50 Minuten und ein paar Sekunden lang bleibt die Kabinentüre nach dem 1:2 in Langnau geschlossen. Niemand geht hinein. Niemand kommt heraus. Es gibt zwar keine offizielle Statistik. Aber es dürfte sich um die längste Kabinenpredigt der Geschichte in einem fremden Stadion handeln. Fünf Chronisten warten im Bauch des Stadions an der Ilfis geduldig darauf, dass die Kabinentüre geöffnet wird und ein paar Spieler zur schmerzhaftesten Niederlage der Saison, zur grossen Krise, zur Zukunft des Trainers befragt werden können. Die Warterei verkürzen sich die Wortakrobaten mit allerlei verbalen Kreationen, Sprüchen und Situationsanalysen, die, unzensiert einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, einen erheblichen Unterhaltungswert hätten.
Die Warterei lohnt sich. Gaëtan Haas und Noah Delémont geben Auskunft. Ein Chronist, dem Akzent nach einer aus der Deutschschweiz, fällt sozusagen mit der Kabinentüre ins Haus und fragt Gaëtan Haas in französischer Sprache und direkt heraus, ob der Job des Trainers nun in Gefahr sei. Er sagt: «Nein, aus der Sicht von uns Spielern überhaupt nicht.» Er erklärt, dass alle hinter dem Trainer stehen und am gleichen Strang ziehen. Das sagen in so einer Situation seit der Gründung des schweizerischen Eishockeyverbandes (1908) zwar alle. Es ist sozusagen die häufigste Lüge der Hockey-Weltgeschichte. Aber hier dürfte diese Lüge für einmal die Wahrheit sein.
Biels Captain war noch nie ein Mann der billigen Ausreden und Floskeln. Er fügt seiner Erklärung etwas an, das uns die Romantik der Krise erklärt. Zusammengefasst in der deutschen Übersetzung sinngemäss: «Der Trainer gibt doch auch sein Herz.» Das ist es. Wenn der Trainer versucht, seinen Spielern auf dem Weg aus der Krise zu helfen, und es mit Leidenschaft tut, wenn er bei allen Ecken und Kanten den Respekt nicht verliert, dann kann er auf die Hilfe seiner Spieler zählen. Das ist die Romantik dieser Krise: Einer für alle, alle für einen.
Möglich ist diese Romantik wohl nur in Biels ganz besonderer Hockeykultur. Dieses 1:2 in Langnau ist die dritte Niederlage in den letzten vier Partien. Es ist eine Niederlage in einem Spiel, das die Bieler so unbedingt wie noch keines in dieser Saison gegen einen direkten Konkurrenten im Kampf um die letzten Playoff-Tickets gewinnen wollten, gewinnen mussten. «Es ist eine sehr schmerzhafte Niederlage», sagt Noah Delémont. «Es ist die bisher schmerzhafteste.» Jeder Trainer hat eine Anzahl Niederlagen zugute. Aber einmal ist es die Niederlage zu viel.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Aber (noch) nicht in Biel. Erstens ist durch das leidenschaftliche Engagement jedes einzelnen auch in dieser Partie offensichtlich, dass diese Mannschaft intakt ist. Zweitens handelt es sich hier tatsächlich um eine ganz besondere Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft. Ein Trainer ist dann chancenlos, wenn er, wie die Nordamerikaner sagen, «die Kabine verliert». Also die Unterstützung der Spieler. Petri Matikainen mag hin und wieder toben und im Umgang unkonventionell sein. Aber er ist bisher authentisch geblieben. Sein Sportchef Martin Steinegger hat es kürzlich so gesagt: «Er ist noch an keinem Tag mutlos oder niedergeschlagen zum Training gekommen. Er sucht immer wieder nach Lösungen und gibt nie auf.»
Die Frage ist natürlich, was denn nach Spielschluss 50 Minuten lang in der Gästegarderobe in einem fremden Stadion besprochen worden ist. Hin und wieder ist im Gang durch die Wände hindurch die anschwellende Stimme von Petri Matikainen zu hören. Dann ist es wieder längere Zeit fast gespenstisch ruhig. Noah Delémont wird hinterher sagen, es sei keineswegs ein Monolog des Chefs gewesen. Also kein anhaltendes verbales Donnerwetter. «Wir haben darüber diskutiert, was wir tun können, um aus der Krise herauszukommen.» Das Wort «Krieg» gehört nicht in eine Sportberichterstattung. Sonst könnten wir dieses Nachsitzen in der Kabine umgangssprachlich als «Kriegsrat» bezeichnen: Mit Stöcken bewaffnete Männer scharren sich in einem kritischen Augenblick um ihren Anführer, um eine kritische Lage zu besprechen.
Ein Straftraining ist offensichtlich nicht verordnet worden. Noah Delémont sagt, am Sonntag sei erst einmal frei. «Es ist eine Gelegenheit, auch an etwas anderes als Hockey zu denken. Aber natürlich beschäftigt sich jeder von uns auch an einem freien Tag mit der Situation.»
Was ist die Lösung? Es gibt eine einfache Antwort: so weitermachen wie bisher. Erstens ist das Spiel der Mannschaft gut strukturiert, was sich an einer statistischen Kuriosität zeigt: Biels Torverhältnis (62:74) ist signifikant besser als jenes von Langnau (62:85). Aber Langnau hat 10 Punkte mehr. Der populäre Vorwurf «kein System» trifft überhaupt nicht zu. Zweitens gibt es an der Einsatzbereitschaft jedes einzelnen nichts auszusetzen. Ein Motivationsschub durch einen Trainerwechsel ist nicht zu erwarten. Drittens wird eher früher oder später bei gleichen Leistungen wie am Freitag gegen die ZSC Lions und am Samstag in Langnau die Wende gelingen. Viertens ist im Notfall der neue Trainer schon da: Sportchef Martin Steinegger würde dann übernehmen.
Biel riskiert wenig. Das Publikum trägt die Mannschaft durch die Krise, der Schnitt pro Spiel ist höher als während des Höhenfluges der letzten Saison. Ein Verpassen der Playoffs wäre für den Vorjahresfinalisten zwar schmählich, aber sportlich folgenlos: Selbst im schlimmsten aller Fälle passiert nichts. Es ist ausgeschlossen, dass diese Mannschaft eine Liga-Qualifikation über sieben Partien verlieren und absteigen könnte. Eher würden in der Stadt der Zeitmaschinen alle Uhren stillstehen.
Und was ist mit der ganzen Krisenromantik, wenn Petri Matikainen doch gefeuert wird oder das Handtuch wirft? Dann war halt der Chronist ein Krisenromantiker.
Viele Biel-Fans ignorieren komplett, dass es auch unter Tormänen Phasen von 8 oder mehr Niederlagen de suite gab. Und da gabs viele die eine Entlassung forderten und einen harten Hund als Trainer. Genau das soll jetzt mit Matikainen das Problem sein....
Er ist sicherlich nicht fehlerlos und ich habe keine Ahnung ob er der richtige Trainer ist. Aber es ist wies ist, wenns nicht läuft ist der Trainer an allem Schuld.