Das Streben nach dem Maximum, nach noch mehr Punkten oder Toren gehört zu den tiefen Wahrheiten des Eishockeys und gilt für Spieler und Mannschaften. Logisch ist also, dass ein Sportchef und ein Trainer alles tun, um aus der aktuellen Ausländer-Regelung ein Maximum herauszuholen. Das bedeutet: Wenn immer möglich sechs Ausländer pro Spiel einsetzen und wenn das nicht machbar ist, doch wenigstens so viele wie möglich.
Nun lehrt uns der grosse Lew Nikolajewitsch Tolstoi (kein russischer Trainer, sondern ein Chronist und Gutsbesitzer), dass solches Streben nach dem Maximum nicht von Gutem ist. Dass etwa Bildung besser sein kann als immer mehr Besitz. Aufs Hockey übertragen: Ausbildung ist besser als das Streben nach der maximalen Zahl von Ausländerlizenzen. Der Mensch brauche ja auch nicht mehr Grundbesitz als die Erde, um darin einmal begraben zu werden.
Nennen wir es also das «Tolstoi-Prinzip». Die Aus- und Weiterbildung der jungen Spieler, das ist es, was unser Hockey braucht. Und nicht noch mehr Ausländer. Richtig. Oder doch nicht?
Es gibt, so wie im richtigen Leben, auch immer eine andere Wahrheit. Am 24. September überrollen die SCL Tigers den späteren Tabellenführer Davos gleich mit 7:0. Mit sechs ausländischen Spielern. Joshua Fahrni (22), einer, der von Bern nach Langnau gewechselt hat, um sich aus- und weiterzubilden, erzielt ein Tor und darf sich darüber hinaus ein Assist gutschreiben lassen. Es ist bereits sein zweiter Saison-Treffer. Zuvor hat er am 20. September ein Tor und ein Assist beim 4:2 gegen das – zu diesem Zeitpunkt – noch schier übermächtige Gottéron beigesteuert. Dario Allenspach (22), ein Auszubildender, der von Zug nach Langnau gekommen ist, trifft gegen Gottéron ebenfalls. Die Lehrlinge erzielten also bei diesem Sieg die Hälfte der Tore. Auch gegen Gottéron konnte Trainer Thierry Paterlini sechs Ausländer einsetzen.
Nach dem 7:0 gegen Davos folgen 18 Partien, bei denen Langnaus Trainer nicht mehr alle sechs Ausländerpositionen besetzen kann. Acht Mal hat er sogar nur vier und zwei Mal lediglich drei Ausländer zur Verfügung. Sechs von diesen 18 Partien verlieren die Langnauer zu null.
Logisch wäre nun, wenn die jungen Talente, die Auszubildenden, die Lehrlinge, die Abwesenheit der ausländischen Konkurrenz genutzt hätten, um die Liga zu rocken. Denn nun bekommen sie mehr Eiszeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Verantwortung, kurzum: mehr Gelegenheit sich zu zeigen, zu profilieren, zu entwickeln. Das ist aber nun ganz und gar nicht der Fall. Dario Allenspach bucht in diesen 18 Partien gerade mal ein Tor und ein Assist. Joshua Fahrni bringt es auf zwei Assists und ein Tor.
Langnaus Sportchef Pascal Müller war, ganz wie es uns Tolstoi lehrt, bescheiden und hat nur einen Ersatzausländer verpflichtet und in Kauf genommen, dass 18 Spiele lang das Ausländerkontingent nicht ausgeschöpft werden konnte. Damit förderte er die Bildung der jungen Spieler. Aber es hat, wenn wir die Statistik betrachten, die Jungen nicht weitergebracht. Das «Tolstoi-Prinzip» der Selbstbeschränkung und Bescheidenheit, der Konzentration auf Bildung statt Besitz, hat nicht funktioniert.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Ja, es wird sogar ad absurdum geführt: Am Freitag können die Langnauer endlich, endlich zum ersten Mal seit dem 24. September wieder mit ausländischem Maximalbestand antreten. Sie dominieren nach Belieben, gewinnen 4:2 – und die Jungen setzen sich bestens in Szene: Joshua Fahrni erzielt das 1:0 auf Pass von Dario Allenspach. Je mehr Ausländer, desto mehr Ausbildung, desto besser die Jungen?
Thierry Paterlini lässt seine beiden Lehrlinge gegen Ambri auf den Aussenbahnen neben dem amerikanischen Mittelstürmer Sean Malone stürmen. So hat er es am Dienstag bereits in Lugano gemacht und Joshua Fahrni und Dario Allenspach haben zwei Treffer zum überraschenden 5:3 beigesteuert. Er sagt kurz und klar, wie es seine Art ist: «Malone macht eben eine ganze Linie besser.»
Die Frage ist also nicht nur, wo die Langnauer wären, wenn sie in jeder Partie sechs Ausländer hätten einsetzen können. Die Frage ist auch, wie viel besser Joshua Fahrni und Dario Allenspach dastehen würden, wenn sie immer neben einem ausländischen Center eingesetzt worden wären.
Was lernen wir daraus? Als Schlaumeier können wir jede Statistik grad so auslegen wie es uns passt. Wir können die Statistik als Beweis anführen, dass sechs Ausländer für die Aus- und Weiterbildung der Jungen besser sind als fünf, vier, drei, zwei oder gar nur einer. Neben einem guten Spieler (das sind die Ausländer meistens) kann ein Lehrling mehr lernen und sich besser entwickeln als neben einem Mitläufer. Je mehr und je bessere Ausländer ein Ausbildungsclub hat, desto besser. Möglichst viele Ausländer zum Wohle unseres Hockeys!
Diese Schlussfolgerung, statistisch erhärtet an einem wahllos herausgegriffenen Beispiel, ist natürlich absurd. Entscheidend ist etwas ganz anderes: Wie setzt der Trainer seine Ausländer und seine Talente ein? Das Problem ist also nicht unsere Ausländerregelung (sechs können pro Spiel eingesetzt werden). Das Problem ist, was die Trainer daraus machen. Der Schlüssel zur richtigen Ausbildung der jungen Spieler zum Wohle unseres Hockeys ist also die Weisheit der Sportchefs und Trainer. Das würde der grosse Tolstoi sicherlich auch so sehen.