Seit Mitte Juli weiss Joël Vermin (28), dass er in Lausanne nicht mehr erwünscht ist. Aber er ist immer noch in Lausanne. Petr Svoboda, der allmächtige grosse Zampano, hat ihm mehrfach verkündet, auch vor den Mitspielern, dass er gehen muss («You are out»). Und ihn während Wochen von allen Meetings und Trainings ausgeschlossen. Diese Saison ist der WM-Silberheld von 2018 noch in keinem Vorbereitungsspiel eingesetzt worden.
Der Fall ist nach helvetischem Recht klar: Petr Svoboda hindert Joël Vermin daran, seinen Beruf auszuüben. Der Nationalstürmer könnte deshalb den noch bis 2022 laufenden Vertrag sofort auflösen und Lausanne verlassen. Aber er braucht eine Lizenz, wenn er für einen anderen Klub spielen will – und die rückt Petr Svoboda nicht heraus.
Schon mehrmals hat er in ein Tauschgeschäft eingewilligt und sich dann doch wieder anders entschieden. So sind wir in den Genuss eines grandiosen Spektakels gekommen: Der Tausch von Joël Vermin gegen ein paar Servette-Hinterbänkler ist in Genf und Lausanne schon gross angekündigt und dann wieder abgesagt worden. Genf wartet nach wie vor auf Joël Vermin.
Es gäbe einen einfachen Weg: Ein anderer Klub – beispielsweise Servette – nimmt Joël Vermin unter Vertrag und beantragt die Spielberechtigung. Wenn diese aufgrund des Vetos von Lausanne verweigert wird, landet der Fall zuerst beim Transfer-Einzelrichter. Falls die Verbandsjustiz nicht schon zum Schluss kommt, dass Lausanne den Vertrag verletzt hat und Joël Vermin deshalb gehen kann, wohin er will – vor einem zivilen Gericht wäre der Fall zu gewinnen. Und es gäbe die Möglichkeit, mit einem inszenierten Ausland-Transfer eine Lizenz-Entscheidung über den Internationalen Eishockey-Verband (IIHF) zu provozieren.
Aber eben: Kein Klubmanager hat den Mut, die Mühlen der Justiz in Gang zu setzen. Verständlich in diesen unsicheren Zeiten. Niemand weiss genau, wie lange alles dauern würde. Dazu kommt das Gentlemen's Agreement der Klubs, während der Virus-Krise keine Spieler abzuwerben. Und so kann Petr Svoboda im «Fall Vermin» tun und lassen, was ihm gerade passt. Er muss lediglich das Salär pünktlich überweisen. Was er bisher angeblich getan hat. Etwas mehr als 40'000 Franken im Monat.
Dieses wochenlange Theater provoziert inzwischen eine boshafte Frage: Ist Lausanne eigentlich zu dumm, um Meister zu werden? Lausanne hätte eigentlich die besten Voraussetzungen für die erste hundertprozentig welsche Meisterfeier seit 1973 (La Chaux-de-Fonds). Eine neue Arena mit der Möglichkeit, höhere Einnahmen zu erzielen. Ein leidenschaftliches Publikum. Ein solides sportliches Fundament, das Sportchef Jan Alston seit dem Wiederaufstieg von 2013 in geduldiger, beharrlicher Arbeit gebaut hat. Mit ein paar transfertechnischen Handgriffen wäre es mit vernünftigem finanziellem Aufwand möglich gewesen, in den nächsten zwei Jahren aus Lausanne einen Titelkandidaten zu machen.
Aber ohne Not haben die neuen Besitzer Jan Alston abgesetzt und Trainer Ville Peltonen gefeuert (der Finne beschreitet inzwischen den Rechtsweg). Unter Petr Svoboda will keine Ruhe einkehren. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Lausanne durch hausgemachte Probleme selbst schwächt.
Dabei könnte der Winter auf dem Eis ruhmreich werden. Das mit viel Geld hochgerüstete Team ist bei weitem gut genug für einen Spitzenplatz. Für Trainer Craig MacTavish, Petr Svobodas Kumpel aus NHL-Zeiten, ist der erstmalige Einzug in den Playoff-Final eigentlich Pflicht.
Aber solange der «Fall Vermin» nicht gelöst ist (geht er? Wohin geht er? Oder bleibt er am Ende doch?), kehrt keine Ruhe ein. Dabei lehrt uns das Buch der Bücher: «Eure Rede sei Ja! Ja! Nein! Nein! Was darüber ist, das ist vom Übel.»
Wenn einer der besten Spieler der Liga immer noch in der Stadt ist, immer noch seine Kumpels sieht und niemand mehr richtig versteht, warum er eigentlich gehen muss (die Auseinandersetzung mit einem Teamkollegen, die den Fall ausgelöst hat, ist längst unter Männern erledigt) – dann wird die Mannschaft schleichend geschwächt. Und eine «Begnadigung» des Spielers nach dem wochenlangen Theater? Das wäre gut für die Unterhaltung. Denn es wäre im ganz besonderen Reizklima, das Petr Svoboda geschaffen hat, nicht die Frage ob, sondern nur wann es zum nächsten Eklat kommt.
Das müsste eigentlich Petr Svoboda wissen. Er hat über 1000 NHL-Partien gespielt, war Olympiasieger (1998) und Stanley-Cup-Sieger mit Montréal (1986) und später Agent von Grössen wie Jaromir Jagr und Jakub Voracek.
Aber er kennt Besonderheiten unseres Eishockeys noch nicht. Er ist nicht der erste vermeintliche internationale Hockey-Grossmeister, der bei uns eine Anlaufzeit braucht. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie kurz sein wird. Entweder, weil er so viel über Hockey weiss und schnell lernt (und den «Fall Vermin» zügig löst), oder dann, weil sein Abenteuer nur von kurzer Dauer sein wird.
Wieder einmal hängt nämlich Lausannes Glück an der Geduld und der Solvenz ausländischer Besitzer. Diesmal versuchen die Financiers Gregory Finger, ein russischer Mehrfachbürger und der tschechische Geschäftemacher Zdenek Bakala aus Lausanne einen Titelkandidaten zu machen. Der Mann ihres Vertrauens ist Petr Svoboda, der Mann aus dem böhmischen Most. Sportchef John Fust und Manager Sacha Weibel bleibt im «Fürstentum Svoboda» noch die Rolle des braven Soldaten Schwejk.
Lausanne, wie es singt und lacht und sich selbst immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Zu dumm, um Meister zu werden?
Jaaaaaaaa, scho.
Rappi wird vorher Meister.