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Fussball-Nati

Vier Fragen, die sich Nati-Trainer Petkovic stellen muss

Vladimir Petkovic hat bis zur EM noch sehr viel Arbeit vor sich.  
Vladimir Petkovic hat bis zur EM noch sehr viel Arbeit vor sich.  
Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

Bewegung in die falsche Richtung: Vier Fragen, die sich Nati-Trainer Petkovic stellen muss

0:1 gegen Irland, 0:2 gegen Bosnien: Die Nati ist mit zwei Niederlagen ins EM-Jahr gestartet und Nati-Trainer Vladimir Petkovic läuft langsam aber sicher die Zeit davon. Vier Baustellen, an denen er dringend arbeiten muss.
30.03.2016, 20:0601.04.2016, 14:56
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Vladimir Petkovic muss zurückbuchstabieren. Zweieinhalb Monate vor dem EM-Start steckt die ambitionierte Schweizer Auswahl in Schwierigkeiten. Alles nur auf Formschwächen einzelner Nationalspieler zu reduzieren, ist ein zu simpler Ansatz. Die Entwicklung in die falsche Richtung hält bereits länger an. Die Zitate und Ziele von Petkovic kontrastieren immer mehr zur Realität auf dem Rasen. Der «Visionär» (NZZ) gerät unter (Zeit-)Druck.

Positive Energie?

Luzern, September 2014, wenige Tage vor dem Auftakt zur EM-Ausscheidung. Vladimir Petkovic äussert sich erstmals als neuer Nationalcoach im Detail und bemerkenswert dezidiert über seine Mannschaft.

«Ich bevorzuge ein Team, das sich hoch positioniert. Vier bis fünf Spieler sollten am Angriff beteiligt sein. Sie müssen Dreiecke bilden, defensiv wie offensiv. Es geht auch darum, das Spiel, die Absicht des Gegners lesen zu können. Die taktische Grundaufstellung ist nicht massgeblich, wichtiger sind die Prinzipien, der Wille, den Fussball auch als Spiel zu begreifen. Die positive Energie muss spürbar sein.»
Vladimir Petkovic

Im zweiten Frühling seit der Amtsübernahme Petkovics ist von der zunächst forschen und couragierten Idee nicht mehr viel erkennbar. Statt kooperierende Dreiecke sind immer öfter isolierte Figuren auszumachen. Der generell hohe Ballbesitzanteil – während der Qualifikation erspielten sich die Schweiz im Schnitt einen Prozentsatz von gegen 64 – trügt, die Anzahl guter Chancen ist markant rückläufig.

Die Schweiz hatte in den letzten Testspielen meist sehr viel Ballbesitz, machte aber nichts draus.
Die Schweiz hatte in den letzten Testspielen meist sehr viel Ballbesitz, machte aber nichts draus.
Bild: freshfocus

Bereits im letzten Spiel der EM-Ausscheidungskampagne in Tallinn (1:0) tat sich die SFV-Auswahl gegen Estland, die Nummer 90 des FIFA-Rankings, enorm schwer. In Wien schönte die Tor-Doublette von Haris Seferovic den matten Eindruck, ein paar Tage zuvor waren die Schweizer in der Slowakei (0:3 nach 55 Minuten) phasenweise vorgeführt worden. In den letzten 180 Testminuten akzentuierte sich das Problem der stagnierenden Offensivabteilung. Spürbar war vor allem eine negative Energie, und hoch war primär die eigene Fehlerquote.

Fortschritte?

19. November 2015, bei einem Gespräch in kleiner Tischrunde in Zürich zieht Vladimir Petkovic nach 17 Monaten und 15 Spielen unter seiner Leitung eine Zwischenbilanz.

«Wir haben Fortschritte gemacht im Vergleich zum Start der EM-Qualifikation gegen England und Slowenien. Taktisch sind wir weiter, wir beherrschen inzwischen verschiedene Systeme. Die Zielstrebigkeit gefällt mir besser, die Effizienz ist ausgeprägter. Der 2:1-Sieg gegen Österreich hat die Ventile geöffnet. Wir haben den Moment genutzt, für die Zukunft etwas zu bewegen.»
Vladimir Petkovic

Bewegt haben sich die Schweizer in der Tat, aber zu ihrem Nachteil in die falsche Richtung. Am 1. Juli vor zwei Jahren verwickelten sie den späteren WM-Finalisten Argentinien in der ersten K.o.-Runde in einen packenden Abnützungskampf (0:1 n.V.).

Petkovic gibt zwar die Richtung vor, seine Spieler können seinen Matchplan derzeit aber nicht umsetzen.
Petkovic gibt zwar die Richtung vor, seine Spieler können seinen Matchplan derzeit aber nicht umsetzen.
Bild: freshfocus

Von jener nahezu perfekten Organisation und ansteckenden Passion ist kaum mehr etwas übrig. Taktisch sind sie keinen Schritt weiter, im Gegenteil: In Zürich reanimierte Petkovic in der allgemeinen (Personal-)Not das vormals bewährte 4-2-3-1-System – angeblich, um das Team im resultatorientierten Bedarfsfall schneller umgruppieren zu können.

Jede Vorgabe ist aber nur so gut wie die Protagonisten, die sie umzusetzen haben. Während das englische Nationalteam nach dem WM-Vorrunden-Out konsequent und erfolgreich den Umbruch vorantrieb, büssten die Schweizer Hoffnungsträger an Terrain ein. Seferovic (24) beispielsweise tritt mit Frankfurt an Ort und vorletzter Bundesliga-Stelle, Harry Kane hingegen, im März 2015 erst Debütant Englands, stürmte mit Tottenham als 21-facher Premier-League-Skorer auf Platz 2.

Machen dich die Testspiel-Resultate der Schweizer Nati nervös?

Ohne Inler?

Die Nervosität und Anspannung sind hör- und spürbar. Der Schweizer Selektionär hat einen Grundsatzentscheid gefällt. Gökhan Inlers Name fehlt im Aufgebot vom 18. März. Petkovic definiert den Team-Lead neu.

«In der Vergangenheit habe ich ihn oft unterstützt. Ich gab ihm immer das volle Vertrauen. Es gibt einen Bonus, aber der ist beschränkt. Ich konnte mich nicht gegen meine Überzeugung entscheiden und muss eine klare Linie verfolgen. Ich muss auch berücksichtigen, was im Team passiert. Der Captain ist eine wichtige Figur, aber allein kann er gar nichts bewegen.»
Vladimir Petkovic

Während knapp neun Jahren gehörte er zum Stamm und stieg unter dem Welt-Trainer Ottmar Hitzfeld zum unangefochtenen Leader auf: Gökhan Inler. Der harte Mittelfeldarbeiter war zwar nie ein Rhetoriker, aber intern schenkten die Mitspieler dem Wort Inlers das nötige Gewicht.

Bonus aufgebraucht: Gökhan Inler gehörte zuletzt nicht mehr zum 23-Mann-Kader von Petkovic.
Bonus aufgebraucht: Gökhan Inler gehörte zuletzt nicht mehr zum 23-Mann-Kader von Petkovic.
Bild: KEYSTONE

Petkovic entzog seinem «Mediator» (Petkovic) zweieinhalb Monate vor der Endrunde das Vertrauen, weil der 31-Jährige bei der gegenwärtig besten englischen Klub-Mannschaft den Stammplatz verloren hat. Der betroffene Leicester-Professional reagierte konsterniert, einige seiner SFV-Copains brachten für den Entscheid des Nationaltrainers «off the record» kein Verständnis auf.

Der Tenor bei der Pro-Inler-Fraktion ist klar: Auf den Fundus von 89 Länderspielen sollte die Schweiz an der EM nicht aus freien Stücken verzichten, ein charakterlich einwandfreier Back-up mit über 41'000 Profi-Minuten in den Beinen gehört nach wie vor zu den Top 23 der Schweiz. Wenn der Trainer die Balance wirklich im Auge hat, kommt er spätestens im Mai auf seinen Entschluss zurück.

Beunruhigende Lethargie?

76 Stunden nach dem enttäuschenden 0:1 gegen Irlands B-Auswahl unterliegen die verunsicherten Schweizer im drittletzten EM-Test Bosnien-Herzegowina diskussionslos 0:2. Petkovic wirkt ratlos. Seine Statements sind ehrlich, beschönigen nichts. Der Trainer sorgt sich und klammert sich an wenig.

«Wir haben einiges versucht, aber die Form des Einzelnen, die Form der Mannschaft fehlt. Hinten, in der Mitte und vorne – wir müssen uns überall steigern. Es kann und muss besser werden. Ich habe nur wenige Spieler gesehen, die auf hohem Niveau sind, zu viele spielen gegen den Abstieg. Das beunruhigt mich im Moment schon. Positiv war einzig, dass wir in der Vorwärtsbewegung mehr Zug und Leben zeigten.»
Vladimir Petkovic

Die Bemühungen, ein freundlicheres Ergebnis zu erzielen und ein besseres Bild abzugeben, waren den Schweizern zumindest im Letzigrund nicht abzusprechen. Die Formbaisse betrifft aber inzwischen eher das gesamte Nationalteam – und gegen den Abstieg spielen von der möglichen EM-Startformation exakt drei: Fabian Schär, Timm Klose und Haris Seferovic.

Spätestens jetzt sollten auch die Spieler den Ernst der Lage erkannt haben.
Spätestens jetzt sollten auch die Spieler den Ernst der Lage erkannt haben.
Bild: freshfocus

Und ja: Die Momentaufnahme ist tatsächlich beunruhigend, weil selbst Direktbeteiligte eingesehen haben, dass die Lethargie sich tief ins Teamgefüge gefressen hat und die organisatorischen Mängel ein ungesundes Ausmass erreicht haben.

Petkovic liegt nicht falsch, wenn er feststellt, dass sein Game-Plan «von hinten bis vorne» nicht passt. Wenn einer wie Renato Steffen im vierten Länderspiel seiner Laufbahn das statische Spiel einer Verbandsauswahl beleben muss, die innerhalb einer Dekade fünf Endrunden erreicht hat und vom Vorstoss in den EM-Viertelfinal träumt, dann sind Kurskorrekturen angebracht. (pre/sda)

Die Rekordspieler der Schweizer Nati

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1905 trug die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft ihr erstes Spiel aus. Diese Akteure liefen 75 Mal oder öfter für die Schweiz auf.
quelle: keystone / laurent gillieron
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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Cupsieger Maxi
30.03.2016 21:50registriert Dezember 2014
ich schaue mir die leistung der nati so an und denke, die stammplatz forderung von lustenberger war berechtigt!
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Jol Bear
30.03.2016 21:17registriert Februar 2014
Typische Szene gestern: Spieler A führt den Ball links von der Mitte in der gegnerischen Hälfte, Spieler B läuft links an der Seitenlinie entlang, bereit, nach vorne in den Raum zu sprinten. Spieler A sieht das, zögert dann aber, verpasst so den Moment, um den Pass flach in die Tiefe zu spielen. Dreht stattdessen Richtung Mitte, spielt ab, Ball wieder zurück, nach hinten. Kein Risiko, zu langes Ballhalten, nicht nach vorne orientiert. Es stimmt mit der Einstellung nicht, Verunsicherung, keine Spielfreude. Dabei ging es nicht mal um Punkte, nur ein Testspiel... zum was ausprobieren gedacht.
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Miles Tone
31.03.2016 00:12registriert November 2014
Guter Artikel: Petkovic ist nicht der richtige Trainer. Seine taktischen bzw. fussballerischen Fähigkeiten will ich nicht einmal anzweifeln. Vielmehr geht es um das Versäumnis, der Mannschaft einen Teamspirit zu verleihen. Gemeinsam etwas erreichen zu wollen und stolz zu sein. Ein Trainer muss Werte und Ziele vermitteln; etwas, wozu Petkovic zumindest in diesem Fall nicht in der Lage scheint. Die offensichtliche Gespaltenheit der Mannschaft und das Entfernen eines wichtigen Bindeglieds sprechen für sich.
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