Um 21.43 Uhr ist am Donnerstagabend im St. Jakob-Park für einige Sekunden alles fast wie immer. Zumindest akustisch. Denn über die Lautsprecherboxen verkündet der Stadionsprecher scheppernd den Torschützen zum 2:0: «Mit der Nummer 10, Matias …»
Normalerweise würden jetzt zigtausend Kehlen seinen Satz vollenden: «... Delgadooooo!» Normalerweise. Dieses Mal wartet der Speaker vergeblich – denn an diesem Abend ist nichts normal.
Nur 350 Menschen verlieren sich im Viertelfinal-Hinspiel der Europa League gegen Valencia im Stadion. Es sind grösstenteils Journalisten, Fotografen, Balljungen und Funktionäre. Die Fans müssen wegen der UEFA-Sanktion nach den Zwischenfällen von Salzburg draussen bleiben. Einige Basler Chaoten hatten am 20. März in Österreich mit Pyros und Wurfgegenständen einen Spielunterbruch provoziert. Dafür büssen jetzt alle. 99 Prozent der Plätze bleiben unbesetzt. Die Leere und die Stille im weiten rot-blauen Rund sind wie es sich für ein Geisterspiel gehört – einfach gespenstisch.
«Da rennen doch nur 22 Hampelmänner einem Ball hinterher. Ich verstehe nicht, was daran spannend ist.» Wer hier und jetzt diese ewige Diskussion mit einem Fussballkritiker führen müsste, der würde in Erklärungsnot geraten. Denn tatsächlich ist das Geschehen auf dem Rasen ohne Stimmung eine endlos triste Angelegenheit.
Schon bei der Europa-League-Hymne – ohnehin nur die kleine, unbeliebte Schwester derjenigen der Champions League – mangelt es ohne die vibrierende Vorfreude der Fans im Stadion an jeglichem Glamour. Einer der Saisonhöhepunkte verkommt zur blutleeren Angelegenheit, oder wie es FCB-Präsident Bernhard Heusler ausdrückt: «Ein Teil der Seele fehlt.»
Da hilft es nicht, dass der FC Basel anschliessend mit einer Rumpftruppe dem grossen Valencia eine Lektion erteilt und nach dem tollen 3:0-Sieg schon mit anderthalb Beinen im Halbfinal steht. Es hilft auch nicht, dass der gefallene argentinische Messias Matias Delgado dabei endlich den Knopf aufmacht und zwei, vielleicht millionenschwere, Tore markiert.
All diese mitreissenden Geschichten verpuffen irgendwo im Basler Nachthimmel über dem Geisterstadion. Statt Freudenschreien und Schlachtgesängen wird das Geschehen von höflich zurückhaltendem Klatschen der dreieinhalb Hundertschaften untermalt und auf der Tribüne fragt man sich derweil nur: «Was soll der ganze Zinnober eigentlich?»
Das sieht die zwölfköpfige Zuschauer-Delegation des FC Basels vielleicht als einzige ganz anders. Präsident Heusler, Vize Knup und Sportchef Heitz sitzen zusammen mit Marco Streller, Behrang Safari und den restlichen nichtnominierten Spielern hinter der Ersatzbank. Wer sich ihnen nähern will, bekommt gleich selbst die Härte der UEFA-Delegierten zu spüren. Alle Bereiche der Tribüne ausser den Presseplätzen sind an diesem Abend für Nichtklubmitglieder tabu.
Beim FCB-Tross wird simultan auf Hochtouren Kaugummi gekaut. Marco Streller trägt für einmal Lederkluft statt eines Trikots spazieren – trotzdem leidet der verletzte Captain bei jeder nichtgenutzten Torchance, als hätte er sie gerade selbst vergeigt. «Heeeey, Schiri», brüllt er nach einem ungeahndeten Foul von der Tribüne, so dass es wohl sogar Goalie Sommer hört.
Wer denkt, er könne bei dieser Gelegenheit endlich einmal Murat Yakin in die Karten blicken und seine Anweisungen analysieren, hat die Rechnung ohne die spanischen Radio- und TV-Kommentatoren gemacht. In gewohnt überschwänglicher Manier malträtieren sie ihre Mikrofone mit einem lautstarken Silben-Stakkato und übertönen den Taktikfuchs fast immer. Wenigstens ein akustischer Farbtupfer in dieser Tristesse.
Für den zweiten sorgt jener Trupp von unverdrossenen Fans, welcher sich den Spass von der UEFA nicht verderben lassen will. Rund 500 Anhänger haben sich ausserhalb des Stadions hinter der Muttenzerkurve versammelt. Neben Grillutensilien und hektoliterweiser Flüssignahrung haben sie kurzerhand eine grosse Leinwand mitgebracht und diese am St. Jakob-Turm montiert. Ihre Jubelstürme dringen, wegen der TV-Verzögerung immer fünf Sekunden zu spät, des öfteren gedämpft bis ins Stadion.
Ein Augenschein kurz vor Spielschluss zeigt, dass die Stimmung draussen vor dem Stadion wirklich hervorragend ist. Es wird gesungen, geflucht, gefreut und getrunken – eben so, wie es sich für ein Fussballspiel gehört. Man kann sich trotzdem nicht bedingungslos über diesen Enthusiasmus freuen – schliesslich sind die Schuldigen von Salzburg, welche das ganze Malheur erst verursacht haben, wohl auch mit von der Partie.
Nach dem 3:0-Erfolg bedanken sich die Spieler durch ein Fenster des Stadions bei den ausgesperrten Fans. Auch ihnen ist der blutleere Abend offenbar eingefahren. Valentin Stocker, dem in seinem 250. Spiel für den FCB ein herrliches Tor gelingt, hat sich sein Jubiläum anders vorgestellt: «Es war wirklich extrem eigenartig und nicht einfach. Man kann sich das gar nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Wir haben uns bei den Fans bedankt, weil nicht alle dafür verantwortlich sind und wir nicht alle strafen wollen.»
Noch während dieses Statements werden vor dem Stadion schon wieder Bengalos gezündet. Aber darüber mag sich nach diesem surrealen Abend gar keiner mehr Gedanken machen.