Marco Bayer sagt, er sei nach dem Spiel gegen Lausanne in der Garderobe laut geworden. Die Frage, die diese Meisterschaft entscheiden kann:
Nach dem 2:4 in Fribourg nun eine bittere 1:2-Niederlage in einem intensiven, dramatischen und hochstehenden Spiel auf eigenem Eis. Ausgerechnet gegen Lausanne. Schon letzte Saison der härteste Gegner, den die ZSC Lions erst im 7. Finalspiel zu bodigen vermochten. Nun ist Lausanne noch besser, härter, schlauer, talentierter, selbstsicherer geworden.
Der Optimist sagt: Niemand wird am Ende der Saison nach zwei Niederlagen im Januar fragen. Kein Grund zur Sorge. Die ZSC Lions sind nach Verlustpunkten nach wie vor Tabellenführer und im Halbfinal der Champions Hockey League gegen Servette klarer Favorit.
Trainer Marc Crawford (63) hat sein Amt zwar aus gesundheitlichen Gründen abgegeben. Aber die Mannschaft ist intakt. Sie braucht weder ein anderes System noch zusätzliches Konditionstraining. Marco Bayer kann einfach die Arbeit seines Vorgängers weiterführen. Er hat hockeytechnisch den einfachsten Job der Liga.
Aber nun zeigt sich: Es mag aus technisch-taktischer Sicht so sein, dass die ZSC Lions am Telefon zum Titel gecoacht werden könnten.
Aber es gibt noch eine andere Seite. Marco Bayer muss den vielleicht charismatischsten, beliebtesten Trainer der ZSC-Historie ersetzen. Die 11. Minute in der Partie gegen Lausanne beschert dem Publikum in der ausverkauften Arena den emotionalsten Moment der Saison. Auf der Stehrampe («Limmatblock») werden drei Spruchbänder entrollt.
«Marc, your legacy will never fade.»
«In our hearts your mark is made!»
«Get well soon!»
Minutenlanger rauschender Beifall. Es ist der Abschiedsgruss an den doppelten Meistertrainer Marc Crawford (2014, 2024). Der Kanadier hat sich in der Altjahrswoche aus Zürich verabschiedet. Er braucht seine ganze Kraft im Ringen mit den Dämonen der Depression. Ein Chef, der mit seiner Leidenschaft die gesamte ZSC-Kultur inspirierte, hat auch die Grösse zu seiner Schwäche zu stehen und gibt seine Arbeit auf. Weil er sich nicht mehr in der Lage sieht, diese Arbeit mit der ihm eigenen Hingabe zu machen.
Hockeytechnisch mag das Erbe einfach sein. Marco Bayer sagt, zu 95 Prozent bleibe alles so, wie es war. Die restlichen, die neuen, von ihm eingebrachten fünf Prozent seien bloss Details. Beispielsweise beim Positionsspiel in der eigenen Zone («an ein paar Schrauben drehen»).
Er kennt das System: Im Farmteam GCK Lions wird in den taktischen Grundzügen gleich gespielt. Das erleichtert den Spielern die Integration, wenn sie zu den ZSC Lions nach oben geholt werden. Mit Marc Crawfords Hockeyphilosophie sei er vertraut. «Wir hatten in den letzten anderthalb Jahren einen intensiven Gedankenaustausch und er kam immer wieder auch zu den Spielen der GCK Lions.»
Marco Bayer ist also der richtige, in dieser Situation gar der perfekte Nachfolger: Er kennt den Fuchsbau ZSC Lions bis in alle Winkel, er isst, trinkt, atmet und lebt Hockey, er hat unendlich viel Erfahrung aus 30 Jahren Profihockey als Spieler, Assistent und Trainer. Er coachte den SCB 2016 zusammen mit Lars Leuenberger zum Titel und die GCK Lions im letzten Frühjahr in den Final der Swiss League.
Er hat Chuzpe (= unbekümmertes, pfiffiges Selbstvertrauen) und gerade deshalb ist er nach dem 1:2 gegen Lausanne in der Kabine laut geworden. Die Mängel im Spiel hat er klar erkannt: zu wenig Geradlinigkeit. Zu viel werde aussenherum gespielt («chügele)». Und er sagt deutsch und deutlich:
Dafür nehme er die Verantwortung auf sich. Deshalb sei er in der Kabine laut geworden. Und auf die launige Bemerkung, es könnte nicht schaden, Denis Malgin ein wenig Beine zu machen (2 Assists in den letzten 6 Spielen) nimmt er seinen Schillerfalter nicht in Schutz:
Womit wir bei der alles entscheidenden Frage sind: Was bewirkt Marco Bayer, wenn er in der Kabine laut wird? Bewegt dann Denis Malgin die Beine ein bisschen mehr? Die Kabinensprache ist Englisch. Tritt Marco Bayer vor die Mannschaft, dann spricht er die Sprache seines Vorgängers. Aber wenn ein charismatischer kanadischer Chef leidenschaftlich in seiner Muttersprache tobt, so tönt sein Englisch mit ziemlicher Sicherheit nicht gleich wie das eines energischen Zürchers. Und die Wirkung dürfte auch eine andere sein.
Die Spieler und Marco Bayer stehen noch im langen Schatten von Marc Crawford. Der Kanadier ist nach wie vor allgegenwärtig. Marco Bayer sagt, Marc Crawford schaue drüben in seiner Heimat jede Partie. Er habe mit ihm schon telefoniert und werde die Partie gegen Lausanne mit ihm am Montag telefonisch besprechen. Der Kontakt sei aber nur in der Anfangsphase so intensiv. «Das werde ich nicht bis Saisonende so durchziehen. Aber zum Einstieg hilft mir das.»
Der neue ZSC-Trainer wirkt vorerst noch wie ein Platzhalter für Marc Crawford. Als ob der Kanadier – sein Vertrag ist ja noch nicht aufgelöst – am Ende vielleicht doch wieder kommen könnte. Was allerdings ausgeschlossen werden kann.
Auch die Spieler haben die Trennung noch nicht ganz verarbeitet. Nationalverteidiger Christian Marti sagt, auch er sei vom Abschied völlig überrascht worden. Es habe nie Anzeichen einer Schwäche gegeben. Bei einem «normalen» Trainerwechsel profitiert der neue Chef vom Bonus der Erleichterung: Ein ungeliebter oder wenig respektierter Trainer muss gehen, alle sind froh und die Post geht erst einmal ab: Gottéron hat nach der Trennung von Patrick Emond unter dem neuen Trainer Lars Leuenberger alle drei Meisterschaftspartien und den Spengler Cup gewonnen.
Marco Bayer aber muss die Nachfolge eines hoch respektierten, beliebten, charismatischen Vorgängers antreten. Er kann laut oder leise sein, er kann machen, vorkehren, verlangen, fordern und sagen, was er will. Er kann nicht der neue Marc Crawford sein. Die ZSC Lions haben eine hoch entwickelte Leistungskultur und sollten, ja müssten eigentlich auch unter Marco Bayer die Liga rocken.
Aber in den Playoffs wird es darum gehen, jeden einzelnen an die Schmerz- und Leistungsgrenze oder darüber hinaus zu treiben. Da wird es nicht um Technik und Taktik, da wird es um die «weichen» Faktoren, da wird es darum gehen, welche Wirkung es haben wird, wenn Marco Bayer in englischer Sprache in der Kabine tobt. Er hat hockeytechnisch den einfachsten und psychologisch den schwierigsten Job der Liga.
Und da ist noch etwas: Ein guter Trainer braucht auch Glück. Ein Tropfen Glück ist manchmal besser als ein Fass voll Verstand. Deshalb hat Napoléon – er verstand etwas von Führung – bei jedem, der ihm zur Beförderung zum General vorgeschlagen worden ist, die Frage gestellt: «Aber hat der Mann auch Glück?»
Marc Crawford hatte dieses Glück, das Napoléon meinte. Marco Bayer hatte dieses Glück gegen Gottéron und Lausanne noch nicht. Ohne dieses Glück kann er am Dienstag in Kloten nicht gewinnen und im April nicht Meister werden. Die ZSC Lions haben schon ein wenig Grund zur Sorge.
Es ist eine Mammut Aufgabe in die riesigen Fussstapfen von Marc Crawford zu stehen. Das hat auch dieser Hühnerhaut Moment in der Arena bewiesen, auch ich hatte etwas Pippi in den Augen.
Einerseits hat der ZSC alles richtig gemacht mit dem Upgrade von Marco Bayer und es wäre zu schön wenn das funktioniert, gerade auch weil ein Schweizer diese Chance bekommt.
Andererseits weiss ich nicht ob es wirklich eine Chance oder es eher eine Strafe ist, denn dieses Star Ensemble zu coachen ist extrem anspruchsvoll, da scheiterten grosse Namen