«Ich bin niemand, ich habe nichts geschafft»: So tickt Nati-Juwel Johan Manzambi
Johan Manzambi entschuldigt sich als Erstes. Es sei ihm nicht recht und tue ihm sehr leid, dass er zu spät ist. Mit sieben Minuten Verspätung ruft er für das ausgemachte Telefon-Interview an. Er habe auf dem Trainingsgelände noch etwas erledigen müssen.
Sieben Minuten sind nur eine Winzigkeit, und doch ist es so sinnbildlich für diesen jungen Mann. Denn er legt Wert auf Details. Auf Anstand. Darauf, dass ihm bewusst ist:
Dabei ist Johan Manzambi der Shooting-Star der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft – und auch der deutschen Bundesliga. Seit dem Frühling dieses Jahres gibt es für den 20-Jährigen nur eine Richtung: ganz steil nach oben.
Erst im März absolvierte der in Genf geborene Manzambi noch Spiele für die zweite Mannschaft des SC Freiburg in der viertklassigen Regionalliga Südwest, konnte bis dahin vier Mini-Einsätze in der ersten Mannschaft der Breisgauer aufweisen – der längste über 13 Minuten.
Doch dann geht es plötzlich schnell. Nachdem er am 12. April gegen Gladbach das entscheidende 2:1 erzielt, ist Manzambi plötzlich nicht mehr aus dem Kader Freiburgs wegzudenken. Mit Ausnahme zweier Partien, die er aufgrund einer Rot-Sperre verpasst, kommt der junge Schweizer immer zum Einsatz. Anfang Dezember erzielt er gar in drei Partien in Serie ein Tor.
In Deutschland wird er überhäuft mit positiven Attributen, in der Heimat steigt er zum Nationalspieler (8 Einsätze) auf. Seit der USA-Reise im Sommer ist Manzambi auch unter Nati-Coach Murat Yakin nicht mehr aus dem Kader wegzudenken, steuert in der Qualifikation zur WM 2026 zwei Tore bei.
Es sind sechs verrückte Monate im Leben Johan Manzambis. Er lacht ins Telefon und gibt zu: «Ja, es geht alles wahnsinnig schnell! Ich bin zwar keiner, der allzu viel nachdenkt über solche Dinge, aber natürlich merke ich, dass das in hohem Tempo passiert.» Die Familie, mit der er eng verbunden ist, hilft ihm dabei, das alles einzuordnen und zu verarbeiten. Aber ihm ist wichtig anzufügen:
Denn für Manzambi ist klar: Das ist nicht nur einfach ein Traum, den er gerade erlebt, es ist sein Lebensziel, für das er alles gibt. Seit er denken kann, gibt es für ihn nur Fussball. «Mein grosser Bruder spielte früh bei Servette und ich habe ihm mit meinem Vater immer zugeschaut und wusste: Ich will auch spielen», erzählt Manzambi, um zu erklären, wie das Feuer für den Fussball in ihm zu lodern begann.
Duelle mit doppelt so alten Gegnern auf dem Schulhof
Wie sein acht Jahre älterer Bruder tritt auch Johan einem Klub bei, erst dem Genfer Quartierverein FC Onex. Mit circa sechs Jahren – so genau kann er es nicht mehr sagen – tut er es dem grossen Bruder gleich und schliesst sich ebenfalls Servette an. Bei den Grenats absolviert er sämtliche Altersstufen im Nachwuchs, bis es ihn 2023 zu Freiburg zieht.
Doch was Manzambi wirklich prägt in frühen Jahren ist nicht das geordnete Training im Verein. Es ist jenes auf dem Schulhof in Genf. Johan, erst fünf Jahre alt, spielt dort auf harter Unterlage gegen Gegner, die bereits 12 oder 13 Jahre alt sind. «Das waren Kollegen meines Bruders, der mich jeweils mitgenommen hat. Ich durfte immer mitmachen, das hat grossen Spass gemacht. Und es hat mir sicher auch viel geholfen.»
Diese Strassenkicker-Mentalität konnte er sich bis heute bewahren, dieses Arbeiten auf engem Raum, das Unerwartete, das Wuselige, die feine Ballbehandlung. Oder wie er es sagt: «Ich denke, meine Stärke ist die Technik.»
Diese ist es auch, die etwas Entscheidendes in der Karriere des Johan Manzambi verhindert. Schon früh sei zu erkennen gewesen, so erzählt er, dass er mit dem Ball am Fuss Talent habe. «Aber eigentlich wollte ich Goalie werden, als ich Kind war.» Damals hat er viel Fussball geschaut, Champions League und Weltmeisterschaften, hat Manuel Neuer bewundert. Diesen Manuel Neuer, gegen den er unlängst in München sein erstes Saisontor erzielen konnte.
Erst Goalie, dann Alleskönner
Auch Yann Sommer begeistert ihn, als er jung ist. Doch statt dem Ex-Nati-Keeper nacheifern zu dürfen, sagen sein Bruder und sein Vater: «Du bist zu gut mit dem Ball, wir möchten nicht, dass du Goalie wirst», erzählt Manzambi diese Episode und lacht.
Stattdessen wird er Mister Polyvalenz. In der Jugend, etwa bis zur U14, ist er Stürmer. «Danach wurde ich oft auf der Acht eingesetzt, später auf der Sechs oder der Zehn, als ich zu Freiburg kam. Am wohlsten fühle ich mich Box-to-Box auf der Acht, aber weil ich gefühlt alle Positionen als Kind mal probiert habe, kann ich auch auf dem Flügel auflaufen.» Diese Vielseitigkeit spielt ihm in die Karten. «Ich muss mich nicht festlegen und genau das zeichnet ihn aus, dass er auf mehreren Positionen spielen kann», sagt sein Trainer bei Freiburg, Julian Schuster, über den Schweizer Shooting-Star.
Ebenso wie seine Gelassenheit. Als ihm im Alter von 17 Jahren ein Angebot des SC Freiburg vorliegt, zerbricht er sich nicht den Kopf, ob und wie er die Trennung von den Eltern, die aus dem Kongo stammen, und seinen Geschwistern verkraften würde. Sondern er sagt: «Vier Stunden Entfernung sind nicht viel. Ich bin da entspannt. Und ich fühle mich auch wohl, wenn ich alleine bin. So bin ich einfach.»
Manzambi wählt jenen Weg, der mittlerweile für junge Talente oft als schwieriger gilt: Sich im Ausland durchzusetzen, bevor man in der Schweiz überhaupt Profi-Luft schnuppern konnte. Doch der Weg, welchen die Freiburger ihm aufzeigen, ist so klar und vielversprechend, dass er nur zusagen kann: «Sie haben mir gesagt, dass ich erst sechs Monate in der U19 spielen und danach in die U23 wechseln kann, welche in der dritten Liga spielte. So konnte ich Profi-Erfahrung sammeln, die ich bis dahin noch nicht hatte. Das war sehr gut. Ja gar perfekt. Meine Familie sah das auch so.»
Mentaltraining, Glück – und jetzt noch der grosse Transfer?
Entscheide fällt Manzambi immer im Zusammenspiel mit seiner Familie und seiner Agentur Goldkick AG. Dort beschäftigt, wenn auch nicht als persönlicher Berater von Manzambi, ist Kofi Nimeley, 2009 U17-Weltmeister an der Seite von Granit Xhaka, Ricardo Rodriguez und Co.
Der eben 33 Jahre alt gewordene Nimeley sagt: «Johan ist seit Jahren im richtigen Umfeld beim SC Freiburg, der ein sehr gesunder Verein ist. Johan hatte schon immer Talent, er hat nur Zeit gebraucht, um sich körperlich richtig weiterzuentwickeln, um auf das Niveau des Profifussballs zu kommen.»
Nimeley und die Familie sind für Manzambi wichtige Ansprechpartner. Im ersten halben Jahr in Freiburg wohnt er im Internat des Klubs, danach nimmt er sich mit 17 seine erste eigene Wohnung. Probleme gibt es nicht, denn auch da weiss der Teenager genau, worauf er achten muss. Oder wie Nimeley ihn beschreibt: «Er ist sehr bodenständig, ein harter Arbeiter, kritikfähig und einer, der immer gerne zuhört, damit er sich verbessern kann.»
So weiss Manzambi exakt, wo seine Defizite liegen. Als er jung ist, treiben ihn Fehler lange um. Obschon er weiss, dass diese zum Fussball gehören, will er daran arbeiten. Seit einem Jahr tut er dies mit einer Mentaltrainerin. «Es ging dabei weniger darum, meine Nervosität, die ohnehin nicht so ausgeprägt ist, zu steuern. Sondern darum, dass ich umswitchen kann, wenn ich den Ball verliere und zurück arbeite. Dass ich weiss, dass ich einen Fehler machen darf, dass das nicht schlimm ist und ich weiter machen kann.»
Dabei sei die Trainerin eine grosse Hilfe. Er hat nun erkannt, dass Fehler dazugehören. Ob es ein Zufall ist, dass es ihm just jetzt so läuft, er bereits mit 19 regelmässige Einsätze in der Bundesliga und der Nationalmannschaft aufweisen konnte, das könne er nicht sagen.
Nimeley streicht ausserdem die Mentalität Manzambis heraus, seine Persönlichkeit und sein «gesundes Selbstvertrauen».
In Freiburg jedenfalls sind sie überzeugt und begeistert vom jungen Schweizer. Als im Juni sein Vertrag bis 2030 verlängert wurde, liess sich Vorstand Jochen Saier wie folgt zitieren: «Die Entwicklung von Johan hat sich kontinuierlich fortgesetzt – das ist in dieser Form aussergewöhnlich. Er konnte sein Profil nochmals schärfen und hatte mit seiner Spielweise einen wesentlichen Anteil am erfolgreichen Abschneiden der Mannschaft. Wir sind alle davon überzeugt, dass er hier am richtigen Ort ist.»
Die Frage ist nur: Wie lange ist Manzambi noch an diesem Ort im beschaulichen Breisgau? Seit Monaten gibt es Gerüchte über grosse europäische Klubs, die den jungen Mann mit einem Marktwert von 30 Millionen Euro umgarnen. «Wir trauen Johan sehr viel zu. Er hat vieles, was man für den Profifussball braucht», sagt Nimeley über Manzambi. Er selbst sagt, dass er von keiner spezifischen Liga träume. Im Moment nur davon, im Sommer an der WM mit dabei zu sein.
«Aber natürlich macht es mich glücklich, zu hören und zu lesen, was alles über mich geschrieben wird. Weil das zeigt, dass ich es gut mache.» So stehen lassen will er das jedoch nicht, ihm ist wichtig, noch etwas anzuhängen – und es ist so passend für diesen bescheidenen jungen Fussballer: «Ich muss weiter machen. Nie aufhören, arbeiten.» Nur dann gehe sein Weg so weiter, wie es aktuell ist: nach oben. (bzbasel.ch)
