Zwei Uhren künden vom Drama. Die Matchuhr im Stadion in Pruntrut zeigt 93 Minuten und 43 Sekunden an. 00:14 Uhr – also 14 Minuten nach Mitternacht – zeigen die Uhren an den Kirchtürmen, Bahnhöfen, Flughäfen und Handgelenken in ganz Mitteleuropa. Wie es sich gehört, wird eines der ganz grossen Dramen unseres Hockeys erst in der Geisterstunde entschieden. Captain Harri Pesonen trifft in der Verlängerung zum 5:4. Langnau ist gerettet. Ajoie muss seinen Platz in der höchsten Liga gegen La Chaux-de-Fonds verteidigen.
Harri Pesonen hat schon viel erlebt und oft gefeiert. Der Hockey-Weltreisende spielte in Finnland, in Amerika und in Russland. Er war zweimal finnischer Meister. Letzte Saison ist Langnaus freundlicher Leitwolf Olympiasieger und zum zweiten Mal Weltmeister geworden. Aber so etwas wie diese sportliche Rettung in der Geisterstunde ist für ihn eine neue Erfahrung. «Ich habe vor dem Spiel mit Freunden in Finnland telefoniert. Sie sagten mir, ich solle es einfach so angehen wie einen Final bei der Weltmeisterschaft oder bei Olympischen Spielen. Ich war nicht dazu in der Lage, ihnen zu erklären, wie sehr sich die Belastung solcher Abstiegsspiele von allem anderen unterscheidet, was ich bisher erlebt habe. Es ist ein riesiger Unterschied, ob man um einen Titel oder um die Existenz eines Klubs, ja sogar um Arbeitsplätze spielt.»
🚨 Harri Pesonen a mis fin au marathon de l'Acte VI de playouts à la 94e minute! 🥱 Ce but a permis aux @hopplangnou de se maintenir en @NLch_official. 👏
— MySports - C'est le hockey (@MySports_CH_fr) March 26, 2023
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Ein Zyniker – die gibt es auch im Hockey – hat es einmal in einer bitteren Stunde eines ähnlichen Abstiegsdramas auf den Punkt gebracht. Seine Definition ist eigentlich nicht zeitgemäss und politisch auch nicht ganz stubenrein. Deshalb vorab eine Entschuldigung. Aber diese Erklärung trifft es so gut, dass sie hiermit doch dem Publikum zugänglich gemacht werden soll: Ein Playoff-Final sei emotional so, wie zu einer Hochzeitsfeier zu gehen. Ein Abstiegsdrama sei emotional wie das Durchfechten einer bösen Kampfscheidung.
Wir sind kurz abgeschweift. Also: Dieses erlösende Tor nach Mitternacht ist erst Harri Pesonens zweiter Treffer und sein zweiter Skorerpunkt in diesem Playout-Final. Es ist nicht die lähmende Wirkung der Nervenbelastung, die den offensiven Wirkungskreis des Captains eingeschränkt hat. «Ich habe eine Grippe erwischt. Die Mannschaft hat mich durch die ersten drei Spiele getragen. Jetzt geht es wieder …»
Damit spricht er die ganz grosse Qualität der Langnauer an: Miteinander, füreinander. Gelebte, wahre Hockeyromantik. Sie zeigt sich auch darin, dass der abgesetzte Captain Pascal Berger am Donnerstag den erlösenden Treffer in der Verlängerung erzielt. Sein Nachfolger, Captain Harri Pesonen, entscheidet drei Tage später (es ist ja bereits Sonntag, als er trifft …) die letzte Partie.
Es ist diese Hockeyromantik, die Cody Eakin im Schlusswort beschwört. Die Langnauer verschwinden nach vollbrachter Rettung erst mal in der Kabine, bevor sie sich dann draussen auf dem Eis von den Fans verabschieden. Leitwolf Cody Eakin hält eine kurze, prägnante Schlussansprache. In englischer Sprache natürlich. Seine Kernbotschaft: Genau das mache Hockey aus: jeder für jeden. Teamgeist. Als er geendet hat, fordern seine Mitstreiter im Chor: «Another year! Another year!»
Der Kanadier ist erst Ende Oktober als Ersatz für Alexandre Grenier (zu Berlin) nach Langnau gekommen. Er hat sich mit Leidenschaft und vorgelebtem Teamgeist rasch zu einer zentralen Figur auf dem Eis und vor allem in der Kabine entwickelt. Er wird im Mai 32 Jahre alt. Eigentlich hat er seiner Familie versprochen, nun nach Hause zurückzukehren. Die Langnauer haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihn zu einem weiteren Jahr überreden zu können. Bleibt Cody Eakin, fehlt nur noch ein ausländischer Center zur Komplettierung des Ausländersextettes. Vier sind bereits unter Vertrag: die Verteidiger Vili Saarijärvi und Juuso Riikola sowie die Stürmer Aleksi Saarela und Harri Pesonen.
Für Langnau ist es mehr als bloss die Rettung. Es ist wie eine Auferstehung aus der sportlichen Agonie. Im Fegefeuer der zwei Verlängerungen dieses Playout-Finals hat Langnau eine neue Identität gefunden.
Ein Blick zurück zeigt die Notwendigkeit einer neuen Identität nach dem dramatischen Zerfall der Leistungskultur. Im Kontrast zum Aufstieg der Rapperswil-Jona Lakers, die ähnliche wirtschaftliche und sportliche Voraussetzungen haben und als eindrückliches Beispiel für die Erneuerung einer Leistungskultur stehen.
Kein Wunder, sagt Langnaus Trainer Thierry Paterlini nach Mitternacht oben in Pruntrut, dieser Playout-Final habe seine Mannschaft weitergebracht. Das Saisonziel war Rang 12. Der Gewinn der «Kellermeisterschaft»: Der vorzeitige Ligaerhalt ohne Drama. «Hätten wir dieses Ziel erreicht, wären wir einfach in die Ferien verreist. Dieser Playout-Final wäre uns erspart geblieben. Aber dann hätten wir eine wertvolle Erfahrung und einen Lernprozess verpasst. Dieses Erlebnis hat uns als Mannschaft weitergebracht und besser gemacht.» In diesem Playout-Final habe Langnau gelernt, entscheidende Spiele zu gewinnen. «Das haben wir jetzt in unserem Rucksack.» Davon werde man in Zukunft zehren können. Das sei wichtig. «Wir müssen besser werden, wenn wir nächste Saison nicht wieder in die gleiche Situation geraten wollen.»
Ein neues Langnau, geschmiedet im Fegefeuer der Verlängerungen des Abstiegsdramas. Die SCL Tigers gar die neuen Lakers? Nein, solche Hoffnungen sind weit überzogen. Aber ein neues Ambri kann Langnau werden. Und Sportchef Pascal Müller und sein Trainer Thierry Paterlini nach dem glücklichen Ende ihres ersten Jahres im Emmental die Deutschschweizer Antwort auf Paolo Duca und Luca Cereda.
Richtig erkannt von Thierry. Andere Teams machen diesen Prozess durch in den Playoffs. Wichtig ist, dass man als Einheit zusammenwächst, zusammen mehr ergibt als die Summe der Einzelnen und aufopferungsvoll einen Weg zum Sieg findet.
Es ist wichtig zu wissen, wie man das schafft.
Heute Morgen wussten die Tigers, dass sie die 2 Tore aufholen können und haben daran geglaubt. Das sah man. Dasselbe in der OT.
Die Tiger haben wieder Feuer in den Augen.