Es ist, als sei ein April-Scherz Wirklichkeit geworden. Auch nur ein einziger Sieg von Visp in dieser Liga-Qualifikation schien ein sportlicher Aprilscherz. Aber am 1. April hat dieses Abenteuer für Visp mit einem Verlängerungssieg (3:2) begonnen.
Ein gutes Dutzend Berichterstatter ist aus dem Oberwallis angereist, um in Wort, Ton und Bild das Geschehen in die Heimat zu übermitteln. Die Zeit hat sie gelehrt, bescheiden zu sein. Die letzte erfolgreiche Saison liegt elf Jahre zurück (verlorene Liga-Qualifikation gegen Ambri 2014). Eine Chance für Visp? Nein. Frische Erinnerungen aus den letzten Monaten werden ausgetauscht.
Ach, wie habe man diese Saison leiden müssen. Eine Niederlage sogar gegen Schlusslicht Bellinzona. Heimpleite gegen Chur. Weil Trainer Heinz Ehlers gnadenlos das System eingeübt habe. Ja, ja, sein Betonhockey. Einer, der schon Jahrzehnte dabei ist, präzisiert: «Nein, Betonhockey ist untertrieben. Betonhockey mit viel Armierungseisen.» Und überhaupt: Vier Ausländer könnte Visp nun in der Liga-Qualifikation einsetzen. Hat aber nur drei. Der Vierte wäre der von Servette leihweise übernommene 17-jährige litauische (nicht lettische) Junioreninternationale Simas Ignatavicius. Er bekommt seine Schweizer Lizenz erst auf nächste Saison. Einen Skorerpunkt im Erwachsenenhockey hat er noch keinen gebucht. Heinz Ehlers setzt ihn nicht ein.
Eigentlich hat Visp sogar nur zwei Ausländer: Der überragende Adam Brodecki, der so mannschaftsdienlich rackert, dass er bei Bedarf wohl auch den Teambus fahren würde und der schlaue Jacob Nilsson. Die beiden Schweden werden den Siegestreffer orchestrieren. Der dritte Ausländer Garry Nunn hat verletzungsbedingt erst drei Playoff-Partien gespielt, noch keinen Punkt gebucht und geht Ende Saison sowieso.
Ajoie kann hingegen aus dem Vollen schöpfen. Sieben Ausländer stehen für die vier Plätze zur Verfügung. Mit Jonathan Hazen, T.J. Brennan und dem für die Liga-Qualifikation von Basel verpflichteten Jacob Stukel sitzen drei auf der Tribüne.
Die Stimmung im «Nachrichtenzug» aus dem Wallis ist also melancholisch-neugierig: Mal sehen, aber eigentlich ist die ganze Sache eine Farce.
Nur einer, der im Wallis geblieben ist, räumt Visp sehr gute Chancen ein. Chris McSorley, in Sierre mit einem 80-Millionen-Stadionprojekt und der Zusammenstellung eines Aufstiegsteams ab 2028 beschäftigt, hatte gewarnt: «Visp spielt gänzlich anderes Hockey als das, was Ajoie während der ganzen Saison gewohnt war. Das kann dazu führen, dass die Spieler bald nicht mehr wissen, was sie tun sollen. Weil sie ständig irgendwo hängen bleiben und ihr gewohntes Spiel nicht mehr funktioniert.» Es sei die Taktik von Heinz Ehlers, die zum entscheidenden Faktor werden oder Ajoie zumindest in Schwierigkeiten bringen könne.
Genau so ist es: Ajoie findet von der ersten Minute an kein Mittel gegen Heinz Ehlers taktischen Zaubertrank. Aber Visp zelebriert kein defensives Betonhockey. Eher defensives Gummihockey. Der Schlüssel ist ein aktiv umgesetztes Defensivkonzept, basierend auf viel Laufarbeit der Spieler ohne Scheibe und hoher Disziplin. Wer immer bei Ajoie in Puckbesitz kommt, bleibt an einem Gegenspieler hängen und wird nach aussen abgedrängt. Als habe Visp ständig mehr Spieler im Einsatz. Die Konter laufen schnell und dabei wird das Spiel mit präzisen Pässen zügig ausgefächert. Visp macht in gut 100 Minuten weniger Fehler und schlägt weniger Fehlpässe als ein Team der National League in einer durchschnittlichen Qualifikationspartie.
Am Ende steht ein logischer Verlängerungs-Sieg. 53 Sekunden nach dem Start des dritten Verlängerungsdrittels (100:53 Min.) trifft Jacob Nilsson zum 3:2. Es ist ein logischer Sieg, weil er dem Spielverlauf entspricht und diese Logik macht die Niederlage für Ajoie so gefährlich. Kein einmaliger, nicht wiederholbarer heroischer Triumph mit allem Glück der Welt in einer Partie, die Ajoie, wenn sie denn wiederholt werden könnte, in neun von zehn Fällen gewinnen würde.
Der vermeintlich chancenlose Aussenseiter hält in jedem Bereich mit. Ein Niveauunterschied ist nie zu sehen. Die Torschussstatistik mit dem minimen Vorteil für Ajoie (52:51) zeigt die Ausgeglichenheit. In der Verlängerung ist Visp sogar überlegen (21:25). Auch deshalb, weil Heinz Ehlers konsequent vier Linien einsetzt. Logisch also, dass seine Spieler mehr Energie haben.
Aber es ist nicht nur die Taktik. Es ist auch eine Mischung aus Romantik und Emotionen. Visp ist offensichtlich auf einer Mission. Heinz Ehlers sagt, diese Mannschaft sei in den letzten Wochen «irgendwie zusammengewachsen» und dieser taktische Realist wirkt ob so viel Romantik fast ratlos. Stefan Mäder personifiziert diese gelebte Romantik.
Er steht nach der Partie noch in der ritterähnlichen Ausrüstung und den mit Eisen beschlagenen Schuhen gut gelaunt Red und Antwort. Und als er über das nächste Spiel am Donnerstag spricht, hält er kurz inne und sagt: «Also das ist ja schon morgen. Mitternacht ist ja vorüber …» Eines stellt er klar: «Wir Spieler wollen diesen Aufstieg unbedingt.» In der Kabine ist die Stimmung also offensichtlich eine ganz andere als im Umfeld. Die Kabine ein «Biotop der Leistungskultur» im sonst so beschaulichen Visp, wo sich eigentlich alle schon längst in der gehobenen Zweitklassigkeit bequem eingerichtet haben.
Stefan Mäder ist sicherlich einer der letzten echten Romantiker unseres Hockeys. In Langnau ausgebildet, ist er nach einem Umweg über Sierre, Basel, Olten und Ajoie im Sommer 2021 in Visp angekommen. Inzwischen hat der smarte Defensivcenter mit NHL-Postur (190 cm/97 kg) in über 800 Partien in der zweithöchsten Liga etwas mehr als 300 Skorerpunkte beigesteuert. In der höchsten Spielklasse hat es bloss zu 15 Einsätzen gereicht.
Zur Romantik gehört, dass er im bernischen Niederbipp wohnt, 286 Kilometer nördlich von Visp über die Autobahn und immer noch 145 Kilometer beim Verlad durch den Lötschberg. Aber er reist mit dem Zuge. Täglich. Von Bahnhof im Dorf nach Visp sind es mit der Eisenbahn nur zwei Stunden und zwei Minuten. Das funktioniere gut.
Sportlich eher berühmter ist seine Frau. Er ist mit Joana Heidrich (33) verheiratet. Beachvolley-Europameisterin 2020 und Olympia-Bronze 2021 in Tokyo. Stefan Mäder wird Ende Saison seine Schlittschuhe auch an den Nagel hängen, damit Joana ihre Karriere fortsetzen kann. In drei Wochen erwarten die beiden zum ersten Mal Nachwuchs und Joana sitzt an diesem denkwürdigen Abend in Pruntrut auf der Tribüne. Mehr Romantik geht nicht.
Für Stefan Mäder (34) geht die Reise im Hockey mit dieser Liga-Qualifikation zu Ende. Für Torhüter Robin Meyer (24), in Zug ausgebildet, bei den Lakers einst die Nummer 2, beginnt sie erst richtig: Er wird nächste Saison in Langnau die Nachfolge von Stéphane Charlin (zu Servette oder nach Nordamerika) antreten. Er ist jetzt so etwas wie eine «Westentaschen-Ausgabe» von Stéphane Charlin. Zwei Zentimeter kleiner und zehn Kilo leichter, aber ein ähnlicher Stil: Ein flinker Blocker, der das Spiel sehr gut liest und mit stoischer Ruhe während der Playoffs über 95 und in diesem ersten Spiel der Liga-Qualifikation über 96 Prozent der Pucks abgewehrt hat. Selbst Stéphane Charlins Agent Gaëtan Voisard nickt auf der Tribüne anerkennend und sagt, dem Vergleich mit seinem Klienten stimme er durchaus zu.
Heinz Ehlers weiss, wie schwierig nun die Fortsetzung dieses Hockey-Märchens wird. Nur ja nicht abheben: «Wir müssen demütig bleiben.» Das sagt sich leicht, ist aber bei so viel Romantik nicht ganz einfach. Auch deshalb mag er nicht auf die Frage eingehen, ob er denn bleiben würde, sollte der Aufstieg gelingen. «Was soll diese Frage. Wir haben doch erst ein Spiel gewonnen.» Wohlwissend, dass Ajoie vor zwei Jahren eine Liga-Qualifikation gegen La Chaux-de-Fonds nach zwei Niederlagen noch gedreht hat. Er ist Realist und Taktiker. Kein Romantiker und Träumer.