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Das Schicksal unserer Hockey-Nati: Zwischen Weltklasse und Folklore

Switzerland's players look the jumbo tron, during the at the Euro Hockey Tour - Swiss Ice Hockey Games 2022 between Switzerland and Finland, at the ice stadium BCF Arena, in Fribourg, Switzerland ...
Bei den Feldspielern kann die Nati mit den besten der Welt mithalten.Bild: keystone
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Das Schicksal unserer Hockey-Nati: Zwischen Weltklasse und Folklore

Ohne brauchbare Torhüter sind auf internationalem Niveau alle Anstrengungen für die Katz: Die Schweiz verliert beim Vierländerturnier in Fribourg alle drei Partien auch wegen ungenügender Goalies. Es ist der Anfang eines immensen, nach wie vor unterschätzen Torhüterproblems unserer Nationalmannschaft. Es könnte helfen, wenn künftig für einen Torhüter zwei Ausländer-Lizenzen notwendig sind.
19.12.2022, 06:4019.12.2022, 07:01
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Drei Niederlagen beim Turnier in Fribourg: Am Donnerstag eine ehrenvolle in der Verlängerung gegen Schweden (2:3), am Samstag eine unglückliche gegen Tschechien (1:2) und am Sonntag eine klägliche gegen Olympiasieger und Weltmeister Finnland (1:4).

Aber bevor wir zur Kritik ansetzen eine Mahnung aus der Geschichte: Wir haben beinahe vergessen, woher wir gekommen sind. Ein Blick zurück hilft uns, die Fortschritte unseres Hockeys besser zu verstehen und die drei Niederlagen in Fribourg zu relativieren. Am 17. November 1985 kommt es zu einem sensationellen Länderspiel: Die Schweiz fordert im Hallenstadion die Tschechoslowaken. Den Weltmeister. Die CSSR-Stars werden bewundert wie Wesen von einem anderen Stern. Die Schweizer erstarren auf dem Eis vor Ehrfurcht. Sie kommen mit einem 2:9 gnädig davon. Die Gäste sind höflich. Niemand kommt auf den Gedanken, es könnte einmal möglich sein, diesem Gegner auf Augenhöhe zu begegnen. Bei der WM gehören wir nur zur B-Gruppe und spielen nicht gegen die Titanen des Welthockeys. Nationaltrainer Simon Schenk sagt, es seien mindestens 50 Spiele gegen solche Mannschaften erforderlich, um Fortschritte machen zu können. Aber zu diesem Zeitpunkt scheint es unmöglich, 50 solche Spiele zu bestreiten.

Trainer Simon Schenk und die Spieler der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft jubeln nach dem 4 zu 1 Sieg gegen Frankreich, aufgenommen am 8. April 1990 in Megeve bei der Eishockey-B-Weltmeisterscha ...
Eine andere Ära: Die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft mit Trainer Simon Schenk.Bild: KEYSTONE

Und nun also 37 Jahre später das Turnier in Fribourg. Mit den Partien gegen Schweden, Tschechien sowie Weltmeister und Olympiasieger Finnland. Die von Simon Schenk geforderten 50 Partien gegen die Grossen sind längst absolviert. Die Schweiz hat zweimal (2013, 2018) den WM-Final erreicht und gehört zu den Grossen.

Für Simon Schenk war das Ziel der Aufstieg in die A-WM, das er 1986 auch tatsächlich erreicht. Patrick Fischers Ziel ist der WM-Titel, den er 2018 erst in der Final-Penalty-Entscheidung gegen Schweden verpasst hat. Im November 1985 ist das Gastspiel der Tschechoslowaken (heute: Tschechien) DAS sportliche Medienthema und das Hallenstadion ausverkauft. Wer kann und es vermag, eilt herbei, um endlich einmal mit eigenen Augen die Besten der Welt zu sehen.

Das Vierländerturnier in Fribourg ist ausserhalb der Hockey-Kreise kaum beachtet worden. Was nicht nur an der Konkurrenz durch die Fussball-WM liegt. Partien gegen die Besten der Welt gehören dank der jährlichen Austragung der WM längst zum Hockey-Alltag. Neu ist nur, dass für einmal ein an und für sich bedeutungsloses Turnier gegen so hochkarätige Gegner im Dezember in der Schweiz über die Bühne geht.

Nie mehr seit der WM 2009 in Bern und Kloten hat es auf Schweizer Eis ein so hochkarätiges internationales Kräftemessen gegeben. Für mindestens zwei, voraussichtlich aber sogar für fünf Jahre ersetzt die Schweiz Russland in der vier Ausgaben umfassenden Turnierserie mit Schweden, Tschechien und Finnland. Jeder Teilnehmer darf eines dieser Turniere ausrichten.

Im Dezember waren nun die Schweizer an der Reihe. Bisher mussten wir bis zur WM am internationalen Katzentisch Platz nehmen und während der Saison gegen Norwegen, Lettland, die Slowakei oder Österreich üben. Pflichtspiele ohne sportlichen Mehrwert. Und ging es also erstmals im Dezember gegen die Besten der Welt (ohne die NHL-Spieler natürlich).

Die Besten der Welt sehen wir aber auch jede Woche mehrmals in unserer Meisterschaft. Weltmeister und Olympiasieger Finnland hatte beispielsweise für die Partien in Fribourg neun Stars aus unserer höchsten Liga aufgeboten: Sami Lepistö, Harri Pesonen (Langnau), Juuso Vainio, Janne Kuokkanen (Gottéron), Miro Aaltonen, Arttu Ruotsalainen (Kloten), Markus Granlund (Lugano), Toni Rajala (Biel) und Teemu Hartikainen (Servette). Insgesamt traten mehr als 50 Spieler auf, die diese Saison ihr Brot in unserer höchsten Liga verdienen. Da können wir wahrlich sagen: Weltklasse, na und? Ein grösseres Kompliment gibt es für unsere höchste Liga nicht.

Das grosse Ziel von Nationaltrainer Patrick Fischer ist und bleibt der WM-Titel. Im Idealfall bei der WM 2026 in Zürich und Fribourg. Nun haben die Schweizer soeben auf der langen Reise ins Jahr 2026 in Fribourg drei Niederlagen eingefahren.

Die Erkenntnisse aus diesem Turnier sind einerseits erfreulich und andererseits beunruhigend. Erfreulich, weil die Schweizer einmal mehr auf Augenhöhe mit den Titanen des Welteishockeys spielten. Kein Wunder: Beim Turnier in Fribourg kamen mehr als 50 Spieler zum Zuge, die bei den Klubs unserer National League unter Vertrag stehen. Noch nie war das Niveau in unserer obersten Liga so hoch.

Beunruhigend hingegen, dass wir eine gläserne Decke einfach nicht durchstossen können: Wir sehen durch diese Decke oben den Weltmeister-Pokal. Aber er bleibt unerreichbar. Weil wir bald keine Torhüter mehr haben. Mit Leonardo Genoni, dem WM-Finalhelden von 2018 hatten die Schweizer im November Finnland auswärts 3:2 besiegt. Leonardo Genoni wird 2026 bereits 39 Jahre alt sein. Auf ihn kann Patrick Fischer dann nicht mehr zählen. Und auch Reto Berra, WM-Silberheld von 2013 wird 2026 mit 39 ebenfalls zu alt sein. n. Ob Akira Schmid (22), aktuell bei New Jersey und sicherlich gut genug für WM-Heldentaten, für die WM 2026 zur Verfügung steht, ist völlig ungewiss. Der letzte Schritt zum WM-Titel, wird in den nächsten Jahren fast so schwierig sein wie der lange Weg, den wir seit 1985 aus der Bedeutungslosigkeit zur Weltklasse zurückgelegt haben.

Leonardo Genoni Nr. 63 of Switzerland in the match SWITZERLAND - SLOVAKIA 5-3 of the IIHF Ice hockey, Eishockey World Championship, WM, Weltmeisterschaft Group B in Helsinki, Finland, May 18, 2022, Se ...
Ewig kann sich die Nati nicht auf die Dienste von Leonardo Genoni verlassen.Bild: IMAGO / ActionPictures

Gegen Schweden, Tschechien und Finnland hätten die Schweizer mit einem Leonardo Genoni in der November-Form gute Siegeschancen gehabt. Es ist richtig, dass Patrick Fischer nun andere Goalies ausprobiert: Ludovic Waeber (gegen Schweden), Connor Hughes (gegen Tschechien) und Gauthier Descloux (gegen Finnland). Alle drei beim Saisonstart in ihren Klubs nicht die Nummer 1.

Und wie sich nun gezeigt hat: Alle drei wie erwartet für höhere internationale Ziele unbrauchbar. Alle drei kassierten haltbare Treffer. Das Aufgebot von Gauthier Descloux war sogar grober Unfug. Er hat weder Postur noch Talent für internationale Spiele und liess die Partie gegen Finnland zur Folklore verkommen. Wenn schon Goalies testen, dann solche, die ein gewisses Potenzial haben und die klare Nummer 1 im Klub sind: Philip Wüthrich, Luca Boltshauser, Sandro Aeschlimann oder Melvin Nyffeler.

Die drei Partien in Fribourg haben gezeigt: Die Erhöhung auf sechs Ausländer schwächt die Nationalmannschaft kurzfristig noch nicht: Die Nationalspieler haben ihren Platz im Klub. Sie werden stärker gefordert und eher noch besser. Aber wir stehen am Anfang eines nach wie vor unterschätzten immensen Torhüterproblems. Die Lösung wird nicht einfacher, wenn bereits fünf Klubs auf ausländische Goalies setzen. Eine erste Sofortmassnahme, die ein wenig helfen könnte: Ab nächster Saison müssen für einen Torhüter zwei Ausländerlizenzen gelöst werden.

Das Turnier in Fribourg lässt das Schicksal unserer Nationalmannschaft in den nächsten Jahren und bei der WM 2026 bereits erahnen: In der Offensive und in der Defensive zeitweise oder gar mehrheitlich Weltklasse und im Tor immer mehr Folklore. So sind dramatische Niederlagen, hin und wieder Ehrenmeldungen und beste Unterhaltung garantiert. Wie soeben in Fribourg. Aber so gibt es keine WM-Medaillen mehr.

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Steven86
19.12.2022 08:17registriert März 2016
Wer in 3 Partien nur 4 Tore schiesst, ist das Problem nicht nur bei den Torhüter zu suchen.
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Machiavellii
19.12.2022 08:25registriert Mai 2022
Die Besten der Welt? Die 8-900 besten Spieler der Welt spielen mit wenigen Ausnahmen alle in Nordamerika. Die Schweden z.B. haben fast 90 Spieler die in Nordamerika spielen, also drei komplette Teams und trotzdem sind sie uns immer noch überlegen. Bei uns muss man in erster Linie bei der Juniorenförderung dringendst über die Bücher. Dass die besten Junioren, praktisch alle, eher früher als später ihr Glück in Schweden, Finnland oder in NA versuchen ist bezeichnend.
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Dr no
19.12.2022 08:44registriert Mai 2018
Kza hör mal suf mit wüthrich- der kasdiert jeden match haltbare tore und ist nur deshalb due nr 1, weil sie keinen ausländischen Torwart haben.
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