Südtirol. Da sind die Dolomiten und Weinberge. Da kommen Wellnessurlauber und Feinschmecker auf ihre Kosten. Das sind wohl die naheliegendsten Gedanken, die uns bei der nördlichsten Provinz Italiens zunächst durch den Kopf schiessen. Doch in diesen Tagen ist der Fussball Trumpf. Der FC Südtirol wirbelt den Calcio kräftig durcheinander und träumt nun gar von der Serie A.
Man sei dabei, ein Märchen zu schreiben, liess Trainer Pierpaolo Bisoli beim Saisonendspurt verlauten. Dabei war der Aufstieg in die Serie B bereits als ein solches bezeichnet worden. Im Sommer des vergangenen Jahres war man in der erst 28-jährigen Klubgeschichte in der zweithöchsten italienischen Spielklasse angelangt.
NORDWAL colour Full Time!
— FC Südtirol (@fclubsuedtirol) May 29, 2023
Decide il gol in zona Cesarini di #Rover.#FCSBAR #FCSüdtirolBari #SerieB #SerieBKT #PlayoffSerieB #whitereds pic.twitter.com/ij53Kz0tDX
So viel Erfolg in so kurzer Zeit? Wer nun einen potenten Geldgeber im Hintergrund vermutet, irrt. Der Grossteil der Einnahmen wird über lokale Sponsoren generiert. Auf der Website des Fussballklubs werden 204 Partner aufgeführt, bei denen man sich artig mit einem ortsüblichen «Vergelt's Gott» bedankt. Vom Duschkabinenhersteller (Hauptsponsor) über den Bäcker bis zum Garagisten ist alles zu finden. Die Verantwortlichen handeln damit eher nach dem Vorbild Bundesliga.
Die «Gazzetta dello Sport», die auflagenstärkste Sportzeitung Italiens, widmete dem «Modello Südtirol» (sogar mit ü geschrieben) eine komplette Seite. Das Fazit: Man habe strukturell aufgerüstet, anstatt Millionen in Spielertransfers zu investieren. Auf junge und aufstrebende Talente gesetzt, anstatt sich auf Leihgeschäfte einzulassen. Das Gesamtbudget wird auf zwischen 10 und 12 Millionen Euro geschätzt. Damit rangiert der FC Südtirol im unteren Mittelfeld der Serie-B-Klubs.
Auch neben dem Platz will der Verein seine Spuren hinterlassen. Er sieht sich als «Botschafter» und «Integrationsmodell» für die drei Sprachgruppen, die in der autonomen Provinz leben, die seit 1919 zu Italien gehört. Für 62 Prozent der Bevölkerung ist Deutsch die Muttersprache. Die italienisch Sprechenden sind mit 23 Prozent in der Minderheit. Zudem wird noch Ladinisch parliert.
Der FC Südtirol befindet sich in einem ethnischen Spannungsfeld. Das liess man die Klubverantwortlichen spüren, als das Alto Adige, italienisch für Südtirol, im Vereinswappen durch «Bolzano – Bozen» ersetzt wurde, um den Klub besser zu vermarkten. Eine Ultragruppierung verfasste zu Saisonbeginn eine Stellungnahme, stellte klar, dass sie sich mit dem Namen Südtirol nicht identifizieren könne. Als Protest wird in den Heimspielen ein Transparent mit der Aufschrift «Avanti Alto» installiert.
Von politischen Debatten hält sich der FC Südtirol fern, unterstreicht stets das verbindende Element. So kommen im heimischen Drusus-Stadion in der Landeshauptstadt Bozen zwei Stadionsprecher zum Einsatz – einer übernimmt die Ansagen auf Deutsch, der andere auf Italienisch.
Die Akteure auf dem Platz drücken sich hingegen auf Italienisch aus. Mit Captain Fabian Tait und Verteidiger Simone Davi sind lediglich zwei gebürtige Südtiroler im Kader zu finden. Die Stärken der Mannschaft, die gänzlich ohne Starspieler auskommt, liegen in der Defensive. Nur die direkten Aufsteiger aus Frosinone und Genua haben noch weniger Gegentreffer kassiert.
Auf dem sechsten Rang haben die Südtiroler ihre Debüt-Saison in der zweithöchsten Spielklasse abgeschlossen und dürfen weiterhin vom Durchmarsch in die Serie A träumen. Denn der dritte Kandidat wird mittels Aufstiegs-Playoffs (Ränge 3 bis 8) ermittelt. Eine Runde hat man bereits überstanden.
Coordinazione, potenza e precisione: a lezione da Marco Curto 👏🏻 pic.twitter.com/CWw3xrbgTL
— Lega B (@Lega_B) May 11, 2023
Im Halbfinal-Hinspiel im frisch renovierten Drusus war das Stadion mit 5500 Anhängern am Pfingstmontag ausverkauft. Die Tifosi feierten in der kleinsten Spielstätte der Liga dank eines Treffers in der 92. Minute einen 1:0-Erfolg gegen Bari (mit Ex-FCB-Stürmer Sebastiano Esposito). Am Freitag folgt im mit über 58'000 Zuschauer fassenden San Nicola, dem drittgrössten Stadion des Landes, das Rückspiel. «Wir werden nicht vor Ehrfurcht erstarren», stellt FCS-Trainer Bisoli klar. Ein Remis reicht, um sich für den Final-Showdown zu qualifizieren. Dort könnte dann Parma mit dem legendären Keeper Gianluigi Buffon und dem Schweizer Youngster Simon Sohm oder Cagliari warten.
Im Südtirol sind sie drauf und dran, dem Märchen ein weiteres Kapitel beizufügen. Neben den Wellnessurlaubern und Feinschmeckern sollen auch künftig die Fussballfans auf ihre Kosten kommen. (aargauerzeitung.ch)