Kleine Stadien haben einen Vorteil: Sie sind manchmal so gebaut, dass das Eisfeld bequem von der Beiz aus überblickt werden kann. Das ist beispielsweise bei der Eishalle in Sursee der Fall. Eigentlich keine Hockey-Stadt. Der berühmteste Mann aus Sursee heisst Haris Seferovic und kickt den Ball. Aber im Spätsommer wird hier seit zehn Jahren der Lehner Cup zelebriert: ein Spengler Cup des armen Mannes.
Der Auftritt von Ambri bei diesem Turnier hatte einen besonderen Reiz. Die Stadionbeiz befindet sich ziemlich hoch über der Stirnseite des Eisfeldes. Von oben liegt also das eine Tor wie auf dem Präsentierteller vor dem Betrachter. Was dann interessant ist, wenn Ambri gegen dieses Tor stürmt. Wenn wir nämlich wissen wollen, wie es um Ambri steht, müssen wir nur die Antwort auf eine Frage finden: Wie gut sind die neuen ausländischen Stürmer? Wenn wir also von der Beiz oben etwas genauer hinschauen, können wir erkennen, ob die Neuen etwas taugen.
Ohne jede Übertreibung dürfen wir sagen: Ambris Problem sind nur die Ausländer. Ob Ambri die Playoffs erreicht oder gar das Überraschungsteam der Saison wird, hängt nämlich ausschliesslich vom ausländischen Personal ab. Ach, wie hoch wäre die Mannschaft von Luca Cereda letzte Saison geflogen, wenn die Ausländer – wie zum Beispiel in Langnau – 69 Tore erzielt hätten!
Mindestens so hoch wie in der Meisterschaft 2018/19. Damals haben Ambris ausländische Arbeitnehmer 54 Treffer produziert und die Mannschaft auf Rang fünf und in die Champions League geführt. Seither sind sie immer schwächer geworden und die Torproduktion ist gefallen wie eine CS-Aktie: Erst auf 45 Treffer (2019/20), dann auf 41 (2020/21) und schliesslich auf 28 in der vergangenen Spielzeit. Über den 10. Rang ist Ambri so nicht mehr hinausgekommen.
Nun kommen die offensiven Hoffnungsträger aus Tschechien. Michael Spacek und Filip Chlapik. Beide erst 25. Beide kennen sich von Kindesbeinen an. Beide offensive Derwische, die im Zentrum und auf den Aussenbahnen wirbeln. Beide mit einem Zweijahresvertrag.
Filip Chlapik, der Kräftigere der beiden, ist mehr Powerstürmer und Vollstrecker und war soeben mit sagenhaften 70 Punkten aus 53 Spielen bester Skorer der heimischen Liga. Wer gut genug ist, um die tschechische Liga zu dominieren, müsste doch auch gut genug für die National League sein. Oder? Und Michael Spacek, mehr Spielmacher und Vorbereiter, war letzte Saison in der höchsten schwedischen Liga ein fleissiger Skorer (49 Spiele/46 Punkte).
Nun ruhen in Sursee also die Augen auf Michael Spacek und Filip Chlapik. Am Beizen-Tisch mit wunderbarer Sicht aufs Eis sitzt auch ein freundlicher Ambri-Fan. Er ist extra durch den dichten Freitagsverkehr aus Zürich angereist, um sich mit eigenen Augen ein Bild zu machen. Als langjähriger Saisonkarten-Besitzer weiss er um die Bedeutung der beiden Wunderknaben aus Tschechien für das Wohl und Weh des Klubs. Seine anfängliche Skepsis löst sich bald in Optimismus, ja Begeisterung auf.
Ambri testet gegen Zug. Also gegen die meisterliche Verteidigung. Auch wenn bloss Luca Hollenstein im Tor steht: Mit spielerischen Hosenknöpfen ist in der Zuger Defensivzone nichts auszurichten. So ist es schon erstaunlich, dass der Meister gleich mit 5:1 vom Eis gefegt wird.
Michael Spacek und Filip Chlapik stürmen Seite an Seite und steuern zusammen zwei Tore bei. Was noch wichtiger ist: Von oben, von der Stadion-Beiz aus, sind ihre Beweglichkeit, ihre Schlauheit, ihre Kreativität und vor allem ihre feinen, schnellen Hände viel besser zu sehen als von der Tribüne auf der Längsseite. Beide haben die Hände eines Pianisten. Vor allem Michael Spacek umschmeichelt den Puck. Er schlägt ihn nicht.
Die Treffsicherheit der Ausländer ist nicht alles. Langnau kam letzte Saison trotz 69 fremdländischen Toren nicht über den zweitletzten Platz hinaus. Aber bei Langnau stimmte ausser der Torproduktion des ausländischen Personals eigentlich gar nichts. Bei Ambri hingegen waren die Ausländer das einzige Problem und alles andere stimmte. Deshalb: Treffen die Ausländer, dann rockt Ambri.
Also geht im Kabinengang der Arena zu Sursee folgende Frage an Ambris Sportchef Paolo Duca: «Wann fällt in der Qualifikation das 29. Tor?» Er reagiert etwas reserviert. Nicht gänzlich zu Unrecht vermutet er wieder einmal den Ansatz zu einer Polemik. Er will wissen, was der Chronist damit meine.
Nun, ganz einfach: Je früher die Ausländer mehr Tore als letzte Saison – da waren es ja bloss 28 – erzielen, desto besser wird es Ambri ergehen. Fällt der 29. Treffer der Ausländer schon im Oktober, müsste Ambri gar in die Spitzengruppe aufrücken. Es kann immer noch für die Playoffs reichen, wenn dieser 29. Treffer im Dezember fällt. Im Januar ist es dann aber zu spät. Mit Michael Spacek und Filip Chlapik dürfte das 29. Tor rechtzeitig fallen. Oder?
Solche Spekulationen mag Ambris Sportchef ganz und gar nicht. «Calma! Calma!», mahnt er gestenreich vor zu hohen Erwartungen. Immerhin: Sein Trainer Luca Cereda ist sehr zufrieden. Er lobt nicht nur die technischen Fertigkeiten seiner neuen tschechischen Stürmer. Er rühmt auch ihre Berufseinstellung, ihre Offenheit und ihren Willen, zu lernen. Das 5:1 gegen Zug weiss er richtig einzuordnen: Dafür lasse sich nichts kaufen. Aber es sei gut für das Selbstvertrauen seiner Spieler. «Es ist ein Zeichen, dass wir bei unserer Arbeit etwas richtig machen.»
Dass die beiden tschechischen Stürmer «funktionieren», ist umso wichtiger, weil mit Dominic Zwerger (bisher 186 Punkte in 260 Spielen) eine Lichtgestalt in Ambris Offensive den gegnerischen Torhütern nicht heimleuchten kann. Er leidet nach wie vor an einer Gehirnerschütterung. Luca Cereda sagt: «Eine Prognose ist sehr schwierig. Wir planen den Saisonstart im September erst einmal ohne ihn. Er soll sich ohne Druck vollständig erholen können.»
Am Samstag besiegt Ambri beim zweiten Spiel in Sursee auch die SCL Tigers und gewinnt den Lehner Cup. Die Langnauer hinterlassen einen desolaten Eindruck. Stéphane Charlin ist ein Lottergoalie und die Emmentaler können froh sein, dass sie mit einer 2:5-Niederlage gnädig davonkommen. Filip Chlapik erzielt zwei Treffer. Somit haben die beiden Tschechen in den zwei Partien in Sursee vier Tore erzielt.
Rechnen wir diesen «Sursee-Faktor» auf die Meisterschaft um, dann erzielen sie bereits im 15. Spiel am 22. Oktober in Bern das 29. Tor und übertreffen das letztjährige Ausländer-Total. Und wir können ja davon ausgehen, dass auch die drei anderen ausländischen Feldspieler – Verteidiger Jesse Virtanen, die Stürmer Nick Shore und Brandon McMillan – ab und an auch ein Tor beisteuern werden. Das 29. Tor wird womöglich noch viel früher fallen.
Mag sein, dass wir Leistungen bei einem Vorbereitungsturnier nicht überbewerten sollten. Aber Sursee weckt Hoffnungen. Die Hoffnung war in Ambri schon immer wie ein bisschen Zucker im Kaffee: Mag sie noch so klein sein, so versüsst sie doch den mühseligen Alltag im kargen Bergtal der Leventina.
😁
2. Klar dürfte Ambri stärker sein als letzte Saison. Aber das gilt eben auch für Bern, Lugano, Genf usw..Deshalb wäre es schon eine Überraschung, wenn es für die Top 6 reichen würde. Gönnen würde ich es Ambri natürlich.