Die intensivste Zeit der Jagdsaison steht kurz bevor. Und es scheint ganz, als liesse sich der Schweizer Fussball davon inspirieren. Zunächst schiesst Granit Xhaka gegen Murat Yakin. Jetzt geht der Zoff auch bei den Frauen los. Nationaltrainerin Inka Grings verzichtet auf Rekordnationalspielerin Ana Maria Crnogorcevic. Nur ein kleiner Denkzettel? Oder der Beginn eines Machtkampfs, der die Schweizerinnen vor der Heim-EM so richtig durchschütteln wird?
Die Geschichte beginnt in Barcelona. Die fussballerische Heimat von Crnogorcevic. Seit 2019 spielt die 32-Jährige im Dress des FC Barcelona. Neun Titel hat sie seither gewonnen. Letzte Saison die Champions League und die Meisterschaft. Sie steht mit Ausnahme von drei Spielen immer auf dem Platz. «Meine beste Saison!», sagt Crnogorcevic zu CH Media, als sie über die verrückten letzten Wochen spricht.
Denn: Crnogorcevics Zeit in Barcelona hat abrupt geendet. Zehn Tage vor Transferschluss wird sie vom Sportdirektor nach einem Training ins Büro zitiert und da wird ihr mitgeteilt: Die Zeit in Barcelona ist per sofort zu Ende. Trotz Vertrag bis Sommer 2024. «Ich habe die Welt nicht mehr verstanden», sagt Crnogorcevic. «Später fühlte ich eine grosse Leere in mir.»
Warum sie Barcelona verlassen muss, weiss Crnogorcevic bis heute nicht. «An meinen Leistungen kann es nicht liegen», sagt sie. Vierzig Spiele, zehn Tore, sieben Vorlagen, die Bilanz liest sich gut. Die Bernerin vermutet, dass sie einer Sparmassnahme zum Opfer wird. «Mir das aber so kurzfristig mitzuteilen, das ist respektlos!»
Ein paar Tage später gibt Nationaltrainerin Inka Grings das Aufgebot für die Spiele der Schweiz in der Nations League gegen Italien (Freitag, in St. Gallen) und Spanien (Dienstag, in Córdoba) bekannt. Crnogorcevic ist nicht dabei. Grings’ Begründung: Crnogorcevic erhalte eine Pause, um sich auf ihre Situation und Zukunft auf Vereinsebene konzentrieren zu können.
Nur: Crnogorcevic fasst die Nichtberücksichtigung ganz anders auf. Sie sagt im Gespräch mit CH Media, sie könne den Entscheid von Grings nicht verstehen. «Nach diesen schwierigen Tagen hätte ich mir Rückendeckung gewünscht.» Was ist da los?
Gespräch mit der Nationaltrainerin. Inka Grings stellt zunächst einmal klar, dass Crnogorcevics Nichtaufgebot nur etwas sei: eine «Momentaufnahme». Das sei klar so kommuniziert gewesen, «ich habe auch lange mit Ana telefoniert». Und weiter führt Grings aus: «Ana ist eine absolut gestandene Spielerin, Rekordnationalspielerin, davor habe ich allergrössten Respekt. Sie ist eine tolle Persönlichkeit.»
Manchmal lohnt es sich aber auch, zwischen den Zeilen zu lesen. Auf die Frage, wie es weiter geht, sagt Grings: «Bis zur EM 2025 kann wahnsinnig viel passieren. Es gilt für Ana wie für alle anderen auch: Es zählt am Ende die Leistung. Jede Spielerin muss sich im Verein präsentieren und aufdrängen. Für mich gilt, wir brauchen an der EM die stärksten Spielerinnen, die bereit sind, alles zu investieren für das Team. Und die auch bereit sind, für unser gemeinsames Ziel EM 2025 die Schweiz zu repräsentieren.»
Es braucht nicht viel Fantasie, um diese Worte einzuordnen: Grings verlangt von Crnogorcevic, die eigenen Bedürfnisse dem Team unterzuordnen. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Nationaltrainerin diesbezüglich Zweifel hat.
Am Dienstag berichtet der «Tages-Anzeiger» von mehreren Spielerinnen, die mit Grings’ Führungsstil unzufrieden sind. Die Kritik betreffe aber nicht nur den Umgang neben dem Feld. Auch das taktische Verständnis von Grings und ihrem Trainerteam sei ein Thema. Wer die Spiele an der WM 2023 verfolgt hat, kann von solchen Voten nicht überrascht sein. Grings’ Wechsel während den Spielen und die taktischen Vorgaben wirkten mehrmals rätselhaft. Gut zwei Jahre vor der Heim-EM besteht die Gefahr, dass es zwischen den Führungsspielerinnen der Nati und ihrer Trainerin Differenzen gibt.
Während ihre Nati-Kolleginnen am Freitag in St. Gallen gegen Italien im Kampf gegen den Abstieg in der Nations League bereits ein vorentscheidendes Spiel austragen, ordnet Crnogorcevic in Spanien ihre Zukunft. Diese liegt in Madrid. Crnogorcevic wechselt zu Atlético.
Neben Atlético interessierte sich ebenfalls das mexikanische Team Tigres Femenil für die Schweizerin. «Mexiko hätte mich definitiv gereizt», sagt Crnogorcevic. Am Schluss entschied sie sich aber, in Spanien zu bleiben, um näher an ihrer Familie zu sein – und weil sie die Liga bereits kennt. Sie erhält einen Vertrag bis zum Ende der Saison.
Nach der Unterschrift kündigte sie ihre Wohnung in Barcelona. «Danach konnte ich endlich ausmisten, das war nötig», sagt Crnogorcevic. In Madrid hat sie eine neue Bleibe gefunden. «Ich habe mich schon etwas eingelebt.» Einen ersten Teileinsatz mit Atlético hat sie auch bereits hinter sich. Die Ziele? Den Titel im Cup verteidigen. Und sich einen Platz in der Champions League ergattern. Wobei eines klar ist: «Vorreiter in der Liga ist und bleibt Barcelona – ausser bei der Fitness-Infrastruktur, das Gym in Madrid ist grösser und besser», sagt sie und lacht.
Und wie geht es weiter im Nationalteam? Man darf gespannt sein, ob Crnogorcevic Ende Oktober zurückkehrt. Dann, wenn die Jagdsaison ihren Höhepunkt erreicht hat.
Ich persönlich hoffe, sie ist dann längst nicht mehr Nati-Trainerin.
Ihre Personalentscheide und ihr Coaching sowohl in allen Vorbereitungsspielen (kein einziger Sieg) und an der WM (Dusel-Sieg gegen Philippinen und noch viel mehr Dusel-Remis gegen Neuseeland und Norwegen sowie ein blamable Pleite gegen Spanien waren ganz einfach schwach.
Für die Nations League sehe ich schwarz und hoffe, der Verband zieht dann die Reissleine.
Wie dem auch sei. Auch wenn sie in Barcelona keine Rolle mehr spielt und letzte Saison nur Ergänzungsspielerin war (keine Schande bei der Kader-Qualität), in der CH-Nati hat sie sicherlich noch ihre Daseins-Berechtigung. Jedenfalls mehr als die Influenzerin, also rein sportlich betrachtet.