Fabrizio Corona erlebt gewissermassen einen zweiten Frühling. Mit den Enthüllungen rund um den Wettskandal, in den diverse italienische Fussballer verwickelt sind, katapultiert sich der Sizilianer nur drei Wochen nach Ablauf seiner Haftstrafe ins Zentrum der italienischen Aufmerksamkeit und bewegt sich wieder da, wo er sich am wohlsten zu fühlen scheint: in der Welt der Skandale.
Die Gefängnisstrafe, die Corona jüngst wegen Erpressung und Steuerhinterziehung verbüsst hatte, war nicht seine erste. Zum ersten Mal verhaftet wurde der bald 50-Jährige im Jahr 2007 im Zusammenhang mit einem Fall, der in Italien unter «Vallettopoli» bekannt ist. Der Sizilianer war damals Mitinhaber der Fotoagentur Corona's, die sich darauf spezialisiert hatte, berühmte Personen in kompromittierende Situationen zu bringen, diese fotografisch festzuhalten und die Betroffenen dann mit den Aufnahmen zu erpressen.
Unter den Stars, die Corona bis zu 50'000 Euro bezahlt haben sollen, um eine Veröffentlichung der problematischen Fotos zu verhindern, finden sich auch grosse Namen wie Francesco Totti, Silvio Berlusconi oder Michelle Hunziker.
Mittlerweile hat Corona eine andere Strategie eingeschlagen, um schmutzige Wäsche zu waschen und damit gleichzeitig Geld zu verdienen: Er nutzt seine eigene Onlineplattform «Dillingernews», um Dinge ans Licht zu bringen, die in Italien im Verborgenen passieren. Sein jüngster Coup: die Enthüllung von Namen, die mit dem Wettskandal im italienischen Fussball in Verbindung stehen. Die Rolle, in der sich Corona dabei sieht, beschrieb er vor einigen Jahren wie folgt: «Ich bin wie Robin Hood, ich stehle von den Reichen und gebe es mir selbst».
«In Italien reden die Leute nur über zwei Dinge», sagte Corona vor Kurzem zu der italienischen Zeitung «Corriere della Sera», «über Hamas und über das hier – und das hier ist ‹Dillinger›, wir sind eine Bande von Gesetzlosen der Information, die ihr Leben riskiert». Wie anmassend diese Aussage auch klingen mag, Corona ist in der Aufdeckung des medial ausgeschlachteten Wettskandals tatsächlich die Person, die den Takt angibt.
Das Interesse, das der 50-Jährige momentan in Italien hervorruft, verschaffte ihm sogar einen Auftritt in der Talkshow «Avanti Popolo» der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehstation «Rai» im Anschluss an die EM-Qualifikations-Partie zwischen England und Italien. Zuvor hatte er versprochen, nach dem Spiel im Zusammenhang mit dem Wettskandal weitere Namen preiszugeben. Aber just in dem Moment, in dem eine Tonaufnahme die versprochenen Namen hätte ausspucken sollen, versagte die Technik. Auf Instagram verkündete der in Erklärungsnot geratene ehemalige «König der Paparazzi» nach der Sendung, dass die Aufnahme von RAI zensiert worden sei.
Corona war schon vor dem Wettskandal ein gern gesehener Gast im Fernsehen und im Radio: Mit ernster Miene gibt er im Gespräch mit den Talkmasterinnen und Talkmastern wahlweise intime Details über sein eigenes Leben oder über das Leben anderer preis. Die Themen, über die der bald 50-Jährige am liebsten spricht, sind auch gleichzeitig die Themen, auf die sich die Öffentlichkeit noch so gerne stürzt: Drogen, Sex, Fussball und Skandale.
So erzählte er in der Talkshow «Belve» – ebenfalls auf «Rai» zu sehen – von seiner (überwundenen) Kokainsucht und seinem Medikamentenkonsum. 2021, als Corona von der Polizei aus dem Hausarrest zurück ins Gefängnis begleitet wurde, erlitt er einen Zusammenbruch, verletzte sich selbst und beleidigte die anwesenden Polizisten. Auch diese Episode machte er über seinen Instagram-Account gleich selbst publik – noch bevor es andere für ihn tun. Seine eigenen Fehltritte stellt er so öffentlich zur Schau, dass es fast so scheint, als wolle er verhindern, mit seinen eigenen Waffen geschlagen zu werden.
Dass ein Mann mit einem Renommee wie Fabrizio Corona von einem öffentlichen Sender überhaupt eine Plattform erhält, stösst vielerorts auf Unverständnis. Dem Sender wird vorgeworfen, einen Kriminellen zu hofieren und ihm für die Verkündung der «exklusiven News» viel Geld zu bezahlen. So fragte sich die Zeitung «La Reppublica»: «Ist es normal, dass ein verurteilter Krimineller [...] mit Zehntausenden von Euro an öffentlichen Geldern bezahlt wird, um einige der populärsten Sendungen im staatlichen Fernsehen mit Provokationen, Schimpfwörtern und oft zweifelhaften Gedankengängen zu füllen?»
Hatte sich Fabrizio Corona in den letzten Jahren irgendwo zwischen Gefängnis, Reality Show und wirren Social-Media-Posts bewegt, so ist es ihm nun gelungen, sich zu einer der wichtigsten Informationsquellen in einem Skandal mit nationaler Tragweite zu mausern und sich damit in die Wohnzimmer Italiens zu katapultieren.
Mit den Informationen über den gestern verurteilten Nationalspieler Nicolò Fagioli sowie über die laufenden Ermittlungen gegen die Stars Nicolò Zaniono und Sandro Tonali hatte er Recht behalten. Ob Fabrizio Corona tatsächlich noch mehr Pfeile im Köcher hat, um die Debatte in Italien weiter anzuheizen, wird sich zeigen.
"Nächste Corona-Welle erfasst italienischen Fussball."
Und ihr lässt es ungenutzt verstreichen...