Undank ist der Welten Lohn: fast 20 Jahre lang – von 2002 bis 2020 – dient Chris McSorley Servette. Und vollbringt Wunder. Er erlöst den Klub im Frühjahr 2002 aus 28 Jahren Zweit- und Drittklassigkeit und macht daraus das bestfunktionierende Sportunternehmen im Welschland. Kein Wunder, wird er von den Fans nach wie vor als «Jesus Chris» verehrt.
Natürlich weiss auch McSorley, der 58-jährige Kanadier, was uns der grosse Goethe gelehrt hat: Leider lässt sich wahrhaftige Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken. Wäre das möglich, würde es Servette-Präsident Laurent Strawson noch so gerne und wortreich tun.
Aber Dankbarkeit wird im 21. Jahrhundert im Sportbusiness in Geld ausgedrückt. Und dafür hat Laurent Strawson kein Musikgehör. Chris McSorleys Beziehung mit Servette endet in diesen Tagen in einem bitterbösen Rosenkrieg.
Stark vereinfacht gesagt: Beim Verkauf von Servette handelte der smarte Kanadier einem Rentenvertrag mit den neuen Besitzern aus. Manche sagen, er müsste bis 2028 gelöhnt werden. Laurent Strawson neigt eher zu der Meinung, alles sei per Saldo aller Ansprüche bezahlt.
Zur hellen Freude der Anwälte kommt die Sache vor Gericht. «Tough Guy – behind the Bench and in Court». Ein möglicher Titel für die Memoiren des charismatischen Kanadiers.
Aber das letzte Kapitel ist noch lange nicht geschrieben. Chris McSorley, arbeitslos, sucht einen Job. Aber nachdem er die SCB-Oberen mit Fachkompetenz geschockt hat (fatalerweise nahm er an, mit Marc Lüthi auf Augenhöhe reden zu dürfen), tritt er bescheidener auf. Er sagt: «Ich will nur noch ein Coach sein». Wahrlich ein Schuft, wer sich daran erinnert, dass er auch schon gesagt hat, sein Traum sei es schon immer gewesen, als Manager ein Team aufzubauen.
Chris McSorley «nur» ein Coach? Kann ein Mann, der fast 20 Jahre lang auf und neben dem Eis alles war – Coach, Sportchef, General Manager, Pressechef, PR-Spezialist, Gastronom, Finanzexperte – und in allen Dingen das letzte Wort hatte, nur noch Lohnempfänger sein?
Nein, kann er nicht. Oder besser: Er könnte es schon. Aber niemand glaubt ihm das. Wer Chris McSorley holt, befürchtet die Deutungshoheit über sein eigenes Unternehmen zu verlieren.
Kommt der charismatische Kommunikator, dann würde er es sein, der den Chronistinnen und Chronisten und vor TV-Kameras erklärt, was Sache ist. Der Präsident (oder die Präsidentin), der Sportchef (oder die Sportchefin) kämen nicht mehr aus dem (medialen) Schatten heraus. Und jeder Sportchef, der ihn holt, müsste um seine Macht und letztlich um seinen Job fürchten.
«Too big to fail» ist ein Begriff, der sagt, ein Unternehmen sei zu gross, um untergehen zu können. «Too big to be hired» heisst es für Chris McSorley: zu gross, um ein Angestellter zu sein.
Was seine Jobsuche erschwert: Er ist seit bald 20 Jahren im Land. Einer wie er kann nicht einen Agenten hausieren lassen. Und wenn er selbst anruft, sinkt der Preis. Chris McSorley ruft an, um nach einem Job zu fragen? Da kriecht wohl eher das Kamel durchs Nadelöhr.
Nun, da sein «Lebenstraum» Bern nicht mehr Wirklichkeit werden kann (auf dem SCB-Thron hat es ja nur einen Platz und der ist für Marc Lüthi reserviert) gibt es eine interessante Frage: Für welchen Klub macht es Sinn, Chris McSorley als Coach zu holen?
Für die Grossen in Zürich, Zug und Lausanne, die den Ansprüchen des Kanadiers angemessen wären, ist kein Job frei. Auch dann nicht, wenn diese drei in den Playoffs – so sie denn stattfinden – krachend scheitern sollten.
Natürlich wäre Chris McSorley die perfekte Lösung, um Zug – sollte es dieses Jahr wieder nicht reichen – spätestens in zwei Jahren zum Meister zu machen. Aber ganz abgesehen davon, dass der Vertrag mit Dan Tangnes schon verlängert worden ist: Chris McSorleys kompromisslose Hockeyphilosophie ist Zugs Hockey-Ästheten zu rustikal.
In Davos, Biel, Ambri und bei Gottéron könnte sich der Kanadier nicht in die Unternehmenskultur integrieren und diese Klubs suchen sowieso keinen neuen Trainer.
Eigentlich bleiben – bei Lichte besehen – nur drei mögliche Lohn- und Arbeitgeber: die Lakers, Langnau und Lugano. Bei allen drei laufen offiziell – Stand heute Freitag, 12. Februar 2021, 08.00 Uhr – die Verträge der Cheftrainer (Jeff Tomlinson, Rikard Franzén, Serge Pelletier) aus.
Die Lakers? Es wäre eine einmalige Chance, den Titanen der Liga näherzukommen. Langnau? Darauf werden wir noch zurückkommen. Eigentlich kommt nur Lugano in Frage. Dort stimmt alles: Geld, die Lage am See, die Ambitionen der Besitzerin und die Unternehmenskultur.
Chris McSorley kann beides: ein Maximum aus den Stars herausholen und die Talente fordern und fördern. Lugano braucht beides. Mit 58 ist er auch nicht zu alt. Kari Jalonen war auch schon 56, als er nach Bern kam. Und die Geschichte lehrt uns: Lugano hatte seine besten, ruhmreichsten Jahre mit charismatischen, machtbewussten Trainern mit grossem Ego (John Slettvoll, Jim Koleff, Larry Huras).
Doch da ist noch etwas anderes: Wertkonservative Nordamerikaner wie Chris McSorley fürchten weder Tod noch Teufel, weder Polemik in den Medien noch Aufstände in der Kabine, weder Schiedsrichter noch Liga- oder Bürogeneräle. Tiefen Respekt haben sie einzig und allein vor der Macht des Geldes. Also vor den Teambesitzern oder Teambesitzerinnen. Erst recht, wenn es Milliardäre oder Milliardärinnen sind.
Chris McSorley würde also perfekt zu Lugano passen. Wenn er nur den Namen Vicky Mantegazza hört (sie ist die Klubbesitzerin) legt er innerlich die Hand an die Hosennaht und steht stramm.
Der kluge Kanadier hat einmal gesagt, man solle über andere nur reden, wenn man etwas Gutes zu sagen habe und sonst solle man schweigen (das ist auch das Motto des Chronisten). Daran hält sich Chris McSorley und sagt viel Gutes. Spricht er über die ganz Grossen – also über die mit abgeschlossener Vermögensbildung wie Walter Frey oder Vicky Mantegazza – dann wird seine Stimme leiser und bekommt einen ehrfurchtsvollen Klang. Ungefähr so, wie wenn Kardinäle im Tresorraum der Vatikan-Bank über den Papst reden.
Keine Frage: Lugano ist der einzige Titan, bei dem Chris McSorley funktionieren würde. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er Lugano bereits 2022 oder 2023 den ersten Titel seit 2006 bescheren könnte.
Und was fehlt noch? Richtig: ein bisschen Hockey-Romantik. Aber die gehört zu einer umfassenden Würdigung von Chris McSorley. Die SCL Tigers AG ist das zweite Unternehmen neben Lugano, bei dem er funktionieren könnte.
Er ist ein Farmboy («Bauernbub»). Aufgewachsen in einer kinderreichen kanadischen Bauernfamilie. Geprägt von den ewigen Werten, wie wir sie aus den Werken eines bernischen Dichterfürsten kennen. Mag sein, dass die Hügel im Emmental etwas «stotziger» sind als daheim im grünen Ontario – aber hier würde sich Chris McSorley so wohl fühlen wie noch nie in seinem langen Hockeyleben. Verehrt wie nicht einmal zu den besten Zeiten in Genf. Als «Niklaus Leuenberger on Ice».
Meister könnte er nicht werden. Aber ganz tief im Herzen und in der Seele fühlt er sich als Anführer einer Bande von Aussenseitern, als Robin Hood, sowieso wohler als in der Rolle eines James Bond, eines ersten Dieners seiner Majestät bzw. eines Erzkapitalisten oder einer Erzkapitalistin. Als noch so fürstlich salarierter Diener fehlt ihm nämlich etwas, was ihm eben auch wichtig ist: das letzte Wort in Hockeydingen zu haben. Und bald würde er feststellen, dass es im Emmental auch Männer mit abgeschlossener Vermögensbildung gibt, zu denen er aufschauen kann. Hockey-Romantik pur.
Aber wir leben nicht in Zeiten der Hockey-Romantik. Wir leben in schwierigen Zeiten und wer vorwärts kommen will, übt sich besser in Realismus. Deshalb bleibt für Chris McSorley, wenn er denn tatsächlich nur Coach sein will, eigentlich nur Lugano.
Nur so ein Gedanke...