Titanen surfen nicht. Sie sind nicht dann gross, wenn es sowieso allen läuft. Sie stehen in den kritischen Momenten auf. Wenn ihrer Mannschaft der Untergang droht. So wie Luca Cunti. Biel vergeigt gegen den SC Bern im letzten Drittel in 7 Minuten und 46 Sekunden eine 5:1-Führung. Sieben Sekunden vor Schluss trifft Vincent Praplan zum 5:5.
Der SCB stürzt Biel ins Chaos. Schon am Donnerstag hatte der Meister gegen Fribourg-Gottéron ein 1:4 und 2:5 aufgeholt und dann doch 5:6 verloren. Jetzt reicht es wenigstens für die Verlängerung. Diese Aufholjagden zeigen, wie viel Talent der SCB eigentlich hätte, wie viel Leidenschaft und Mut die Spieler haben, wie miserabel dieses Talent gemanagt wird und wie sehr diese Krise – acht der letzten neun Spiele verloren – haus- und teppichetagengemacht ist. Der Meister ist nach wie vor Tabellenschlusslicht und hat nur noch hauchdünn (0,91) vor Langnau (0,90) den besseren Punkte-pro-Spiel-Schnitt.
Wer ein 1:5 verspielt, gewinnt in der Regel die Verlängerung nicht mehr. Weil die Verunsicherung tief in die Seele gefahren ist. Doch Luca Cunti steht wieder auf und entscheidet die Partie in der 63. Minute mit dem 6:5. Ein Titan eben.
Luca Cunti ist zwar Biels bester Skorer. Aber in der Liga «nur» die Nummer 10 der Schweizer. Und doch: Keiner stürmt so elegant, ist in seinem Spiel so dominant und komplett. Und sein Vertrag in Biel läuft aus.
Nach dem Spiel wird er tatsächlich von einem Reporter gefragt, ob seine formidablen Leistungen einen direkten Zusammenhang mit dem auslaufenden Vertrag haben. Eine Respektlosigkeit sondergleichen. Die Frage suggeriert nämlich, dass Luca Cunti vor allem dann sein bestes Hockey spielt, wenn es um einen neuen Kontrakt geht. Er nimmt diese Provokation mit Gelassenheit und sagt, das könne man so sehen oder auch nicht.
Es stimmt: Sein Vertrag in Biel läuft aus. Aber konkrete Gespräche mit Sportchef Martin Steinegger habe er noch keine geführt. Aus gutem Grund: Zwischen dem Topskorer und seinem Sportchef gibt es so etwas wie eine unausgesprochene Vereinbarung: Ich bleibe, du gibst mir einen neuen Vertrag, gerne für zwei oder drei Jahre, und ich pokere nicht um das Salär.
Dieser goldene Hebst ist eine Entschädigung für den mühseligen Karriere-Start. Heute schier unfassbar, dass er einst 2009 nach seiner Rückkehr aus Nordamerika in Biel, in Bern und in Langnau zum Probetraining eingeladen wurde und doch keinen Vertrag bekam. 12 Partien konnte er schliesslich, geschwächt vom pfeiffer'schen Drüsenfieber, in der Saison 2009/10 für Langnau bestreiten (1 Tor/1 Assist). Aber einen Vertrag bekam er nicht. Und so blieben ihm nur noch die GCK Lions, das Farmteam der ZSC Lions. Dort verbrachte er eine ganze Saison (2010/11) in der Anonymität (42 Spiele/32 Punkte), aus der ihn erst ZSC-Trainer Bob Hartley im Spätsommer 2011 erlöste. Im Frühjahr 2012 war Luca Cunti Meister, im Mai 2013 WM-Finalist. Manchmal lohnt es sich, durchzuhalten.
Luca Cunti ist inzwischen in Biel am Ort seiner Bestimmung angekommen. Er sagt: «Auch meine Familie fühlt sich hier sehr wohl. Das ist für mich sehr wichtig und gibt mir Sicherheit und Rückhalt.»
Das Eishockey macht ihm so viel Spass wie schon lange nicht mehr. Er dirigiert als Center mit den zwei Flügeln Damien Brunner und Mike Künzle die beste Schweizer Formation. Ein Trio aus der Zürcher Hockeykultur, das nun im Bernbiet Tempo bolzt und jeder hat eine so gute Vista und so feine Hände, dass der Puck auch bei hoher Geschwindigkeit kontrolliert werden kann.
Luca Cunti ist auch ein Romantiker, dem die Lust am Spiel viel bedeutet. Alle grossen Spieler sind so. Und Biel ist eine Organisation, die es bei aller Professionalität und den hohen Ansprüchen versteht, diese Romantik wie vielleicht sonst nur noch die Langnauer zu bewahren. Der Neffe von Arosa- und SCB-Legende Pietro Cunti, ein Titan im Tempel der letzten Romantiker.
Es dauerte im Spätsommer eine Weile, bis der neue Trainer Lars Leuenberger die Kultur dieser Romantik verstanden hatte. Bei seinem letzten Trainerjob hatte er 2016 den SC Bern zum Titel geführt. In einem Hockeyunternehmen, das damals noch meisterlich durchorganisiert und von Taktik, Disziplin und Zweckhockey geprägt war.
Lars Leuenberger ist nach Ed Reigle, Paul-André Cadieux und Antti Törmänen der vierte SCB-Meisterrainer, der sein Glück in Biel versucht. Nur Ed Reigle hat auch mit Biel den Titel geholt.
Der Bruder von ZSC-Sportchef Sven Leuenberger musste erst lernen, den Spielern mehr taktische Freiheiten zu gewähren. Biel ist und bleibt in seiner DNA eine spektakuläre Lauf- und Tempomannschaft mit fast 34 Abschlussversuchen pro Spiel. Es ist das Eishockey, das Luca Cunti und seine beiden Flügel Damien Brunner und Mike Künzle so gerne zelebrieren. Und gerade wegen der läuferischen und technischen Qualitäten wohnt Biels Spektakelspiel der Hang inne, es mit dem Kombinieren und Kreisen und Kreieren und Kurven zu übertreiben. Bis dann halt doch irgendein gegnerischer Stock oder Schlittschuh die Kombinationen unterbricht.
Biel hätte nicht sechs der letzten sieben Spiele gewonnen, wenn Luca Cunti und Damien Brunner nicht immer wieder in richtigen und wichtigen Momenten doch ins Tor treffen würden.