SCB-Trainer Jussi Tapola kann defensiv. In lichten Momenten sind die Berner unter seiner Leitung dazu in der Lage, das Spiel zum Stillstand zu bringen. So wie einst Josua in biblischen Zeiten den Lauf von Sonne und Mond angehalten hat. Die neutrale Zone wird durch fünf Spieler besetzt. Es gibt kein Durchkommen.
Dem Gegner bleibt eigentlich nur noch die Möglichkeit, den Puck ins SCB-Verteidigungsdrittel hineinzuschiessen und dort in mühseliger Bandengrabarbeit wieder zu erobern. Aus dem Eishockey, eigentlich das dynamischste, schnellste und emotionalste Spiel, wird eine Darbietung des Armee-Turnprogramms. So hat sich der SCB in die obere Tabellenhälfte gearbeitet. Nicht gespielt.
Gelingt dann gar noch das 1:0, dann kommt es zu einer vollständigen spielerischen Staulage. Gegen Servette genügten fünf Abschlussversuche, um das erste Drittel 1:0 zu gewinnen. Aber diese taktische Rechnung geht nicht immer auf. Gegen Langnau und gegen die ZSC Lions führte diese taktische Passivität nach einer 1:0-Führung zu Niederlagen (1:2 in Langnau, 1:4 in Zürich).
Es ist eben schwierig, während eines Spiels von Standgas auf Vollgas, von Defensive auf Offensive umzuschalten. Aber wenn am Ende dieser Entwicklung der nächste SCB-Titel stehen soll, muss diese Umstellung gelingen.
Die Partie gegen Servette hat nun gezeigt: Jussi Tapola kann auch offensiv. Es ist zwar nur ein einziges Spiel und das ist gemessen an der Ewigkeit einer Qualifikation über 52 Runden recht wenig. Lediglich eine offensive Schwalbe, die den defensiven Winter noch nicht ganz vertreibt. Aber immerhin.
Servette ist Europas Nummer eins. Frisch gekürter Sieger der Champions Hockey League. Das schwedische Spitzenteam Skelleftea hatte im Final 41 Minuten und 24 Sekunden Zeit, um einen 1:3-Rückstand wettzumachen und abzuarbeiten. Die Schweden scheiterten und verloren 2:3. Servette kann eben auch defensiv. Der SCB benötigte gerade mal 36 Sekunden, um Servettes europagestählte Verteidigung vom Eis zu wischen und aus einem 2:4 ein 4:4 zu machen. Und erst noch in den letzten zwei Minuten unter immensem Zeitdruck und mit maximalem Risiko: Der Torhüter war durch einen sechsten Feldspieler ersetzt worden.
Auf einmal tanzte der SCB. Die Zusehenden riss es von den Plastiksitzen und sie trieben die Mannschaft mit rhythmischem Klatschen nach vorne. Oder wie Topskorer Dominik Kahun hinterher das komplizierte Spiel in einem einfachen Satz erklärt: «So ist das manchmal. Auf einmal geht es …»
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Der Schlussspurt gegen Servette ist ein Hinweis darauf, dass die Berner mehr offensive Substanz haben, als sie nach gut drei Jahren der taktischen und sonstigen Irrungen und Wirrungen vermuten. Viel dazu trägt Joona Luoto bei. Der schlaue und erstaunlich flinke finnische Riese erweist sich mehr und mehr als ähnlicher Glücksgriff wie einst Lauri Mononen. Im Herbst 1978 holt der legendäre geschäftsführende Vize-Präsident Hugo Steinegger nach elf Runden aus Finnland einen Ersatzausländer. Lauri Mononen steuert in den restlichen 17 Spielen 16 Tore bei und der SCB wird Meister. Joona Luoto hat soeben mit seinem 16. Saisontreffer das 4:4 gegen Servette erzielt. Auch er ist als Ersatzausländer gekommen. Mit einem Probevertrag bis zur November-Pause. Inzwischen ist das Arbeitsverhältnis bis Ende Saison verlängert worden.
Wenn am Ende dieser Entwicklung der nächste SCB-Titel stehen soll, dann braucht der SCB gutes offensives ausländisches Hilfspersonal. Dann darf nicht auch noch für den Torhüter eine Ausländer-Lizenz verschwendet werden. Letzte Saison war Philip Wüthrich nicht mehr gut genug, um den hohen Ansprüchen einer Nummer 1 gerecht zu werden. Deshalb ist richtigerweise der Schwede Adam Reideborn verpflichtet worden.
Philip Wüthrichs Agent André Rufener macht sein Geld in der NHL und nimmt sich viel Zeit für die wenigen Spieler, die er in der Schweiz betreut. Er hat sich seit der Verpflichtung einer ausländischen Konkurrenz intensiv um Philip Wüthrich gekümmert und stets erklärt, «Fippu» werde die sportliche Herausforderung annehmen und Adam Reideborn als Nummer 1 herausfordern.
Ein paar Monate und eine Verletzungspause später ist es so weit: Philip Wüthrich ist besser als der Schwede. Er hat enorme Fortschritte gemacht. Er liest das Spiel besser, wirkt selbstsicherer, ruhiger und gelassener, verschiebt sich flinker und geschmeidiger und erscheint dadurch grösser und breiter, als er in Wirklichkeit ist. In Zug hat er den SCB mit einer Fangquote von 97,77 Prozent (Leonardo Genoni: 91,64 Prozent) zum 4:1-Sieg gehext. Reideborn konnte die beiden 4:5-Penalty-Niederlagen gegen Ambri und Servette mit miserabler Statistik (84,38 und 87,50 Prozent Fangquote) nicht verhindern.
Am Ende dieser Entwicklung von Philip Wüthrich müsste eigentlich der nächste SCB-Titel stehen.
Kommt dazu: Der SCB hat einen Spieler in seinen Reihen, der aus frischer und nicht bloss langsam verblassender Erinnerung weiss, wie man Meister wird: Verteidiger-Haudegen Marco Maurer (36).
Er ist im Frühjahr mit Servette Meister geworden und diese Saison nach 18 Partien nach Bern transferiert worden, wo er nun auch schon 18 Spiele bestritten hat. Bis und mit dem Viertelfinal verteidigte er für die Genfer auch in der Champions Hockey League. Deshalb hat ihm Sportchef Marc Gautschi am Samstag ein verdientes Geschenk mit nach Bern gebracht: die Goldmedaille, die jeder Spieler für den Gewinn der Champions Hockey League bekommen hat.
Marco Maurer hat sich sehr gefreut. Die Art und Weise, wie sich zahlreiche Genfer unten im Bärengraben, dem grossen Pausenhof zwischen den beiden Kabinen, freundlich mit ihrem alten Kameraden unterhalten haben, mag zeigen, dass Marco Maurer in der Kabine wohlgelitten war und ihm jeder die Belohnung gönnt. Einen Job für nächste Saison hat er noch nicht: «Aber ich will noch zwei Jahre spielen, ich bin fitter und besser drauf als so manche der viel jüngeren Verteidiger …»