Ja, die ZSC Lions haben Talent. Viel mehr Talent als Lausanne. Aber die Playoffs verachten manchmal pures Talent. Die Playoffs zwingen es, im Vorzimmer zu sitzen, draussen zu warten. Leidenschaft, Leidensfähigkeit, Energie, Schlauheit: das sind die Faktoren, die in den Playoffs die Differenz machen. Nicht pures Talent. Deshalb geht die Serie zwischen den ZSC Lions und Lausanne ins siebte Spiel.
Haben die ZSC Lions unverzeihliche Fehler gemacht? Nein. Unverzeihlich sind die Fehler und die miserable Einstellung der Berner, die in einer Serie über 50 Spiele (!) von Lausanne besiegt worden sind. Der Aufsteiger hat auf Kosten des Meisters die Playoffs erreicht. Wer mehr Talent hat und über 50 Spiele versagt wie der SCB, hat so ziemlich alles falsch gemacht.
Aber wenn es nur um sieben Spiele geht, dann ist alles möglich. Sehr oft passiert nichts. Talent setzt sich durch. Wie beim Gottéron gegen Ambri. Aber manchmal kommt es so wie in der Serie zwischen den ZSC Lions gegen Lausanne.
Im Rückblick ist alles einfach zu erklären. Nach dem Krieg ist jeder Soldat ein General, jeder Chronist ein Trainer. Beispiel: Sind die Ausländer der ZSC Lions nicht gut genug? Nein. Wären sie besser, so würden wir jetzt sagen: Das Spiel der Zürcher ist zu stark von den Ausländern abhängig und zu berechenbar.
Hat Coach Marc Crawford die falsche Taktik gewählt? Nein. Hätte er bisher Vollgas forechecken, fräsen und rumpeln lassen, so würden wir jetzt sagen: Die Zürcher sind ins offene taktische Messer gerannt. Sie hätten gerade gegen dieses limitierte Lausanne viel mehr auf ihr Talent setzen sollen.
Gooooood jooob boys @lausannehc !!
— Stanislas Wawrinka (@stanwawrinka) 11. März 2014
Sind die offensiven Schmetterlinge Roman Wick, Luca Cunti und Robert Nilsson zu weich? Nein. Hätten die drei den Knüppel ausgepackt, dann würden wir jetzt sagen: Die ZSC-Stars haben sich vom Gegner die Spielart diktieren, sie haben sich vom rechten Weg abbringen lassen statt weiterhin ihr erfolgreiches Spiel aus der Qualifikation fortzusetzen.
Was ist also der Grund für die ZSC-Probleme? Es ist die Summe vieler Kleinigkeiten, die eine Dynamik gegen die ZSC Lions entfacht hat. Lässliche Sünden, die im Laufe einer Qualifikation bloss hie und da mal zu einer überraschenden Niederlage führen. In der Intensität einer Playoffserie können sie hingegen alles mit sich fortreissen: Begonnen hat es, wie jeder Tornado, mit seinem sanften Lüftchen. Ein Torhüter, der grad nicht in Form ist. Ein bisschen Unterschätzen des Gegners im ersten Spiel.
Nun also Spiel sieben. Spiel sieben ist nicht einfach die letzte von sieben Partien. Dieses siebte Spiel zwischen den ZSC Lions und Lausanne ist mit den vorhergehenden Auseinandersetzungen nicht mehr vergleichbar. Bisher hatten die Zürcher alles zu verlieren und die Waadtländer alles zu gewinnen. Dieser psychologische Vorteil ist erstmals weg: Nun hat Lausanne viel zu verlieren. So viel wie die Zürcher: Nämlich den grössten Erfolg der Klubgeschichte.
Nur noch einen einzigen Sieg braucht der Aufsteiger für ewigen Ruhm im Welschland. Der Erwartungsdruck ist zum ersten und einzigen Mal in dieser Serie für beide gleich gross. Talent kann wieder die Differenz machen. So gesehen wäre eigentlich ein klarer Sieg, vielleicht gar ein 6:1 für die ZSC Lions logisch. Wohl ist der Qualifikationssieger schon viermal in der ersten Runde gescheitert (Lugano und dreimal Bern) – aber noch nie ging dabei das siebte Spiel auf eigenem Eis verloren.
Und doch: ein Scheitern ist möglich. Was wird dann sein? Vielleicht finden wir die Antwort auf diese Frage in der Vergangenheit. Die ZSC Lions haben den Vertrag mit Cheftrainer Marc Crawford bereits verlängert. Das will nichts heissen. Nein, der Kanadier wird nicht gefeuert. Hingegen ist es nicht ausgeschlossen, dass er dann freiwillig geht. So wie 1998.
Im Frühjahr 1998 verlor Marc Crawford mit Colorado, dem Team, das er zwei Jahre zuvor zum Stanley Cup geführt hatte, nach einer 3:1-Führung in der ersten Runde der Stanley Cup-Playoffs sensationell gegen die Edmonton Oilers. Er zog die Konsequenzen: Er verliess den Klub. Obwohl sein Vertrag noch ein weiteres Jahr gültig war und obwohl er eine Offerte um eine vorzeitige Verlängerung auf dem Tisch hatte.
Colorados General Manager Pierre Lacroix war damals geschockt und Marc Craword sagte, Geld habe keine Rolle gespielt. Er habe einfach gespürt, dass es Zeit sei zu gehen. Time to move on. Zeit, zu gehen. Der Kanadier verlässt die ZSC Lions auf eigenen Wunsch. Diese jetzt noch undenkbare Version als Abschluss des grossen Hockeydramas ist nicht ganz ausgeschlossen. Gerade in Zeiten der Playoffs sollten wir auch das Undenkbare denken.
Aber möglicherweise wird ja alles viel einfacher sein und für die ganze Wahrheit genügt ein einziger Satz: Lausannes Torhüter Cristobal Huet war besser als ZSC-Goalie Lukas Flüeler.