SC Bern gegen EHC Biel. Der Sieger vom Dienstag wird ins Finale gegen Zug einziehen. Für einmal ein Spiel mit einer Bedeutung über den Tag hinaus. Ein Rendezvous mit Geschichte. Vielleicht werden wir im Rückblick einmal erkennen, dass es der Anfang vom Ende einer Dynastie und der Beginn einer neuen Epoche war.
Der SCB ist die Hockey-Staatsmacht. Der SCB spielt im Hockey eine noch wichtigere Rolle als Bundesbern in der Politik. Sogar Verbandspräsident Michael Rindlisbacher tanzt nach der SCB-Pfeife. Der Schiedsrichterchef, der Ligadirektor und der Spielplanchef sind in der Wolle gefärbte Berner.
Der SCB ist erfolgreich und selbstbewusst bis zur Arroganz. Sich seiner Macht sehr wohl bewusst. Fest verwurzelt in seiner ruhmreichen Geschichte und im Hockey von gestern. Aber zum ersten Mal seit der Rückkehr in die höchste Liga (1986) ist der SCB verunsichert. Und gerade deshalb sind die SCB-Chefs noch konservativer und arroganter und einem amüsanten Kontrollwahn verfallen.
Unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit wird genüsslich erzählt, wie SCB-Manager und -Mitbesitzer Marc Lüthi soeben eine kritisch-ironische, aber völlig harmlose, unpolemische Kolumne über seinen SCB vor Drucklegung aus dem Kult-Gratisblatt «Berner Bär» kippen liess.
Der EHC Biel ist der Herausforderer dieser auf einmal zweifelnden Hockey-Staatsmacht. Dieses Biel steht für eine neue Zeit und spielt das Hockey von morgen. Der mächtige Hockey-Stadtstaat Bern wird zum ersten Mal überhaupt seit es Playoffs gibt (seit 1986) in seinem Hoheitsgebiet – im Bernbiet – herausgefordert.
Derby-Niederlagen gegen die SCL Tigers und Biel hat es schon viele gegeben. Einige waren sogar schmählich. Aber das SCB-Selbstbewusstsein vermochten sie nicht einmal zu ritzen. Denn allen war klar: diese Niederlagen waren bloss Folklore und sorgten für gute Unterhaltung im Bernbiet. Aber in den Playoffs, wenn es ums wahre Hockey geht, wenn die echten Kerle unter sich sind, gab es im Staate Bern keine Konkurrenz. Bis jetzt.
Mit dem EHC Biel wird der SCB durch eine neue Hockeymacht mit revolutionären Hockey-Ideen aus dem Seeland, einer dynamischen Wirtschaftsregion im Westen der Hauptstadt beunruhigt. Fast wie vor mehr als 200 Jahren. Als das revolutionäre Frankreich von Westen herkam, das alte Bern stürzte, um eine neue Ordnung zu schaffen, die in den Grundzügen noch heute gilt. Das «Ancien Régime», das alte Bern, lebt nur noch im Hockey fort. Und mit grosser Besorgnis hat Marc Lüthi registriert, dass die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Zwar nur minimal. Aber der Trend ist beunruhigend.
Wenn wir verstehen wollen, wie dieses alte Hockey-Bern angesichts dieser neuen Herausforderung tickt und wie das neue Hockey-Biel funktioniert, müssen wir für einmal das Glatteis verlassen, Technik und Taktik vergessen und uns dorthin begeben, wo wir sicheren Boden unter den Füssen haben. In die Kabinengänge. Ortstermin Tissot Arena zu Biel. Am späten Samstagabend nach Biels 0:1-Niederlage gegen den SCB.
Nach dem Spiel ist noch nicht Feierabend. Eishockey ist ein Schauspiel. Nicht nur das Publikum, das bezahlt hat, um der Aufführung beizuwohnen, ist interessiert. Auch draussen im Lande wollen Hunderttausende von Männern, Frauen und Kindern wissen, was passiert ist. Deshalb stehen die Schauspieler und Regisseure, die Trainer und Spieler den Chronistinnen und Chronisten Rede und Antwort.
Eine Episode erklärt uns einiges. Ein Reporter des Innerschweizer Lokalradios «Radio Central» wird im Kabinengang von SCB-Mediengeneral Christian Dick so lautstark und barsch von oben herab zurechtgewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass er sich gefälligst an die Regeln zu halten habe wie alle anderen, dass die Umstehenden erschrocken innehalten. Weil er es in der dichten Menschentraube rund um Ramon Untersander nicht geschafft hatte, das Mikrofon hinzuhalten, fragt der Radiomann den SCB-Verteidiger, ob er noch kurz Zeit für ihn habe und stellt ihm ein paar Fragen. Das ist der Grund für den Zusammenschiss im Kasernenhofton.
Trainer Kari Jalonen plaudert für einmal recht locker. Er hat gewonnen. Wenn er nicht gewinnt, plaudert er in der Regel nicht mehr. Am Vortag hatte er die ihm untertänigst ergebenen Hockey-Lokalhistoriographen zutiefst verärgert, weil er nicht mehr zu plaudern geruhte.
Das Medienbild dieses grossen Welttrainers, sein Verständnis von oben und unten, wurzeln in der alten Zeit und mahnen an Wunderläufer Pavo Nurmi, den grössten finnischen Sportler aller Zeiten. Als ihn das finnische Staatsradio 1967 zum 70. Geburtstag zum Interview bittet, lässt er ausrichten, nur der Staatspräsident sei befugt, ihn zu befragen. Also lässt Urho Kekkonen, 25 Jahre lang Finnlands Staatsoberhaupt, alles stehen und liegen und eilt ins Radio-Studio. Das hätte auch dem tüchtigen Christian Dick und Marc Lüthi gefallen.
Alles hat beim SCB und Kari Jalonen eben seine Ordnung. Neben dem Eis. Auf dem Eis. Oben in der Chefetage und unten in den Kabinengängen. Deshalb passt Kari Jalonen wunderbar zum SCB und zum alten Bern. So ist es nur folgerichtig, dass der SCB unter ihm ein eher defensives, rationales Eishockey der alten Schule, der Ordnung, der Disziplin, der Berechnung, der taktischen Vorsicht und des Verstandes pflegt.
Im Kabinengang ist am gleichen Abend auch zu erkennen, dass in Biel die neue Zeit angekommen ist. Trainer Antti Törmänen, ein Vertreter des modernen Finnland, ein Prophet des Hockeys von morgen («Avanti-Antti») plaudert auch nach einer Niederlage mit einem feinen Sinn für Ironie und Humor.
Biels Medienchef Silvan Andrey, einer Weinbauerndynastie entstammend, käme es nie in den Sinn, dreinzufahren wie sein Amtskollege. Er käme sich lächerlich vor.
Es passt wunderbar ins Bild, dass Antti Törmänen, als er noch ein «Zauberlehrling» war, mit seinem antiautoritären Stil kurzzeitig beim SCB Erfolg hatte (Meister 2013) hatte. Aber noch als Meistertrainer ist er im Herbst des gleichen Jahres schmählich entlassen und schliesslich durch Guy Boucher ersetzt worden ist. Durch den schlimmsten Vertreter des vorgestrigen Hockeys. Um die alte Ordnung wiederherzustellen und den revolutionären Geist aus dem Berner Hockeytempel zu vertreiben.
Auch in Biel haben die Dinge eine Ordnung. Ohne Ordnung geht es nicht. Aber alles ist selbst in Zeiten der Playoffs und der Niederlage ungezwungener. Es ist die neue Zeit der offenen Kommunikation und der flachen Hierarchien. So ist es nur logisch, dass Biel ein eher modernes, offensives Eishockey zelebriert. Mehr ein kreatives, konstruktives Eishockey des Herzens und des Gefühls als des Verstandes. Mehr Tempo als Taktik. Mehr Mut als Vorsicht.
Modernes Eishockey bedeutet allerdings noch lange nicht automatisch erfolgreiches Eishockey. Schon gar nicht in den Zeiten der Playoffs.
Kurzfristig ist mit einem Triumph der alten Ordnung, des «Ancien Régimes» zu rechnen. Aber wenn der SCB das Finale erreichen sollte, so wartet als Gegner der EV Zug. Auch eine neue Macht. Noch dynamischer, moderner und reicher als Biel. Aber wenigstens weit ausserhalb des SCB-Hoheitsgebietes domiziliert und deshalb viel weniger bedrohlich.
Die Chancen stehen gut, dass sich die Berner, sollten sie das Finale erreichen, neben dem Eis wieder ein wenig beruhigen werden.
Für mich ist der SCB eher der bünzlige, immer genau gleich gekämmte, immer die gleichen Socken tragende Beamte, der nervös wird wenn die Kaffeemaschine am morgen nicht wie gewohnt funktioniert.
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