Ein langjähriger Lugano-Kenner hat die schmählichste Krise der Geschichte in einem Satz erklärt: «In Lugano ist das Ego des Managements wichtiger als der Erfolg.»
Ja, so ist es wohl. Eine Formel, die hin und wieder auch Krisen bei anderen Sportunternehmen auf den Punkt bringt. Aber wir wollen nicht grübeln.
Luganos Problem der Gegenwart war schon in biblischen Zeiten bekannt. Im Buch der Bücher lesen wir: «Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.» Wenn wir diese Worte nur leicht abändern, dann können wir den HC Lugano der Gegenwart erklären: «Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass das ‹Grande Lugano› bescheiden werden kann.»
Es gibt viele schwierige Jobs im Land. Aber nur einen, den niemand mehr bewältigen kann: Sportchef und Bürogeneral in Lugano. Roland Habisreutinger scheiterte zwischen 2009 und 2019 beim Versuch, Lugano zu neuem Ruhm zu führen. Es reichte für zwei dramatisch verlorene Finals (2016 und 2018). Heute würden die Fans der «Curva Nord» den Hockeygöttern auf den Knien danken und zum Dank «La Montanara», die Hymne des Rivalen Ambri-Piotta, mit Inbrunst intonieren, wenn es Habisreutingers Nachfolger Hnat Domenichelli gelingen würde, ein Finalteam zusammenzustellen.
Zehn Jahre vergebliche Jagd nach neuem Ruhm haben Lugano tief traumatisiert. Das reiche, sportlich so erfolgreiche Lugano (Titel 1986, 1987, 1988, 1990, 1999, 2003, 2006) kann offensichtlich nicht mehr Meister werden.
Nicht einmal mehr zu einem Cup-Sieg hat es gereicht. Dabei sind sogar Ajoie und die Rapperswil-Jona Lakers Cupsieger geworden. Diese notorische Erfolglosigkeit hat zu einer eigentlich klugen neuen Strategie geführt: Wenn wir schon nicht mehr Meister werden können, dann macht es keinen Sinn, weiterhin mit viel, viel Geld nach meisterlichem Ruhm zu streben. Dann lasst uns bescheiden mit unseren eigenen Leuten glücklich werden. Wie Ambri, das erst noch beliebter ist als wir.
Aber eben: Eher kriecht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein reicher, ruhmreicher Klub ins Himmelreich der Bescheidenheit gelangt. Luganos Sportdirektor Hnat Domenichelli ist bei seiner «Operation Bescheidenheit» in die Sackgasse geraten. Im Bestreben, wie Ambri zu werden, hat er sich für die konsequente Förderung der eigenen Hockeykultur entschieden und am 8. Oktober 2022 den charismatischen, weltgewandten und weitgereisten kanadischen Bandengeneral Chris McSorley (62) des Amtes enthoben. Seither steht der freundliche Luca Gianinazzi (31) an der Bande. Er hatte bis dahin nur mit Junioren in Lugano gearbeitet. Seine Überforderung ist offensichtlich.
Die sportlichen Folgen dieses Trainerwechsels sind nachgerade verheerend: Lugano beginnt das neue Jahr auf dem 13. und zweitletzten Platz. Statt den SC Bern beim ersten Spiel im neuen Jahr auf Augenhöhe herauszufordern, geht es darum, nicht in Reichweite von Schlusslicht Ajoie zu geraten.
Nie in seiner Geschichte ist Lugano in der höchsten Liga sportlich so tief gesunken. Aber der Trainer ist immer noch im Amt. Luca Gianinazzis Absetzung wäre für das Management das Eingeständnis des Irrtums. Das Scheitern der gutgemeinten, aber etwas naiven Absicht, aus dem «Grande Lugano» mit einem Trainer aus den eigenen Reihen ein Ambri unter Palmen zu machen. Das Ego ist immer grösser als die Bereitschaft, einen Irrtum einzugestehen. Die «Ego-Falle» oder das Unglück, Luganos Sportchef zu sein.
Hat Lugano also ein Trainerproblem? Ja, aber eben ein selbst verschuldetes. Mit loyalen, kompetenten, charismatischen Assistenten und sechs brauchbaren ausländischen Spielern wäre Gianinazzi mit ziemlicher Sicherheit erfolgreich. Aber im Bestreben die heimische Kultur zu fördern, hat Domenichelli auch zwei eigene Juniorentrainer (Krister Cantoni, Paolo Morini) zu Assistenten befördert und dazu mit Kalle Kaskinen einen Finnen geholt, der mit Profiteams keinerlei Erfolg vorzuweisen hat.
Die inzwischen erfolgte Berufung von Antti Törmänen zum Berater hat den Charakter einer Verzweiflungsaktion. Sie ist bisher ohne jede Wirkung geblieben. Ein Trainer, der einen Berater braucht, verliert alle Autorität. Lugano gewinnt inzwischen in erster Linie, weil es unterschätzt wird. Das hat es noch nie gegeben.
Mindestens so schwerwiegend sind die glücklosen Versuche, die Mannschaft mit einer Kerngruppe von ausländischen Spielern zu stabilisieren. So wie dies etwa Pascal Müller in Langnau gelungen ist. Hnat Domenichellis Liste der Flops ist länger als die jedes anderen Sportchefs und wenn dann doch einer eigentlich gut genug gewesen wäre, dann ist es nicht gelungen, ihn zu halten: Tim Heed spielt heute eine zentrale Rolle in Ambris Verteidigung und Markus Granlund in Servettes Offensive.
Das ist bitter für ein Hockey-Unternehmen, das über Jahre ausländische Stars beschäftigt hat, die zu den besten der Liga, ja, einige sogar zu den besten der Welt gehörten (Mats Waltin, Kenta Johansson, Igor Larionow, Kari Eloranta, Ville Peltonen, Glen Metropolit, Petteri Nummelin, Cristobal Huet, Gaetano Orlando, Peter Andersson, Linus Klasen, Fredrik Pettersson, Patrick Thoresen). Nicht einer der aktuellen Ausländer könnte einem dieser Namen auch nur die Schuhe binden. Geschweige denn in ihren Schuhen stehen.
Es ist, als liege ein «Fluch» über den Bemühungen, brauchbare Ausländer zu finden. Nicht in erster Linie fehlende Kompetenz ist das Problem. Eher ist es eine Mischung aus Naivität, zu viel Geld und unglücklichen Umständen: Nach wie vor orientiert sich Luganos sportliche Führung zu oft an vergangenem Ruhm und am Preisschild eines Ausländers.
Die Kunst, einen ausländischen Spieler geduldig zu beobachten, die Ambri beispielsweise den Liga-Topskorer Dominik Kubalik beschert hat, gehört nicht zu Luganos Management-Kultur. Sorgfältigere Abklärungen hätten beispielsweise zur Erkenntnis geführt, dass NHL-Goalie Mikko Koskinen – einer der teuersten Ausländer-Flops der neueren Geschichte – ein Ferienreisender sein wird.
Um es auf den Punkt zu bringen: Lugano hat in erster Linie ein Sportchef-Problem – und dann erst ein Trainerproblem. In der NHL gilt: Der General Manager kann drei Trainer feuern – beim vierten Flop muss er gehen. Hnat Domenichelli hat inzwischen schon Sami Kapanen des Amtes enthoben, mit Serge Pelletier nicht mehr verlängert (obwohl der kanadisch-schweizerische Doppelbürger Lugano auf Rang 2 geführt hatte) und Chris McSorley gefeuert. Bei nullkommanull Erfolg. Luca Gianinazzi wäre also die Nummer vier und nach der NHL-Regel ein zwingender Grund, den Sportchef in Lugano zu entlassen.
Fribourg-Gottérons Sportdirektor Gerd Zenhäusern müsste nach dieser NHL-Regel gefeuert werden: Nach der von ihm eingefädelten Entlassung von Christian Dubé und dessen Nachfolger Patrick Emond und der Anstellung von Roger Rönnberg für die nächste Saison ist er nun mit Lars Leuenberger schon beim vierten Trainer in seiner noch nicht einmal einjährigen Amtszeit angelangt.
Aber die letzte Wahrheit steht immer oben auf der Resultatanzeige: Gottéron hat soeben den Spengler Cup Final gegen die Straubing Tigers 7:2 gewonnen. Der erste Titel der Klubgeschichte. Dabei hat Zenhäuserns Vorgänger Dubé noch die siegreiche Mannschaft zusammengestellt.
Von so viel Glück und so viel Gunst der Hockey-Götter wagt Hnat Domenichelli inzwischen nicht einmal mehr zu träumen. Die Hockey-Götter meinen es einfach nicht gut mit Luganos Sportchef.