Geht es auch ohne Leonardo Genoni? Das ist die bange Frage beim Blick in die nahe Zukunft des Nationalteams. Stéphane Charlin hat die Schweizer beinahe zum Sieg über die Finnen gehext (2:3 n.V.) und eine Antwort auf diese Frage geliefert: Ja, es kann auch ohne Leonardo Genoni gehen.
Eine Pleite und Polemik werden immer wahrscheinlicher. Die Schweizer führen 2:1 und Stéphane Charlin wehrt mit stoischer Ruhe Puck um Puck ab. Erst einer, der ihn durch und durch kennt, bringt die Erlösung: Harri Pesonen trifft zum 2:2 und rettet die Finnen in die Verlängerung. «Ich kenne ihn ja und weiss, dass er mit hohen Schüssen kaum zu bezwingen ist», erzählt Langnaus Captain hinterher gut gelaunt. Deshalb habe er den Puck flach eingeschoben. «Aber eigentlich bleibt in so einer Situation ja keine Zeit zum Überlegen …»
Auf der Tribüne haben gleich drei NHL-Scouts ihre Notizblöcke vollgekritzelt. Stéphane Charlin ist transferrechtlich ab nächster Saison für die wichtigste Liga der Welt frei verfügbar und kann zu jedem NHL-Klub wechseln. Kompensation ist bis auf die Transferentschädigung an Servette in der Höhe von rund 250'000 Franken keine erforderlich. Das macht ihn für die NHL-Manager noch interessanter.
Keine Frage: Der sanfte Riese kann auf internationalem Niveau Leonardo Genonis Nachfolger werden. Nationaltrainer Patrick Fischer ist voll des Lobes und erwähnt einen zentralen Punkt: «Unglaublich, wie er Ruhe in unser Spiel bringt.» Charlin sass wie die Spinne in einem fast perfekt gewobenen defensiven Spinnennetz. Mit dem Rückhalt des wehrhaften Titanen zeigen die Schweizer bis in die Schlussphase hinein defensiv eines ihrer besten Operetten-Länderspiele und Patrick Fischer bedauert: «Schade, dass uns am Ende ein paar einfache Fehler unterlaufen sind.» Den Feldspielern. Nicht dem Goalie.
Am Samstag wird Charlin gegen Schweden (12.30 Uhr, live SRF) pausieren. Ambris Gilles Senn kommt zum Zuge und Patrick Fischer sagt, nach dem Spiel werde er entscheiden, welchen der zwei Goalies er am Sonntag gegen Tschechien (12.30, live SRF) einsetzen werde.
Im August ist Leonardo Genoni 37 geworden. Die Frage, ob es auch ohne den zweifachen WM-Finalgoalie gehe, ist also nicht respektlos. Sondern dem Lauf der Zeit und auch der WM 2026 im eigenen Land in Zürich und Fribourg geschuldet. Stéphane Charlin hat sich zwar noch nie bei der WM bewährt. Aber er spielte gegen die Finnen so konzentriert, dominant, ruhig und gelassen wie in der heimischen Liga. Er hat mit 191 Zentimeter Grösse und 84 Kilo die perfekte Postur. Sein Charisma wirkt auch auf internationalem Niveau. Er kann Genoni ersetzen.
Es gibt eigentlich nur ein Problem: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er nach der Saison direkt in eine NHL-Organisation wechseln und seinen Vertrag bei Servette vorerst nicht antreten wird. Das bedeutet: Er kann zwar im Frühjahr sein WM-Debüt geben. Aber dann steht er nur noch zur Verfügung, wenn sein NHL-Team rechtzeitig aus den Stanley-Cup-Playoffs fliegt. Was die nächste Frage provoziert: Geht es womöglich auch ohne Genoni und Charlin? Ja, mit dem Beistand der Hockeygötter kann es gehen.
In Kloten ist Ludovic Waeber (28) drauf und dran, sich nach einem missglückten Nordamerika-Abenteuer zu einer charismatischen Nummer 1 zu entwickeln. In Ambri spielt Gilles Senn (28) das beste Hockey seiner Karriere. Sandro Aeschlimann (29) ist ein wichtiger Grund, warum sich der HCD in der Spitzengruppe der Liga hält und Philip Wüthrich (26) ist inzwischen beim SCB so gut, dass er beste Chancen hätte, die Nummer 1 zu werden, wenn sein Konkurrent Adam Reideborn Schweizer und nicht Schwede wäre.
Akira Schmid (24) kämpft in der NHL-Organisation von Las Vegas um einen Platz in der wichtigsten Liga der Welt, hat die Postur und Kragenweite von Stéphane Charlin und debütierte im letzten Frühjahr bei der WM als Nummer 2. Der kanadisch-schweizerische Doppelbürger Connor Hughes (28) war Lausannes Finalheld und müht sich zurzeit im Farmteam der Montréal Canadiens ab.
Wir haben also mindestens sieben Torhüter, die eigentlich WM-tauglich sein müssten. Aber nur Akira Schmid hat sich bereits bei einer WM bewährt. Stéphane Charlin, Ludovic Waeber, Connor Hughes und Philip Wüthrich gehörten noch nie zum WM-Team. Gilles Senn (2018 ohne Einsatz) und Sandro Aeschlimann (2022 eine Partie) waren bei der WM nur die Nummer 3. Auch Servettes Meistergoalie Robert Mayer konnte 2023 auf dem Höhepunkt seines Schaffens kein Genoni-Ersatz sein und war am Scheitern im WM-Viertelfinal gegen Deutschland mitschuldig. Er kommt für eine WM nicht mehr in Frage.
Am Talent der letzten Männer kann es nicht liegen, dass Patrick Fischer bisher keinen Nachfolger von Genoni aufbauen konnte. Vielleicht ist es einfach so, dass im Schatten des zweifachen WM-Finalhelden keiner aufblühen konnte. Weil allen seit der Silber-WM von 2018 klar ist: Die wahre Nummer 1 ist und bleibt Leonardo Genoni. An ihm kommt doch keiner vorbei.
Das ist möglicherweise nach der überragenden Leistung von Stéphane Charlin gegen die Finnen nicht mehr so.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Hauptsache den Durchschnittsgoali Wüthrich noch mal erwähnt.... :)