Unterschreiben Reto und Jan von Arx für ein Jahr bei den SCL Tigers? Das ist die letzte grosse und nach wie vor offene Frage im nationalen Hockey-Geschäft.
Lieben Sie Theater? Dann sind Sie bei den SCL Tigers richtig. Dort wird Tag für Tag bis auf weiteres ein weltberühmtes Stück gespielt. «Warten auf Godot» («En attendant Godot») von Samuel Beckett (1906 - 1989).
Der Ire aus Dublin ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und bekam 1969 den Nobelpreis. «Warten auf Godot» ist sein bekanntestes Werk. Die erste Inszenierung im deutschsprachigen Raum fand am 8. September 1953 in Berlin statt. Der Titel ist inzwischen international zur Redewendung geworden und steht für den Zwang zu langem und oft vergeblichem Warten.
Die Figuren verkörpern das menschliche Bedürfnis, trotz unbestimmter und letztlich unerfüllter Illusionen auf die Ankunft eines Heil bringenden Propheten oder sonstigen Erlösers zu hoffen. Samuel Beckett erreicht eine dramatische Wirkung, indem er seine Hauptdarsteller komisch und traurig zugleich erscheinen lässt.
Ein Übertragung aufs Hockey ist durchaus statthaft. «Warten auf Godot», so eine Anekdote, geht auf den Sport, auf eine Tour-de-France-Etappe zurück, die sich Beckett irgendwo in Frankreich angesehen hat. Als alle Rennfahrer vorbei waren, habe er gehen wollen, aber gesehen, dass einige Zuschauer noch bleiben. Auf seine Frage, worauf sie warteten, hätten sie geantwortet: «Auf Godeau!» Dieser war angeblich der langsamste Fahrer des Rennens. Die Geschichte ist vermutlich nur Legende, da es nie einen Fahrer dieses Namens bei der Tour de France gab.
«Warten auf Godot» im Emmental: Sportchef Jörg Reber hat seine Offerte für die Verpflichtung von Reto und Jan von Arx eingereicht. Jetzt wartet er auf eine Antwort. Ein erstes «Nein» wird noch nicht das Ende sein. Ein bisschen Nachbessern ist dann schon noch möglich.
Aber eben: Die Entscheidung ist für Reto und Jan von Arx schwierig. Die grandiose Karriere nach dem Meistertitel mit dem HC Davos beenden? Einen neuen Vertrag bekommen die beiden Emmentaler in Davos ja nicht mehr. Also in Langnau, in ihrer alten Heimat, noch eine Saison anhängen? Diskutiert wird sowieso bloss ein Einjahresvertrag. «Er hat sich noch nicht entschieden», lässt sein Agent Rolf Simmen ausrichten.
Das Warten auf die Gebrüder von Arx wird damit zum «Warten auf Godot» (bzw. «Warten auf Reto und Jan»).
Die Hauptfiguren in diesem Theaterstück sind die beiden Landstreicher Estragon und Wladimir. Die beiden Herren verbringen ihre Zeit damit, auf eine Person namens Godot zu warten. Am Ende eines jeden Aktes in diesem Theater erscheint ein Junge, der verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögert. Dieses Warten drückt sich im Theaterstück in einem mehrfach wiederkehrenden Dialog aus:
Estragon: «Komm, wir gehen.»
Wladimir: «Wir können nicht.»
Estragon: «Warum nicht?»
Wladimir: «Wir warten auf Godot.»
Estragon: «Ach so.»
Und so wie Estragon und Wladimir auf Godot warten und nicht anders können, so warten die Langnauer. Weil auch sie nicht mehr anders können. Folgender Dialoge dürfte sich seit Mitte Mai jeden Tag bei den SCL Tigers abspielen. Zwischen Medienchef Rolf Schlapbach und Sportchef Jörg Reber.
Rolf Schlapbach: «Komm, wir müssen den Teamguide für die neue Saison endlich in Druck geben. Gib mir die Kaderliste.»
Jörg Reber: «Wir können nicht.»
Rolf Schlapbach: «Warum nicht?»
Jörg Reber: «Wir warten auf Reto und Jan.»
Rolf Schlapbach: «Ach so.»
Oder zwischen Sportchef Jörg Reber und Trainer Benoit Laporte.
Benoit Laporte: «Komm, ich will endlich die Mannschaft zusammenstellen und die verschiedenen Formationen durchspielen.»
Jörg Reber: «Wir können nicht.»
Benoit Laporte: «Warum nicht?»
Jörg Reber: «Wir warten auf Reto und Jan.»
Benoit Laporte: «Ach so.»
Oder zwischen Präsident Peter Jakob und Sportchef Jörg Reber.
Peter Jakob: «Komm, ich muss endlich das Budget machen. Was kostet mich jetzt die Mannschaft?»
Jörg Reber: «Wir können nicht.»
Peter Jakob: «Warum nicht?»
Jörg Reber: «Wir warten auf Reto und Jan.»
Peter Jakob: «Ach so.»
Godot erscheint im Theaterstück bis zuletzt nicht. Das Warten auf ihn ist vergeblich und macht die Beteiligten zu Witzfiguren. Bei der Langnauer Version dieses Theaterstückes wird es allerdings keine Witzfiguren geben. Sondern am Ende sogar einen Helden. Jener, der verkünden kann, dass Reto und Jan kommen. Oder eben nicht kommen. Falls die beiden nicht kommen, wird Peter Jakob sogar ein wenig froh sein. Die Mannschaft kostet ihn dann ein bisschen weniger.
Ich suche jetzt noch nach einem Dreh, wie Jeremias Gotthelf in dieses Beckett-Theater eingebaut werden könnte. Ich warte aber nach wie vor vergeblich auf eine Eingebung, auf Godot.
Grüss mir Jeremias, scheint ja ein dicker Kumpel von Dir zu sein ... ;)