Seit Anbeginn unserer TV-Geschichte gilt: Ich komme im staatstragenden Fernsehen, also bin ich. Will heissen: Ein Sport, der nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen ist, existiert praktisch nicht.
Wer ohne diese TV-Präsenz um Werbegelder verhandelte, versäumte das Betteln. Aus einem einfachen Grund: Die privaten Sender hatten in der Vergangenheit weder die Reichweite noch die politische Bedeutung des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF).
Bisher war daher klar: Live-Übertragungen über Bezahlsender (wie Swisscom, SunriseUPC) sind gut und schön. Aber es geht trotzdem nicht ohne Leutschenbach. Also wurde in den Verträgen mit den privaten Rechteinhabern stets festgeschrieben, dass den staatstragenden TV-Machern «Filetstücke» überlassen werden müssen: eine Anzahl Live-Spiele während der Qualifikation und Live-Rechte für die Playoffs. Die Hockey-Nation hat sich, wenn es um den Titel ging, bisher in erster Linie vor den SRF-Bildschirmen versammelt.
Die Liga hat nun ihre Seele (die TV-Rechte) den Privaten verkauft und sämtliche Rechte ab der nächsten Saison für fünf Jahre an Sunrise/UPC (MySports) abgetreten. In diesem Vertragswerk ist zwar erneut festgehalten, dass ab nächster Saison (2022/23) ein «Spiel der Woche» während der Regular Season und kurz nach Spielschluss jeder Runde ein Magazin «alle Spiele, alle Tore» gratis zu sehen sein muss. Aber eben: auf welchem Sender?
Bisher galt zwingend das staatstragende Fernsehen als kostenfreier Kanal (obwohl wir dafür eine Gebühr zu entrichten haben) für solche frei zugängliche Übertragungen. Inzwischen gibt es viel mehr solche Kanäle: Einerseits verfügt Sunrise/UPC über ein Partner-Kabelnetz mit über 2 Millionen Kunden, über das Spiele auch gratis übertragen werden können. Andererseits gibt es reichweitenstarke frei empfangbare TV-Sender (wie TV24).
Darüber hinaus können Bilder übers Internet oder über mobile Geräte (OTT) verbreitet werden: Sunrise/UPC hat beispielsweise über 2,5 Millionen Mobile-Abonnenten. Das bedeutet: Der private Rechteinhaber (Sunrise/UPC) ist zum ersten Mal in der Geschichte bei der Verpflichtung einer kostenfreien Übertragung nicht mehr auf das staatstragende Fernsehen angewiesen. Sunrise/UPC kann die Gratis-TV-Bilder-Pflicht auch gleich selbst oder zusammen mit einem strategischen Partner erfüllen.
Dass das staatstragende Fernsehen im Sport massiv an Bedeutung verloren hat, ja, dass eine «Götterdämmerung» heraufzieht, zeigt sich spektakulär im Abgang von prominenten Moderatorinnen und Moderatoren zu privaten Medienhäusern.
Einst war eine TV-Karriere nur im Leutschenbach möglich. Freiwillige Wechsel zu einem privaten Sender waren bei uns so selten wie Kirchenaustritten von papabilen Bischöfen. Inzwischen verlassen immer mehr bekannte Gesichter oder Produzenten den staatstragenden Sender und wechseln zu privaten Stationen (Roman Kilchsberger, Steffi Buchli, Stefan Bürer, Herbert Zimmermann, Jann Billeter).
Liga-Manager Denis Vaucher bestätigt, dass die Liga keinen Einfluss darauf hat, wer ab nächster Saison von Sunrise/UPC die Gratis-Bilder bekommt: «Dem Rechteinhaber ist es freigestellt, wem er entsprechende Sublizenzen ausstellt.»
Die Frage, ob am Ende die Seele verkauft worden sei, wenn Leutschenbach zum ersten Mal in der Hockey-Geschichte nur noch am TV-Katzentisch Platz nehmen musss, sei polemisch. Er gibt zu bedenken, dass sich die TV-Gewohnheiten unserer Gesellschaft verändern. Die für die Werbeindustrie wichtigen TV-Konsumenten seien mehr und mehr nicht mehr die typischen SRF-Konsumenten. «Eine neue Generation hat andere Fernsehgewohnheiten». Für die Jungen sei es ganz normal für gewisse Programme (Musik, Filme, Sport) zu bezahlen.
Das staatstragende Fernsehen hat bereits wichtige internationale Sport-Rechte in anderen Bereichen (wie der Champions League im Fussball) verloren. Es zeichnet sich ab, dass sich diese Entwicklung nun auch auf dem nationalen TV-Rechtemarkt fortsetzt.
Rein kommerziell (Reichweite) ist eine Präsenz auf den Leutschenbach-Kanälen nicht mehr zwingend erforderlich. Bleibt noch die Frage, wie wichtige politisch-psychologisch (für die gefühlte Bedeutung einer Sportart) eine Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen erforderlich ist. Auch da zeichnet sich eine «Götterdämmerung» ab. Wir müssen (oder dürfen) damit rechnen, dass ab der Saison 2022/23 die Hockey-Meisterschaft durchwegs von privaten Stationen aufgearbeitet wird. Früher ritten die Abgesandten von Leutschenbach auf hohen Rössern an den Verhandlungstisch mit den Sport-Funktionären. Nun müssen SRF-Sportchef Roland Mägerle und sein Mephisto Adi Boss immer mehr auf staubige, abgemagerte Esel umsatteln.
Ohnehin ist die Präsentation der Hockey-Meisterschaft bei MySports bereits heute im Quadrat unterhaltsamer und fachlich fundierter als in den Leutschenbach-Studios. Dort ist halt noch immer ein wenig der Grove aus der Zeit von Hans A. Traber, Mäni Weber, Jack Günthard, Martin Furgler und Wysel Gyr in der DNA. Gucken wir also SRF-Hockeybilder, solange es sie noch gibt. Damit wir unseren Grosskindern einmal sagen können: «Ja, ja, mein Kind, es ist wahr, es gab einst im staatstragenden Fernsehen auch Sport-Liveübertragungen aus Langnau und Ambri…»
Als Kind habe ich jedes einzelne Spiel meiner Mannschaft, unter der Decke, im Radio verfolgt. Ein paar Regular-Season Spiele ohne Abo verfolgen zu können wäre schon Toll.
Gleiches gilt für Champions League und Formel 1. Gratis OK, schaue ich ManU-Madrid, aber dafür bezahlen, NIEMALS...
Zuschauerzuwachs hatten sie bislang immer noch nicht (trotz Corona!)