In Barcelona wird dieser Tage viel an einen erinnert, den man im Verein am liebsten längst vergessen hätte. Louis van Gaal machte den FC Barcelona vor gut 15 Jahren zu einer niederländischen Filiale, er legte sich mit Presse, Fans und Spielern an, und noch heute gilt die Ära van Gaal trotz zweier Meistertitel zu den freudlosen Episoden in der glorreichen Geschichte des katalanischen Edelvereins.
Van Gaal musste im Jahr 2000 gehen, nachdem Barça vier Mal nacheinander in der Liga verloren hatte. Eine Serie, die für den erfolgsverwöhnten Verein so ungewöhnlich ist, dass es 16 Jahre gedauert hat, bis das Team in eine ähnlich missliche Situation geraten ist.
Das 1:2 daheim gegen den FC Valencia war die dritte Pleite am Stück in der Liga, der zuvor souveräne Vorsprung an der Tabellenspitze ist komplett weggeschmolzen. Dazu kommt das ruhmlose Ausscheiden im Viertelfinale der Champions League gegen Atlético Madrid. Und nicht nur beim Verein selbst rätseln sie jetzt: Was ist nur los mit dem unbesiegbar scheinenden FC Barcelona?
Ein halbes Jahr lang hatte die Elf von Trainer Luis Enrique kein einziges Spiel verloren, die Meisterschaft war schon so gut wie eingetütet. Dann kam Ende März der Clásico gegen Real Madrid, die grosse Chance, den ewigen Rivalen final in die Schranken zu weisen. Barcelona führte fast standesgemäss Mitte der zweiten Halbzeit 1:0, war dann sogar in der Schlussphase in Überzahl und verlor dennoch 1:2 . Ein Spiel, das schockähnliche Wirkung gehabt hat. Barcelona hat sich davon bislang nicht erholt.
Mittlerweile ist Atlético punktgleich herangerückt, einen Zähler dahinter lauert Real. Wenn es fünf Spieltage vor Saisonende irgendetwas nicht gibt, dann sind es die berühmten spanischen Verhältnisse, die einmal zum Synonym für Langeweile in der Liga standen. In keiner Topliga Europas geht es an der Spitze dermaßen knapp und spannend zu.
Bei der Ursachenforschung für den jäh eingefallenen sportlichen Einbruch sind sie im Klub noch nicht besonders weit gekommen. Luis Enrique, der bislang mit krisenhaften Zuständen nicht in Berührung gekommen ist, wirkt aktuell ohnmächtig, als Impulsgeber ist er derzeit ein Ausfall. Sätze wie: "Wenn ein Team sich wieder aufrichten kann, dann ist es Barcelona", fallen eher in die Kategorie Durchhalteparole.
Personell hat der Trainer ohnehin wenig Spielraum. In der Offensive hat er den besten Sturm der Welt zur Verfügung. Luis Suárez, Lionel Messi und Neymar haben über fast zwei Jahre blendend harmoniert. Derzeit wirken alle drei überspielt, aber deswegen auf einen von ihnen zu verzichten, nur um ihnen mal eine Auszeit zu gönnen, das hat Enrique bisher kaum gewagt. Zumal es auch das Selbstverständnis des Trios ist, immer spielen zu wollen und zu dürfen.
Die "FAZ" hat nach dem Champions-League-Aus gar übersinnliche Dinge zur Erklärung herbeigerufen. Womöglich sei der Fussballgott beleidigt, weil es Barça vor Wochen mit dem Aufsehen erregenden Elfmetertrick von Messi und Suárez an Hochmut übertrieben hätten. Auch dass Barça seit dem Tod des grossen Ideengebers Johan Cruyff kein Ligaspiel mehr gewann, ist schon geraunt worden.
Aber die Gründe für die Krise sind wohl weniger metaphysischer als rein physischer Natur. Das Team wirkt nach zwei Jahren auf höchstem Niveau erschöpft, Enrique hat kaum rotiert, auch die Topspieler scheinen an einer Substanzgrenze angekommen zu sein.
Bei der Madrider Konkurrenz hat man ressourcenschonender gearbeitet, immer wieder Stars pausieren lassen. Sowohl Atlético, ohnehin körperlich eines der stärksten Teams in Europa , als auch Real wirken fitter, ausgeruhter, man kann auch das abgegriffene Adjektiv hungriger nutzen. Barça hat mit voller Kapelle alles bis zum Ende durchgespielt, von der Copa del Rey bis zum Weltpokal.
Dazu kommen die zumindest nicht leistungsförderlichen Nebengeräusche von den Steuerermittlungen gegen Messi und Neymar. Zumindest den Brasilianer scheinen die im Raum stehenden Vorwürfe gegen seinen Vater und ihn nicht völlig unberührt zu lassen, so sehr das vom Verein auch immer bestritten wird. In jedem Fall ist Neymar derzeit nur ein Schatten von dem, was er noch vor wenigen Monaten zu spielen imstande war. Man könnte sagen: Wo andere Vereine auf Belastungssteuerung achten, wirkt bei Barça die Steuer belastend.
Das Team spielt in der Liga noch gegen La Coruña, Gijon, Betis Sevilla, den Lokalrivalen Espanyol und Granada, das sind der 13., 18., 14., 15. und 17. der Tabelle. Das ist normalerweise für ein Team der Preisklasse Barcelonas mehr oder weniger Fallobst. In der Vorwoche trat das Starensemble beim Tabellenneunten Real Sociedad San Sebastián an und verlor 0:1. Im Moment scheint alles möglich.
Selbst ein Punktverlust gegen Sporting Gijon.
Connor McJesus