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Das Virus ist Teil unseres Lebens geworden und die strengen Schutzmassnahmen und Auflagen werden uns helfen mit ihm zu leben.
Noch weitergehende Massnahmen oder gar ein 2. Lockdown wären nicht zu verantworten.
Das Leben muss weitergehen.
Fussball- und Eishockeystadien haben in der Schweiz üblicherweise Sektoren mit Steh- und solche mit Sitzplätzen. Doch wenn in den nächsten Wochen die neue Saison beginnt, dürfen Fans nicht stehen. Das hält der Bundesrat in Artikel 6b seiner Verordnung fest:
Vorgeschrieben ist also die Sitzpflicht. Und: Es muss – für das Contact Tracing – nachvollziehbar und notiert sein, wer während eines Spiels wo gesessen hat.
Nicht vorgeschrieben ist, wie ein Sitzplatz auszusehen hat. Ein Fakt, der den Klubs entgegen kommen könnte, wenn sie aus einer Stehplatztribüne einen Sitzplatzbereich machen. «Es steht nirgends, dass ein Sitzplatz auch eine Sitzschale haben muss», sagte Claudius Schäfer, der CEO der Swiss Football League, zu den Tamedia-Zeitungen.
Der FC Winterthur beispielsweise verfügt über eine gedeckte Stehplatz-Gegentribüne, auf der schon jetzt bei Spielen ohne grossen Andrang auf den Betonstufen gesessen wird. Der Challenge-League-Klub könnte sich überlegen, Sitzplätze durch deren blosse Markierung zu schaffen. Simpel, günstig, den Anforderungen wohl genügend.
Neben Winterthur hat auch Aarau einen hohen Zuschauerschnitt, aber nur eine Sitztribüne. Als Minimalvariante sei im Brügglifeld eine Holzverkleidung denkbar, wie sie aktuell die Hockeyaner des SC Langenthal in ihrer Eishalle über die Stehplätze bauen würden, schreibt die «Aargauer Zeitung». Die Überlegungen gehen bis hin zum Bau einer überdachten Stahlrohrtribüne, was jedoch von den Behörden bewilligt werden müsste. Damit verbunden ist die Sorge vor Einsprachen der Bevölkerung.
Generell dürfen vor allem die Klubs der Super League zufrieden mit dem Bundesrats-Entscheid sein. Er sei «hoch erfreut», meldet St.Gallens Präsident Matthias Hüppi. Das erste Ziel sei erreicht, nämlich allen Besitzern eines Saisonabos den Zutritt zu den Heimspielen zu ermöglichen. Drei von vier Tribünen des Kybunparks haben schon jetzt Sitzplätze, im Fanblock, wo gestanden wird, werden nun Stühle montiert. Ein Vorgang, der nicht neu ist, weder in St.Gallen, noch in Bern oder Basel. Denn bei Europacup- und Länderspielen dürfen nur Sitzplätze angeboten werden.
Interessant ist, was Hüppi im «St.Galler Tagblatt» ankündigt: Nämlich, dass der FCSG vielleicht freiwillig nicht die maximal erlaubten rund 11'000 Personen ins Stadion lassen will. Damit die Auflagen der Behörden besser erfüllt werden können. «Die Menschenströme müssen kanalisiert und die Abstände eingehalten werden», erläutert Hüppi. «Wir sind daran, alles fein säuberlich auszuarbeiten.»
Die Kapazität freiwillig herunterschrauben? Das dürfte bei den Eishockeyklubs kaum eine Überlegung sein. Bei ihnen heisst das Motto: JZZ – jeder Zuschauer zählt.
Denn während viele Super-League-Stadien vor der Corona-Krise zu weniger als zwei Dritteln gefüllt waren, ist die Auslastung in den Eishallen der National League mit über 80 Prozent deutlich höher. Schon jetzt ist klar, dass die Klubs Zuschauer abweisen müssen – denn es gibt solche, die bereits mehr Saisonabos verkauft haben, als sie nun Sitzplätze anbieten dürfen.
Das führt zu einem weiteren Problem: Nun keinen treuen Fan zu brüskieren. Fribourg-Gottéron hat über 6000 Saisonabos verkauft, darf aber nur vor 5000 Zuschauern spielen. Wen sperrt man aus? Präsident Hubert Waeber sagt in den «Freiburger Nachrichten» über diese Zwickmühle: «Nehmen wir an, ein Sponsor zahlt 100'000 Franken pro Saison und hat dafür einige Sitzplätze. Dem kannst du schlecht sagen, er könne nur noch an jeden zweiten Match kommen.» Eine heikle Aufgabe wartet auf Waeber, denn «natürlich wollen wir nicht den Stehplatz-Abonnenten sagen: Es hat keine Stehplätze; für euch ist die Saison vorbei.»
In weiser Voraussicht hatten die SCL Tigers deshalb den Verkauf von Saisonkarten nach 3600 eingestellt. Im Vorjahr setzten die Emmentaler 4500 Abos ab. Doch sie waren zu zuversichtlich: Sie dürfen nach der Umwandlung von Steh- zu Sitzplätzen bloss rund 2700 Zuschauer in die Ilfishalle lassen. Der Klub prüft nun das weitere Vorgehen.
Langnaus Geschäftsführer Peter Müller wählt drastische Worte, um die Situation zu beschreiben, dass die Einnahmen aus dem Ticketing wohl um rund 60 Prozent sinken: «Wir sind grundsätzlich geübte und fitte Kletterer, aber keine Bergsteiger. Was uns bevorsteht, kann mit einer Besteigung der Eigernordwand verglichen werden. Ungesichert, ohne grosse Hilfsmittel und Proviant sowie der Unsicherheit, dass sich die Rahmenbedingungen stetig ändern können.»
Dass die Tigers-Spiele meist sehr gut besucht sind, rächt sich nun zu Corona-Zeiten. Entsprechend budgetiert ein Klub. Weshalb Marc Gianola, der CEO des HC Davos, sich nach dem Bundesratsentscheid «vorsichtig optimistisch» geben kann. Die Bündner rechnen damit, dass sie zwischen 3500 und 4000 Zuschauer ins Stadion lassen dürfen. Vergangene Saison hatte der HCD einen Schnitt von 4444 Fans pro Partie.
Ganz anders ist die Situation beim SC Bern, der in ganz Europa die meisten Fans aller Eishockeyklubs anzieht. Über 16'000 Zuschauer strömen in die Halle, viele auf die imposante Stehrampe. Auf dieser müssen nun Sitzplätze installiert werden und trotzdem: CEO Marc Lüthi spricht von nur noch 6000 Zuschauern, die aufgrund der neuen Bestimmungen dabei sein dürfen.
Bleiben zwei Fragen offen. Erstens: Gehen in der aktuellen Situation überhaupt so viele Menschen in ein Stadion, dass sie es zu zwei Dritteln füllen? Wahrscheinlich schon. Es gibt viele, die sich nach einer Rückkehr zur Normalität sehnen oder die sich sicher genug fühlen mit Maske und Abstand. Oder die ohnehin alle Massnahmen für übertrieben halten.
An die zweite, ganz grosse Frage wagt man besser nicht zu denken: Was passiert, falls sich die epidemiologische Lage mit Beginn der kalten Jahreszeit verschlechtert?