Nach 87 Minuten ist Schluss für Eren Derdiyok. Vladimir Petkovic nützt die Gelegenheit für einen «Applauswechsel». Eben hat Stephan Lichtsteiner das 2:0 erzielt, und so kann der Coach den Stürmer beruhigt vom Feld holen. Der 28-Jährige hat gut gespielt, zwar noch die eine oder andere Möglichkeit liegen lassen, ist aber mit seinem Tor zum 1:0 nach 26 Minuten der eigentliche Wegbereiter des 2:0-Sieges über die Färöer Inseln gewesen.
«Ich bin froh, habe ich recht bekommen, ihn aufzustellen», sagt Petkovic hinterher. «Eren hat eine gute Technik, und das hat sich heute bestätigt». Wie Derdiyok den langen Ball von Valon Behrami technisch perfekt mit dem rechten Fuss angenommen und dann mit dem linken flach ins Netz spediert hat, ist eine Augenweide gewesen.
«Das 1:0 war erlösend. Auf einen solchen Moment habe ich hingearbeitet und in dieser Woche gut trainiert», sagt Derdiyok. «Ich bin glücklich, konnte ich das Vertrauen des Trainers zurückzahlen.»
Es ist ein guter Entscheid Petkovics gewesen, den 1.91-Meter-Mann gegen die baumlangen gegnerischen Innenverteidiger aufzustellen, denn Derdiyok ist immerhin sechs Zentimeter grösser als Sturmkonkurrent Haris Seferovic. Die Rechnung geht auf: Derdiyok behauptet sich in den meisten Luftduellen, erzielt sein Tor zwar mit dem Fuss, beschäftigt die Nordländer bei hohen Bällen jedoch permanent.
«Es hat Spass gemacht», sagt Derdiyok danach. Gleich nach seinem Treffer hatte er Seferovic umarmt. «Es ist ein Zeichen dafür, wie gut die Stimmung in unserem Team ist. Jeder gönnt dem anderen ein Erfolgserlebnis. Jeder respektiert, wenn der andere aufgestellt wird.» Solche Töne hat man vom Basler im Zusammenhang mit der Nati lange nicht gehört.
Es hat harte Zeiten für den Stürmer gegeben und auch viel Frust. Der letzte Nackenschlag liegt noch gar nicht weit zurück. Bei der EM im vergangenen Sommer ist er in allen drei Gruppenspielen nicht eingesetzt worden, hat dann zwar im Achtelfinal gegen Polen als Joker Xherdan Shaqiris «Tor des EM-Turniers» vorbereitet, später aber die hochkarätige Chance zum Siegtreffer vergeben.
Wochen später verleiht er in einem Interview seiner grossen Enttäuschung Ausdruck. Die Mannschaft habe so viele Torchancen kreiert, dass er sich sicher sei, vier oder fünf davon zu einem Tor genützt zu haben, hat er gesagt. Und auf den vergebenen Matchball angesprochen, geantwortet: «Vielleicht fehlt dir dann genau das Selbstvertrauen, wenn vorher nicht auf dich gesetzt wurde.»
Achteinhalb Jahre dauert die Beziehung zwischen Derdiyok und der Nati schon. Der Start war äusserst vielversprechend gewesen. Als 19-Jähriger hatte er debütiert, im Wembley gegen England und 13 Minuten nach seiner Einwechslung auch bereits das erste Tor geschossen. Doch erst vier Jahre später ist dem in Basel geborenen schweizerisch-türkischen Doppelbürger Basler wieder ein grosser Auftritt gelungen, als er beim 5:3-Sieg im Testspiel gegen Deutschland drei Tore schoss.
Aber immer hat der Eindruck vorgeherrscht, Derdiyok schöpfe sein Potenzial nicht aus. Er hat 2011 mit einem sagenhaften Fallrückzieher für Leverkusen gegen Wolfsburg das Tor des Jahres geschossen, in seinem jeweiligen Klub und auch in der Nati aber immer wieder enttäuscht.
Im September ist dann der Luzerner Trainer Markus Babbel in einer Radiosendung über Derdiyok so richtig vom Leder gezogen: «Eine faule Sau. Er könnte bei Barcelona oder Real spielen, jetzt spielt er in der Türkei. Er bringt sehr viel mit, nicht aber die Mentalität. Bei Hoffenheim war er einfach ein fauler Hund.» Dicker Tobak.
Vorbei und vergessen. «Viele Tore habe ich für die Nati ja noch nicht geschossen», sagt Derdiyok. «Das gegen die Färöer ist wohl mein Wichtigstes.» So endet ein schwieriges Jahr für Derdiyok, der vor einem Jahr in der Slowakei das letzte seiner nun elf Tore geschossen hat, versöhnlich. «Jetzt kann ich im Klub bei Galatasaray Vollgas geben und gegen Fenerbahce ein gutes Derby machen», sagt Derdiyok und verschwindet in Richtung Mannschaftsbus.