Dreimal Qualifikationssieger und zweimal Meister. Kari Jalonen kann Erfolg. Aber er kann nicht Misserfolg. Noch im Herbst hatte die sportliche Führung den Vertrag mit dem Finnen vorzeitig um ein Jahr verlängert.
Kari Jalonen ist gescheitert, weil er zu erfolgreich war. Weil er die Misswirtschaft der sportlichen Führung auf schon fast wundersame Weise kompensiert hat. Seit Sven Leuenberger den SC Bern verlassen hat und im Sommer 2017 Sportchef bei den ZSC Lions geworden ist, fehlt dem SCB eine starke sportliche Führung. Nach innen, um die sportlichen Interessen innerhalb des 50-Millionen-Franken-Konzerns durchzusetzen, und nach aussen, um durch kluge Transfers den Umbau einer meisterlichen Dynastie mit drei Titeln in vier Jahren einzuleiten.
Der Spruch stammt von Enzo Ferrari, dem grossen Motorsport-General. Er pflegte zu sagen, es sei wichtig zu wissen, warum man verliere. Aber noch viel wichtiger sei es, zu wissen, warum man gewonnen habe. Wer nicht weiss, warum er gewonnen hat, macht im Erfolg Fehler, für die er später bitter büssen muss. Das hat in der Neuzeit selten ein Klub so erfahren müssen wie der SC Bern.
Die Transferbilanz der sportlichen Führung seit dem Wegzug von Sven Leuenberger ist verheerend. Ein Erfolgsgeheimnis der Berner war es in der Vergangenheit, das Geld zur richtigen Zeit gezielt in grosse Transfers zu investieren. In Christian Dubé, in Martin Plüss, in Simon Moser, in Leonardo Genoni, in Eric Blum beispielsweise. Diese Transfers signalisierten, dass in Bern nur das Beste gut genug ist. Dass der SC Bern ein ganz besonderes Hockey-Unternehmen ist. Dass die Besten nach Bern gehören. Exzellenz ist das Produkt von Taten, nicht von Worten.
Unter der aktuellen sportlichen Führung wird konzeptlos zusammentransferiert, was halt noch zu haben ist. Ohne Strategie. Inti Pestoni, Daniele Grassi, Matthias Bieber oder Grégory Sciaroni. Gute Mitläufer, aber keine Leitwölfe. Der absolute Tiefpunkt in der SCB-Transfergeschichte war diese Saison die temporäre Verpflichtung von Andri Spiller. Er ist inzwischen nach Kloten abgeschoben worden. Eine solche wirre Transferpolitik ist einst den Rapperswil-Jona Lakers zum Verhängnis geworden. Im gleichen Zug ist das Potenzial der eigenen Jungen nicht erkannt worden. Marco Müller, Samuel Kreis und Luca Hischier haben es bei der Konkurrenz bereits bis in die Nationalmannschaft gebracht.
Mit sehr guten oder doch guten Ausländern hätte die Transfer-Misswirtschaft noch einigermassen kompensiert werden können. Weil der SCB noch immer über eine Kerngruppe erfahrener Spieler verfügt, die Meister können. Aber wer den eigenen Nachwuchs und wer die Spieler in der Liga nicht richtig einschätzen kann, ist im internationalen Eishockey erst recht verloren. Die Bilanz der ausländischen Spieler unter der aktuellen sportlichen Führung spottet schlichtweg jeder Beschreibung. Ich will jetzt nicht noch Salz in die Wunden reiben und begnüge mich mit den Statistiken der ausländischen Verteidiger in dieser Saison: Miika Koivisto: null Tore, zwei Assists. Andrew MacDonald: null Tore, ein Assist.
Unter diesen Voraussetzungen ist der Meistertitel im letzten Frühling ein Wunder. Eigentlich Kari Jalonens mit Abstand grösster Erfolg. Er hat es geschafft, mit einer Mannschaft, die nominell keine meisterliche mehr war, die Meisterschaft zu gewinnen. Weil er ein grosser Taktiker ist. Sein zweiter Titel in Bern war viel mehr noch als jener von 2017 ein Titel der Taktik, der Spielorganisation («Schablonen-Hockey») als einer des Talentes. Wir können es auch so sagen: Kari Jalonen war zu erfolgreich.
Womit wir wieder beim Spruch von Enzo Ferrari sind: Die sportliche SCB-Führung weiss nicht, warum der SCB 2019 Meister geworden ist. Sie weiss nicht, dass der SCB schon lange keine meisterliche Mannschaft mehr hat. Der Erfolg hat sie arrogant gemacht und nach dem Motto «Wir sind Meister, wir wissen, wie es geht» hat diese Arroganz inzwischen auch Marc Lüthi, den allmächtigen obersten Chef, Verwaltungsrat und Mitbesitzer erfasst. Noch nie in ihrer Geschichte hat die SCB-Führung auf Kritik so empfindlich reagiert wie diese Saison.
Ich bin oft für meine Kehrtwendung in diesem Herbst verhöhnt worden. Erst habe ich geschrieben, die sportliche Führung dürfe die Vertragsverlängerung mit Kari Jalonen nicht verpassen, und als es dann so weit war, habe ich diese Vertragsverlängerung als grossen Fehler kritisiert. Der SCB schien bei Saisonbeginn noch intakt und nur ein grosser Taktiker wie Jalonen war dazu in der Lage, diese Mannschaft in der Spitzengruppe zu halten. Also unbedingt verlängern.
Aber bald einmal zeigte sich, dass nicht einmal mehr sein «Schablonen-Hockey» genügt, um die Fehler der sportlichen Führung zu korrigieren. Diese sportliche Führung hat nichts anderes zu tun, als den Puls der Mannschaft zu fühlen und sich um den SCB zu kümmern. Aber sie hat nicht gemerkt, dass es mehr und mehr nicht mehr funktioniert, und den Vertrag verlängert. Dabei zeigte sich: Selbst «Schablonen-Hockey» und die Ausrichtung auf den Meistertitel wird nicht mehr funktionieren. Der SC Bern braucht spätestens ab nächster Saison eine andere Strategie und einen anderen Trainer. Keinen Meistermacher wie Kari Jalonen. Sondern einen krisenerprobten «Aufbautrainer».
Nichts setzt einem Trainer so zu wie Niederlagen. Selbst für den besten Trainer der Welt kommt die Niederlage, die eine zu viel ist, und die dazu führt, dass ihm die Kontrolle entgleitet. Warum eine Mannschaft verliert, spielt keine Rolle mehr. Wenn die Resultate nicht mehr stimmen, muss der Trainer immer gehen. Auch wenn er Kari Jalonen heisst.
Der Finne zahlt einen hohen Preis für die sportliche Misswirtschaft seines Arbeitgebers. So gesehen ist der Entscheid, den Trainer zu wechseln, zwar richtig. Weil unausweichlich. Die normative Kraft des Faktischen. Aber der SCB hat nicht nur ein Trainerproblem. Der SCB hat vor allem ein sportliches Führungsproblem.
Nun kommt also Hans Kossmann. Falsche oder richtige Entscheidung? Diese Frage können wir im Frühjahr beantworten. Es ist die naheliegende Lösung, auf die sogar die sportliche SCB-Führung kommt: Kossmann kennt den SCB (er war von 2009 bis 2011 Assistent von SCB-Trainer Larry Huras) und er kann in schwierigen Situationen Meister (als Nothelfer 2018 Titelgewinn mit den ZSC Lions). Aber es gibt einen grossen Unterschied zwischen den ZSC Lions von 2018 und dem SCB von 2020. Die ZSC Lions hatten damals tatsächlich ein Trainerproblem und waren nominell gut genug für den Titelgewinn. Der SCB von 2020 hat kein vergleichbares Trainerproblem und ist nominell nicht mehr gut genug für den Titelgewinn.
Der SCB hat den Trainer gewechselt, aber sein grösstes sportliches Problem nach wie vor nicht gelöst. Der SCB braucht nicht einen Opportunisten als Sportchef, der um seinen Job bangt. Sondern einen Sportchef, der das Format hat, Marc Lüthi in sportlichen Fragen auf Augenhöhe zu begegnen und zu widersprechen wie einst Sven Leuenberger. Damit die Balance zwischen Sport und Kommerz im 50-Millionen-Hockeykonzern endlich wiederhergestellt werden kann.