Alisha Lehmann ist die bekannteste Schweizer Fussballerin. Das hat sich nicht geändert – obwohl sie an der Heim-EM nur eine Reservistinnenrolle innehat und noch nicht zum Einsatz kam. Die 26-jährige Bernerin hat auf Instagram fast 17 Millionen Follower und damit mehr als jede andere Fussballerin weltweit. Im Zürcher Hauptbahnhof wirbt sie auf 60 Quadratmetern für Bademode. Doch in der herkömmlichen Werbung rund um die Frauen-EM findet sie nicht statt.
In den TV-Spots der Nati-Sponsoren stehen andere Spielerinnen im Mittelpunkt. In der Swisscom-Werbung sucht ein Kind die Nati, landet zunächst beim Männerteam mit Murat Yakin, Breel Embolo und Michel Aebischer – und wird schliesslich zu Lia Wälti, Sydney Schertenleib und Meriame Terchoun geführt. Bei der UBS bilden Captain Lia Wälti und Sydney Schertenleib gemeinsam mit Alayah Pilgrim, Naomi Luyet und Noemi Ivelj die Kampagne. Und für die Automarke VW stehen ebenfalls andere Spielerinnen im Fokus: Luana Bühler, Ramona Bachmann und Iman Beney.
Weshalb verzichten die Nati-Sponsoren auf Werbung mit der Fussballerin mit der grössten Präsenz in den sozialen Medien? Pro Instagram-Post mit Werbung soll die Bernerin eine Viertelmillion erhalten. Für Nati-Sponsoren wäre diese Werbekraft deutlich günstiger zu haben. Die Spots mit den Nati-Spielerinnen sind Teil der Kampagnenverträge des Schweizerischen Fussballverbands. Die Akteurinnen erhalten ebenfalls Geld, diese werden aber fair aufgeteilt. Lehmann ist also nicht teurer als andere.
Der renommierte Werber Frank Bodin schätzt ein: «Alisha Lehmann ist zweifellos ein prägendes Gesicht der Nati, sehr erfolgreich in sozialen Medien, attraktiv und mit starker Ausstrahlung. Damit wäre sie für Werbungen natürlich gut geeignet.» Doch er sagt: «Inzwischen spürt man in der Werbung eine gewisse Zurückhaltung. Es scheint eine Angst davor zu geben, Stereotype zu bedienen – insbesondere, wenn es um Äusserlichkeiten geht.» Statt auf Reservistin Alisha Lehmann setzen Firmen deshalb lieber auf Captain Wälti, die mit sportlichen Leistungen brilliert.
«Lia Wälti ist das perfekte Aushängeschild», sagt Bodin. Sie steht eher für die Schweizer Werte als die auffällige Alisha Lehmann, die in der Schweiz polarisiert. «In der Werbung zählt oft das Unverfängliche. Man will kein Risiko eingehen – keine Ecken und Kanten, keine Kontroversen. Früher war man da mutiger. Heute setzt man eher auf geschliffene, sichere Persönlichkeiten. Das entspricht auch einer typisch schweizerischen Haltung: zurückhaltend auftreten, keine grossen Gesten machen, nicht anecken», so Bodin.
Auch deshalb seien Sportler wie Roger Federer und Marco Odermatt die perfekten Werbefiguren. «Wer klassische Schweizer Werte wie Verlässlichkeit, Bodenständigkeit und Zurückhaltung verkörpert, kommt in Werbungen besser an – auch wenn das mitunter etwas langweilig wirkt», findet Frank Bodin. Deshalb wünscht er sich, dass Alisha Lehmann in den TV-Spots häufiger vorkommt. «Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten kommen in den sozialen Medien gut an – in der klassischen Werbung hingegen bleiben sie oft aussen vor.»
Es gibt aber auch praktische Gründe, weshalb Alisha Lehmann in den TV-Spots der Nati-Sponsoren weniger in Erscheinung tritt. Die meisten wurden im Frühling bei Zusammenzügen rund um Länderspiele gedreht. Doch Alisha Lehmann hat in der Nations League weitestgehend gefehlt, weil sie nicht nominiert wurde. Lediglich für die letzten beiden Partien gegen Frankreich (0:4) und Norwegen (0:1) wurde sie aufgrund einer Verletzung nachnominiert und kam zu Kurzeinsätzen. Somit fehlte Lehmann in jener Phase in der Nati, in der die meisten Werbedrehs stattfanden.
Doch ihre Abwesenheit in der Nati hätte nicht heissen müssen, dass sie in keinen TV-Spots vorkommt. Die in Turin lebende Alisha Lehmann hätte für die Drehs auch in die Schweiz eingeflogen werden können. Der Schweizerische Fussballverband bestätigt auf Anfrage: «Es waren bei den Werbeaufnahmen teils auch Spielerinnen dabei, die kein Aufgebot hatten.»
Ein weiterer Faktor war womöglich, dass Alisha Lehmann lange um ihre EM-Nominierung bangen musste. Viele Nati-Werbepartner entschieden sich daher für Spielerinnen, deren Teilnahme an der Heim-EM als sicherer galt, auch wenn Alisha Lehmann die deutlich grössere Reichweite erreicht.
Aber ist halt Geschmacksache.