Der Sieg gegen Finnland beschert uns im Viertelfinal Deutschland. Wie 1992, 2021 und 2023. Wir siegten 1992 in Prag (3:1) und verloren 2021 (2:3 n. P.) und 2023 (1:3) in Riga. Erwähnenswert auch: 2004 haben wir uns nach einem 1:0 gegen Deutschland in Prag auf Kosten von Deutschland für den Viertelfinal qualifiziert.
Etwas ist anders als 1992, 2004, 2021 und 2023. Es wird am Donnerstag im Falle einer Niederlage eigentlich keine Ausreden geben. Der Grund: Die Schweiz ist nominell (also auf dem Papier) erstmals besser – und vieles deutet darauf hin, dass es die Deutschen noch nicht gemerkt haben.
Zwecks Vereinfachung reduzieren wir die etwas polemische Analyse auf zwei Namen: Roman Josi (33) und Moritz Seider (23). Roman Josi ist da. Moritz Seider nicht. Der defensive Titan war 2021 und 2023 ein Verteidigungsminister, an dem die Schweizer einfach nicht vorbeikamen. Erstrunden-Draft 2019, 2021 und 2023 im All-Star-Team der WM, 2022 NHL-Rookie des Jahres (Calder Trophy). Moritz Seider ist wahrscheinlich Deutschlands bester Verteidiger seit Udo Kiessling und Uli Hiemer. Deutschlands Antwort auf Roman Josi. Defensiv so gut wie Josi. Offensiv nicht ganz.
Um den Stil zu vergleichen: Josi ist der Roger Federer, Seider der Boris Becker des Hockeys. Spielt er, ist die deutsche Mannschaft eine andere. Eine für die Schweiz unbesiegbare. Spielt er hingegen nicht wie nun bei der WM 2024, ist die Schweiz Favorit. 2021, 2022 und 2023 war Roman Josi nicht im WM-Team. Mit Josi ist unser WM-Team ein anderes. Eines, das Deutschland besiegen kann.
Einen Sieg gegen Deutschland zu fordern, ist natürlich reichlich arrogant und eigentlich ein unerhörter Hochmut. Aber wenn Roman Josi dabei ist (und Moritz Seider nicht), wenn das nominell beste WM-Team der neueren Geschichte zur Verfügung steht, wenn der Halbfinal das Ziel ist, dann wird die Forderung nach einem Sieg gegen ein Deutschland ohne Moritz Seider realistisch.
Unser WM-Team ist nicht nur nominell das beste, es ist auch das ausgeglichenste der Neuzeit: Ausser Sven Jung und Christian Marti hat jeder schon mindestens einen Skorerpunkt auf dem Konto. Nur ein einziger (Sven Andrighetto) weist eine Minus-Bilanz auf und lediglich Roman Josi musste bisher durchschnittlich mehr als 20 Minuten Eiszeit pro Partie schultern (24:05 Minuten). So viel Eiszeit braucht er sowieso. Sonst kommt er nicht auf Touren.
Er sagt, die Ausgeglichenheit, die Geduld und der Zusammenhalt des Teams seien die grossen Qualitäten. Kevin Fiala spricht sogar von einer grossen Familie. Diese Romantik gehört zu einer grossen Mannschaft. Sie ist ein Teil der Magie.
Bei einer Niederlage – die nie ausgeschlossen werden kann – ist in der Analyse stets zu berücksichtigen, wie sie zustande gekommen ist. Sind die Schweizer vom Schiedsrichter «betrogen» worden? Waren sie himmelhoch überlegen (35:15 Torschüsse) oder hatten sie viel Pech (vier Latten- und zwei Pfostentreffer)? Das wären für ein Scheitern gegen Deutschland zumindest mildernde Umstände.
Sollte hingegen der Torhüter versagen, dann gibt es kaum mildernde Umstände. Denn dann hätte Patrick Fischer – wie 2023 mit Robert Mayer statt Leonardo Genoni – den falschen Torhüter nominiert. Er hat mit Leonardo Genoni und Akira Schmid zwei Goalies zur Verfügung, die bisher über 92 Prozent der Pucks pariert haben. Akira Schmid war gegen Finnland gut. Aber wahrscheinlich zu wenig magisch, um Leonardo Genoni für den Viertelfinal zu verdrängen.
Der Pessimist sagt: Dem Spiel der Schweizer fehlt seit der Niederlage gegen Kanada (2:3) die Magie. Roman Josi fliegt nicht mehr übers Eis.
Der Optimist aber entgegnet: Gegen Deutschland mag Magie hilfreich sein. Aber wichtiger wird es sein, das Spiel zu vereinfachen. So wie beim 1:0. Romain Loeffel drischt den Puck in der Verlegenheit aus der eigenen Zone heraus aufs finnische Tor. Harri Säteri lässt abprallen. Auf den Stock des Magiers Kevin Fiala, der bei allen drei Treffern den Stock im Spiel hat. Die Magie von Fiala und die Bereitschaft, halt auch das Einfache, Unspektakuläre zu tun, einfach zu malochen und den Puck wegzuhauen wie Loeffel – in einer Szene das Erfolgsrezept gegen Deutschland.
Die Statistik ermuntert zur Hoffnung auf einen «billigen» Treffer auch gegen Deutschland: Weder Philipp Grubauer aus der NHL (mit dem gleichnamigen ehemaligen Langnauer Meistergoalie Edgar Grubauer nicht verwandt) noch Mathias Niederberger erreichten bei der WM eine für einen Sieg gegen die Schweiz unerlässliche Fangquote von mindestens 90 Prozent.
Ein weiterer Unterschied zu 2021 und 2023: Die Schweizer sind besser, aber zugleich demütiger. Es spricht vieles dafür, dass die Deutschen die Schweizer zum ersten Mal unterschätzen könnten. Sie haben drüben in Ostrava noch nicht in vollem Umfang erfasst, dass wir hier in Prag ein ganz anderes Schweizer WM-Team gesehen haben als 2021 und 2023.
Und wenn die Schweizer gegen Deutschland doch verlieren?
Für ein Scheitern gäbe es hockeytechnisch wohl keine – oder fast keine – Erklärung. Aber dem Chronisten sicherlich eine Steilvorlage für eine Polemik.
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(Sinngemäss nicht inhaltlich)
Hoffentlich musst du am Freitag nicht wieder die Vorjahresartikel raussuchen.