russland (aktuell nicht mehr) Österreich, Deutschland, Kanada, in die Slowakei, in die USA und eben in die Schweiz.
Kultstatus hat er spätestens seit einem Interview mit Torontos finnischem Goalie Vesa Toskala vor gut zehn Jahren fürs finnische Fernsehen. Er stellte die Fragen auf Englisch und Toskala gab in finnischer Sprache Scherzantworten ohne jeden Zusammenhang mit den Fragen:
Zdenek Matejovskys lebt in Montréal und fliegt oder fährt dorthin, wo ihn seine Kunden für Interviews hinschicken. Die Internationalisierung der NHL mit Spielern aus so vielen europäischen Ländern und die neue digitalisierte Medienwelt ermöglichen ein einträgliches Geschäftsmodell im Einmannbetrieb. Er nennt sich offiziell «TV News and Sports Reporter» und ist sozusagen der «Egon Erwin Kisch des Hockeys.» Der 1948 in seiner Heimat verstorbene Kisch war wie Zdenek Matejovsky Prager. Er gilt als einer der bedeutendsten Reporter aller Zeiten und ist als «der rasende Reporter» in die Geschichte eingegangen.
Zdenek Matejovsky als «der rasende NHL-Reporter». Den Vergleich mit Kisch mag er nicht. Das sei der Ehre zu viel. Aber er hat eine beinahe (aber nur beinahe) so bewegte Biografie wie der weltberühmte Egon Kisch. Zdenek Matejovsky wächst im Prag des kalten Krieges auf. Er will in den Westen. In die Freiheit. Eine Ausreisegenehmigung gibt es nicht. Die Flucht durch den eisernen Vorhang ist ihm zu gefährlich.
Brave Kommunisten dürfen nach Kuba in die Badeferien reisen. Der Preis ist horrend. Schon 1980 umgerechnet etwa 600 Franken.
Das Problem: Keine Maschine kann von Prag direkt nach Kuba fliegen. In Montréal ist eine Zwischenlandung zum Auftanken erforderlich. Die kanadischen Behörden erlauben das Auftanken nur, wenn keine Passagiere an Bord sind. Also müssen die Kuba-Reisenden eine gute Stunde im Flughafengebäude verbringen.
Zdenek Matejovskys bucht 1980 im Alter von 21 Jahren mit fünf Freunden die Kuba-Ferien. «Wir kauften das Ticket in die Freiheit», sagt er heute lachend.
Im Flughafengebäude zu Montreal passen die mitgereisten Geheimdienst- und Sicherheitsleute zwar wie Schiesshunde auf, dass keiner entkommen kann. Aber als die mutigen Sechs alle gleichzeitig losrennen, sind sie überrumpelt. Allen gelingt der Sprung über und der Spurt durch die Abschrankungen in die Freiheit. «Wir haben es auch alle geschafft, in Kanada eine Existenz aufzubauen.»
Aber einfach sei es nicht gewesen. «Ich hatte am ersten Tag ganze zwei Dollar im Sack. Ich bin die Strasse entlanggelaufen und habe einen Bettler gesehen. Er hatte in seinem Hut mehr Geld als ich.»
In Kuba sei er übrigens noch nie gewesen. «Das Ticket für die Weiterreise ist inzwischen verfallen …»