Kein anderes Sportunternehmen bereitet uns in der Krise so viel Kurzweil wie der SC Bern. Die Berner bereichern die Geschichte der Krisenkultur mit einer Weltneuheit: Der beste, charismatischste Spieler bittet während heftigen sportlichen Turbulenzen in der entscheidenden Phase der Meisterschaft zwei Runden vor Qualifikationsschluss – zur absoluten Unzeit also – um vorzeitige Vertragsauflösung.
Nicht etwa, weil er eine Jahrhundert-Chance in der berühmten NHL in Amerika drüben bekommt, die er einfach wahrnehmen muss. In Los Angeles oder New York oder Montréal. Nein, einfach nur, weil es ihm beim SCB nicht mehr gefällt. Weil er sich in Bern nicht mehr rundherum wohlfühlt.
Ein freundlicher Sportchef und ein netter General Manager zeigen Verständnis und entsprechen mit Wohlwollen und freundlichen Worten dieser Bitte. So kommt es, dass der wichtigste Spieler den SC Bern am Ende der Saison verlassen und den bis 2024 laufenden Vertrag nicht mehr erfüllen wird. Bis zum Saisonschluss stürmt er natürlich weiterhin für den SCB. Man ist ja nett zueinander.
Das sportliche Management beim SCB spottet jeder Beschreibung. Niemand stellt die Frage nach den Gründen für das Unwohlsein seines besten Spielers. Die Arroganz der Bürogeneräle, immer noch genährt vom verblassten Ruhm der Titel von 2016, 2017 und 2019, erlaubt keine Selbstkritik. Dann soll der «DiDo» in Gottes Namen halt gehen. Reisende soll man nicht aufhalten.
Ein Abschied im Bernbiet, ganz wie es Jeremias Gotthelf vor mehr als 150 Jahren so wunderbar beschrieben hat: «Wie es so geht, wenn Leute fortgehen oder fortreiten, die Bleibenden stehen zusammen und senden dem Enteilenden nicht Kugeln, aber Worte nach. Liebe und treue, böse und falsche, je nachdem die Büchse ist, aus der die Worte geschossen werden.» Ach, wäre es unserem grossen Dichterfürsten doch vergönnt gewesen, die aktuelle SCB-Krise zu erleben.
Folklore? Nein, Sportbusiness. Bitterer Ernst. Was der eloquente SCB-Manager Raëto Raffainer und sein kanadischer Sportchef Andrew Ebbett, beides keine Gotthelf-Kenner (wären sie es, sässen sie nun nicht in der Bredouille) weder wissen, ja, noch nicht einmal ahnen: Gotthelfs launige Beschreibung eines verärgerten Dienstboten, der den Hof verlässt, lesen wir in einer Geschichte, die mit einem Eklat endet, den wir in der Hockey-Sprache als «House Cleaning» bezeichnen. Sie ist also prophetisch.
Wenn Chris DiDomenico am Ende der Saison den SCB verlassen wird und der SCB-Sportchef und der SCB-Manager sich in ihrer spitzbübischen Schlauheit schon darüber freuen, dass der Kanadier der Sündenbock ist, auf dem sie alle ihre Verfehlungen der vergangenen Monate abladen können, dann erst beginnt die wahre Krise.
Der Abgang von Chris DiDomenico ist das erste Wetterleuchten über dem Berner Hausberg Gurten, das ein heraufziehendes, heftiges Gewitter ankündigt. Gewaltiger und reinigender als es sich Raffeiner und Ebbett ausdenken können. Weder Trainer Toni Söderholm noch Sportchef Andrew Ebbett oder General Manager Raëto Raffainer haben nach dem «Fall DiDomenico» beim SCB eine Zukunft. Weil es ihre Krise ist. Weil diese SCB-Krise hausgemacht ist, wie keine zuvor. Weil die verheerende sportliche Lage das Resultat einer fortgesetzten sportlichen Misswirtschaft und einer langen Reihe von Fehleinschätzungen ist, die in dieser Anhäufung einem Sportchef und einem Manager auf diesem Niveau nicht unterlaufen dürfen.
Es geht nicht um die technische Analyse des Scheiterns von Chris DiDomenico. Um Eiszeiten, Tore und Assists. Es geht um viel mehr: Warum «funktioniert» ein Spieler beim SCB nicht, der zuvor jahrelang in Langnau und Gottéron ein offensiver Leitwolf ohne Fehl und Tadel war? Warum sind viel zu viele Spieler im SCB-Umfeld nicht mehr dazu in der Lage, ihr bestes Hockey zu spielen? Warum wechseln mehr und mehr nur noch Spieler zum SCB, die sonst keine Karriere-Optionen mehr haben?
Raëto Raffainer ist eine faszinierende Persönlichkeit. Aber keine Identifikationsfigur. Kein streitbarer, kantiger «Mister SCB», dem alle vertrauen. Kein magnetischer Pol, nach dem alle im Klub ihren Kompass ausrichten können. Er ist so klug und rhetorisch so begabt, dass er morgen Geschäftsführer der Reitschule werden könnte und glaubhaft versichern würde, er sei schon als Schulbub vom kreativ-revolutionären Milieu der Reitschule fasziniert gewesen und habe immer davon geträumt, hier einmal eine Führungsposition ausüben zu dürfen. Würde er am nächsten Tag Kommandant der Kantonspolizei, so könnte er ebenso überzeugend darlegen, dass der Staat gerade auf dem Areal der Reitschule Recht und Ordnung durchsetzen müsse und er glücklich sei, einen konstruktiven Beitrag zur Rechtsstaatlichkeit auf Berner Boden leisten zu können. Der Polizeiberuf sei sein Bubentraum gewesen. Als Schwinger würde er König. Weil ihn keiner in den Griff bekommt. Nein, ein Chamäleon ist er deswegen nicht. Er hat keine Farbe.
Eine Korrektur der sportlichen Misswirtschaft ist unter der Führung von Raëto Raffainer nicht mehr möglich. So schlau er bei allen sportlichen Fragen an den Sportchef verweist, so stark ist er in alle sportlichen Entscheidungen verstrickt: Der kluge Opportunist Andrew Ebbett hat null Entscheidungskompetenz. Er ist Raëto Raffainers Laufbursche. So ist er zwar für die viel zu vielen Transferirrtümer nicht verantwortlich. Aber was schlimmer ist als eine Mitschuld an Fehltransfers: Andrew Ebbett ist nicht dazu in der Lage, die Kabine richtig zu betreuen, die Sportabteilung zu führen. Er erkennt Konflikte nicht rechtzeitig, um sie zu entschärfen, bevor sie zu unlösbaren Problemen auswachsen. Er kann es nicht, weil er es als freundlicher Opportunist allen recht machen möchte. So ist der «Fall DiDomenico» überhaupt erst möglich geworden.
Präsident Marc Lüthi hat sich bis auf ein wirkungslos verhalltes Donnerwetter in der VIP-Loge am Vormittag nach einer der vielen schmählichen Niederlagen (es war die gegen Lausanne) nicht mehr ins Tagesgeschäft eingemischt. Was als ein Vertrauensbeweis in seine Nachfolger interpretiert werden kann («äs chunt scho guet»), ist in Tat und Wahrheit etwas ganz anderes. Die Nordamerikaner sagen es so: «There is always a calm before the storm.»
Es ist die Ruhe vor dem Sturm, der den Trainer, die Assistenten, den Sportchef und den General-Manager aus den Ämtern fegen wird. Entfacht von Marc Lüthi, der sein Lebenswerk nicht in der Swiss League stranden lässt. Wäre die Liga nicht auf 14 Teams aufgestockt worden, wäre der SCB – ein Hockeykonzern mit mehr als 50 Millionen Umsatz – in der ausgeglichensten Meisterschaft der Geschichte akut abstiegsgefährdet.
Die «Ära Raffainer», die im Januar 2021 so hoffnungsvoll begonnen hat, wird beim SCB zu Ende gehen, bevor die Bäume in den Obstgärten auf dem Belpberg wieder Früchte tragen. Marc Lüthis Früchte des Zorns. Ende der Polemik.
Kein zusätzlicher Kommentar!
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