Meister zu werden, ist in der Regel kein gutes Geschäft. Die Kosten sind zu hoch und werden nach der Meisterfeier noch höher, weil der Titel verteidigt werden sollte. Der finanzielle Ertrag aus einer gewonnenen Meisterschaft ist bei weitem nicht so gross wie der emotionale. Ohne betriebsfremde Zuschüsse – Mäzen, Stiftungen, Nebengeschäfte – ist ein Meisterteam nicht finanzierbar.
Der Trainer und die Spieler wollen immer ein Maximum herausholen und Meister werden. So muss es sein im Sport. Aber ein Geschäft wird Hockey auf Dauer nur, wenn das Streben nach dem Titel nicht die Finanzpolitik bestimmt. So wie in der richtigen Welt ein säkularer Staat mit der Trennung von Kirche und Staat, so funktioniert das Geschäft auch in einem säkularen Hockeyklub mit der Trennung von Emotionen und finanziellen Entscheidungen besser.
Emotionen in der Kabine, auf dem Eis, auf den Rängen – aber nicht mehr im Büro des Präsidenten und des Sportchefs. Das ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg. 2019 hat der Grossgaragist Hubert Waeber das Präsidium bei Gottéron übernommen und wird einmal als einer der besten Präsidenten in die Klubgeschichte eingehen.
Er hat zwar keine dramatischen Rettungsaktionen und keine Jahrhunderttransfers orchestriert wie einst Jean Martinet (Slawa Bykow, Andrej Chomutow). Aber er ist der erste Präsident der Neuzeit in der wechselvollen, zeitweilig dramatischen und immer kurzweiligen Geschichte von Gottéron, der die Kosten und Emotionen im Griff hat. Er entscheidet als Präsident so wie ein Geschäftsmann und nicht so wie ein Fan. Nur wenige Präsidenten sind dazu in der Lage.
Im Sommer 2015 zügelt Christian Dubé (46) nach mehr als 800 Partien und 800 Skorerpunkten für Lugano, Bern und Gottéron von der Kabine direkt ins Büro des Sportchefs und seit Oktober 2019 ist er Sportchef und Trainer. Er hat zwar nur eine einzige Playoff-Serie gewonnen (vorletzte Saison gegen Lausanne). Aber in der Qualifikation ist die Auslastung des Stadions von 93,17 Prozent (2021/22) auf 99,04 Prozent (2022/23) und nun in dieser Saison auf 100 Prozent gestiegen. Ohne die Liga sportlich zu rocken: Rang 2 in der Saison 2020/21, Rang 7 letzte Saison und aktuell ist Gottéron ein solides Spitzenteam auf Platz 2. Der Mensch lebt also nicht vom Resultat allein.
Gottéron bietet unter Christian Dubé verlässliches, unterhaltsames und gut strukturiertes Hockey. Die Spieler aus der Region machen rund ein Drittel des Teams aus. Das Publikum kann sich mit der Mannschaft identifizieren. Gottérons Heimspiele sind – man möge diesen Vergleich nicht als Blasphemie zeihen –, was einst die Messen in der Kathedrale St.Nikolaus waren: Wer jemand ist, jemand sein oder jemand werden will, muss diesem Ereignis beiwohnen.
Die Mannschaft ist so gut, dass die Fans bei jedem Heimspiel einen Sieg erhoffen können. Aber nicht so gut, dass Heimsiege selbstverständlich, alltäglich und langweilig werden. Die Mannschaft ist inzwischen auch gut genug, um jedes Jahr die Hoffnung auf den Titel am Leben zu erhalten. Aber nicht gut genug, um unter normalen Umständen um den Titel zu spielen. Es wird auch diese Saison nicht reichen.
Gottéron ist die wirtschaftlich erfolgreichste Hockey-Traumfabrik Europas. Ein Hockey-Universum der Träumer. Der ewige Traum ist der erste Titel und weil dieser Traum vom coolen Realisten Christian Dubé gemanagt wird, geht die Rechnung auf. Er ist beides: bei Bedarf ein «harter Hund» in der Kabine, aber neben dem Eis auch mit Humor und Selbstironie. Bei ihm ist sogar Chris DiDomenico «handzahm». Ist der Kanadier ein guter Sportchef? Auf diese Frage gibt es eine statistische Antwort: Gottéron ist der einzige Klub, der bisher mit sechs Ausländerlizenzen ausgekommen ist, und zusammengerechnet haben Gottérons sechs Ausländer diese Saison bloss ein einziges Spiel verpasst. Es gibt grosse Klubs in der Nähe, die den Hockeygöttern auf den Knien für einen so kompetenten Sportchef danken würden.
Ein Meistertitel könnte Gottérons Seele ruinieren und die Geldspeicher leeren: Worin würde sich denn Gottéron dann noch von den Titanen der Liga unterscheiden, wenn es wie Bern, Zug, Davos, Lugano oder die ZSC Lions auch Meister würde? Die grosse Kunst im Sportgeschäft ist es, Jahr für Jahr Hoffnungen zu wecken, ohne mehr Geld investieren und den Preis für einen Meistertitel zahlen zu müssen.
Inzwischen hat Christian Dubé zügig, aber ohne Hast und beinahe unbemerkt den Verjüngungsprozess eingeleitet, ohne dass die sportliche Leistungsfähigkeit nachgelassen hat. Es gibt den Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Tornado auslöst. Und es gibt Spielerwechsel, die für eine ganze Ära stehen, ohne mehr Aufsehen zu erregen als ein Flügelschlag eines Schmetterlings. Zum Beispiel der Wechsel von Andrei Bykow (35) zu Jeremi Gerber (23). Der Sohn des grossen Slawa Bykow bekommt bei Gottéron keinen neuen Vertrag. Dafür soll Jeremi Gerber aus Lugano kommen.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Christian Dubé gibt seine Doppelfunktion Sportchef/Cheftrainer Ende Saison auf und wird «nur» noch als Trainer arbeiten. Sein bisheriger Assistent Gerd Zenhäusern wird vom Büro-Generalstabschef zum Bürogeneral befördert und übernimmt die Position des Sportchefs. Zeit also für ein Zwiegespräch mit Gottérons kanadischem Traummacher über seine Hockeyphilosophie, seinen Rückzug aus dem Büro des Sportchefs und, natürlich, Gottéron.
Bekommen Sie künftig weniger Lohn? Sie geben ja einen Job ab.
Christian Dubé: Ja, natürlich.
Sie sind damit einverstanden, weniger Geld zu bekommen?
Klar, ich arbeite ja künftig weniger.
Was machen Sie mit der gewonnenen Freizeit?
Keine Sorge, ich habe als Trainer mehr als genug zu tun.
Eigentlich haben Sie einen guten Deal gemacht.
So?
Ja. Sie verzichten auf Geld und bekommen dafür eine Ausrede mehr.
Wie soll ich das verstehen?
Künftig können Sie sich – falls erforderlich – herausreden und sagen, der Sportchef habe halt nicht gut transferiert oder nicht die richtigen Ausländer verpflichtet. Weniger Lohn, mehr Freizeit und eine gute Ausrede mehr: kein schlechter Deal.
Erstens werde ich das nicht tun und zweitens war ich schon bisher nicht allein verantwortlich. Gottéron war noch nie eine One-Man-Show. An den Entscheidungen waren und sind immer mehrere Personen beteiligt.
Aber Sie haben die Verträge unterschrieben.
Nein, als Sportchef habe ich nie Verträge unterschrieben. Ich habe die Verträge nur zur Unterschrift für den Geschäftsführer und den Verwaltungsrat vorbereitet.
Sind alle von Ihnen ausgearbeiteten Verträge unterschrieben worden?
Ja, ich habe immer grünes Licht bekommen.
Haben Sie künftig bei tieferem Salär noch genug Geld für ihr inzwischen bereits legendäres modisches Outfit?
Ja, natürlich. Modische Kleidung ist nicht eine Frage des Geldes. Es ist auch möglich, sich günstig modisch zu kleiden.
Nun sind Sie nicht mehr Sportchef. Werden Sie auch künftig wissen, wer wie viel verdient, und dazu in der Lage sein, bei der Mannschaftsaufstellung darauf Rücksicht zu nehmen? Nach dem Motto: grosser Lohn, viel Eiszeit.
Ich kenne logischerweise die Saläre der Spieler, für die ich als Sportchef die Verträge gemacht habe. Aber künftig werde ich diese Informationen nicht mehr haben.
Ach was, Sie werden genau wissen, wer wo in der Salär-Hackordnung steht.
Ich werde die Beträge nicht mehr kennen. Aber es ist ja klar: Bevor Gerd (Zenhäusern) einen teuren Spieler verpflichtet, wird er sich bei mir erkundigen, ob dieser Spieler in unser Konzept passt. Das ist ja logisch und wahrscheinlich überall so.
Falls sich dann ein teurer Einkauf als Flop entpuppt, sind Sie aber nicht mehr schuld.
Wie ich schon sagte, sind in wichtige Entscheidungen mehrere Personen involviert.
Nun bekommt Andrei Bykow keinen Vertrag mehr. Eine Ära geht zu Ende.
So ist der Lauf der Dinge. Aber übertreiben Sie nicht. Wir sind dabei, die Mannschaft zu verjüngen. Ein ganz normaler Prozess.
Ich übertreibe nicht. Bykow ist ein grosser Name und steht für die besten Jahre in der Geschichte Gottérons. Die russischen Flugjahre mit seinem Vater Slawa werden wir nie vergessen und Andrej gehörte zu den Finalhelden von 2013. Sein Spiel ist immer noch ein wenig magisch.
Ich habe den grössten Respekt für das, was Andrei für Gottéron geleistet hat. Aber Sie übertreiben, wenn Sie sein Spiel immer noch als magisch bezeichnen.
Aber der Pass, mit dem er soeben in Langnau Christoph Bertschy das 1:0 ermöglicht hat, war magisch.
Ja, aber er hat insgesamt trotzdem nur noch die Rolle eines guten Ergänzungsspielers.
Gab es eigentlich heftige Proteste, weil Andrei keinen Vertrag mehr bekommen hat?
Nein. Es ist eben der Lauf der Zeit.
Julien Sprunger ist drei Jahre älter und hat trotzdem eine Vertragsverlängerung bekommen.
Natürlich wäre es schön, wenn beide gemeinsam ihre Karriere beenden könnten. Aber es gibt viele Faktoren, die über eine Vertragsverlängerung entscheiden. Julien hat eine andere Rolle im Team als Andrei.
Das leuchtet mir ein. Und doch stimmt es ein wenig wehmütig, künftig bei Gottéron erstmals seit 1990, seit mehr als 30 Jahren keinen Bykow mehr zu sehen. Jeremi Gerber kann kein Ersatz sein.
Ob Jeremi Gerber kommt, kann ich nicht bestätigen, da müssen Sie jetzt den Gerd fragen. Aber übertreiben Sie nicht: Wenn Jeremi Gerber tatsächlich kommt, ist er nicht als Ersatz für Andrei vorgesehen und er steht auch nicht für eine neue Ära. Er wird einer unserer Ergänzungsspieler sein, der mit drei, vier anderen jungen Spielern um einen Platz im Team kämpfen muss.
Ja schon, aber es tönt einfach so gut: Fast zeitgleich mit der Meldung, dass Andrei gehen muss, melden Chronisten, dass Jeremi kommen soll. Der letzte Bykow geht, ein Gerber kommt – das ist wehmütige Hockeyromantik und der Moment, kurz innezuhalten.
Ja, schon gut. Aber bedenken Sie: Bei Gottéron ist es nie einfach. Unsere Anhänger sähen es am liebsten, wenn wir mit eigenen jungen Spielern, eigenen Stars und eigenen Routiniers gewinnen. Aber das ist schwierig und manchmal sind die Fans mit unseren Entscheidungen nicht einverstanden oder können sie nicht verstehen.
Das ist überall so. Auch in Montréal oder in Langnau: Die Fans müssen nicht jede Entscheidung der sportlichen Führung gut finden oder verstehen. Sie bezahlen für ein Ticket und haben das Recht auf gute Unterhaltung und eine andere Meinung als der Sportchef oder der Trainer.
Ja, da haben Sie wohl recht.
Ich werde das Abo behalten, da man sonst keine Chance auf ein Ticket hat. Eigentlich Wahnsinn!