In Conegliano entsteht der weltberühmte Prosecco, der in aller Herren Länder exportiert wird. Passend zum edlen Getränk erblickt am 9. November 1974 in dem kleinen Städtchen in der Nähe von Treviso im norditalienischen Venetien ein Fussballer das Licht der Welt, der auf dem Spielfeld so prickelnd ist wie der famose Schaumwein. Alessandro Del Piero. Und zur Belohnung heisst mittlerweile auch das Stadion in Conegliano nach dem berühmtesten Sohn der Stadt.
Nachdem der junge Del Piero seine ersten Schritte bei kleineren Teams macht, wechselt er 1990 nach Padova. Mit 16 Jahren gibt er sein Debüt in der Serie B, und am 22. November gelingt ihm das erste (und letzte) Tor im Dress von Padova Calcio.
Gerade erst volljährig geworden, wechselt Del Piero für eine Ablösesumme von 5 Milliarden Lire (umgerechnet etwa 2,4 Millionen Schweizer Franken) zu Juventus Turin. Viel Geld für den Sohn eines Elektrikers, der eine Lehre als Buchhalter absolvierte und sich vielleicht deshalb in seiner Karriere nie gross um grosse Geldsummen scherte.
Beim Spiel Foggia – Juventus wird er eine Viertelstunde vor Schluss für die «weisse Feder», Fabrizio Ravanelli, eingewechselt. Drei Tage später taucht der Name Del Piero auch erstmals ausserhalb Italiens auf, als er im UEFA-Cup gegen Lokomotive Moskau zum Einsatz kommt. Vier Tage nach seinem Serie-A-Debüt trifft er zum ersten Mal im Dress seines neuen Vereins beim 4:0-Heimsieg gegen Reggiana.
Roberto Baggio ist der unumstrittene Platzhirsch bei den Turinern. 1993 gewinnt das «göttliche Zöpfchen» mit Juventus den UEFA-Pokal, an der WM 1994 führt der Buddhist und Hobby-Freizeitjäger die Italiener fast im Alleingang ins Finale, bei welchem er im Penaltyschiessen zur tragischen Figur wird. Am Ende der Saison wird Baggio trotzdem zum Weltfussballer des Jahres gewählt. Doch aufgrund diverser Verletzungen im nächsten Jahr absolviert Baggio nur die Hälfte aller Spiele und muss von der Bank zusehen, wie ihm ein frecher Jungspund den Rang abläuft.
Spätestens als Alessandro Del Piero ein Jahr später die Nummer zehn übernehmen darf, weiss Baggio, dass seine Zeit in Turin abgelaufen ist und er wechselt zum AC Mailand. Del Piero darf also die magische Nummer übernehmen, welche schon sein Vorbild Michel Platini in den 80er Jahren bei den «Bianconeri» trug.
Mit sechs Toren führt «Pinturicchio» – von Juve-Patron Gianni Agnelli so genannt, weil Del Piero die Kreativität des Renaissance-Malers auf dem Spielfeld widerspiegle – sein Team als Taktgeber ins Finale gegen Ajax Amsterdam, welches sie im Penaltyschiessen gewinnen. Zusätzlich holt sich das Team von Star-Trainer Marcello Lippi gegen River Plate noch den Weltpokal, wobei Del Piero zum besten Spieler des Endspiels ausgezeichnet wird.
Nur bei der Nationalmannschaft läuft es zunächst nicht ganz so rund. Bei der EM 1996 scheidet die «Squadra Azzurra» bereits in der Vorrunde aus.
Auch in der nächsten Saison zeigt Del Piero seine Klasse. Die Meisterschaft gewinnen die Turiner souverän, der feine Techniker skort auch fleissig. In 32 Ligaspielen gelingen ihm 21 Tore. In der Königsklasse bringt es der 1,73 Meter grosse Stürmer auf 10 Tore in 10 Spielen und kann mit seinem Team wiederum den Final der Champions League erreichen. Diesmal behält jedoch der Gegner die Oberhand, Real Madrid gewinnt 1:0. Als Trost bleibt Alessandro Del Piero der Titel als Torschützenkönig.
Auch bei der WM in Frankreich muss Del Piero seinen Gegnern gratulieren. Die Italiener verlieren das Viertelfinalspiel gegen den späteren Sieger Frankreich im Elfmeterschiessen.
Im November dann das grosse Drama: Im Meisterschaftsspiel gegen Udinese Calcio reisst sich Del Piero das Kreuzband und fällt neun Monate aus.
Nach seiner Leidenszeit dauert es lange, bis «Ale» zu alter Form zurückfindet. Bei der EM 2000 wird der beidfüssige Techniker im Finale eingewechselt, muss jedoch zusehen, wie sein französischer Teamkollege David Trezeguet die Titelträume beendet.
2002 und 2003 holt er sich den Scudetto und steuert jeweils 16 Treffer zum Gewinn bei. Im rein italienischen Champions-League-Finale gegen Milan ziehen Del Piero & Co. jedoch den Kürzeren, wiederum halten die Nerven im Penaltyschiessen nicht.
Nachdem Fabio Capello Juventus Turin 2004 übernimmt – und mehrheitlich auf seine Sturmkonkurrenten setzt – folgen unter dem strengen Trainer die nächsten beiden Meisterschaften, die jedoch später wegen des Manipulationsskandals um Manager Luciano Moggi annulliert werden. Die «alte Dame» musste den Gang in die Serie B antreten. Viele Stars verlassen das sinkende Schiff, Del Piero macht in der zwölften Saison den Gang in die Zweitklassigkeit mit und liefert gleich eine Liebeserklärung an den Verein: «Ein Kavalier verlässt seine Dame nicht».
Die grosse Versöhnung im Dress des Nationalteams. Obwohl meist nur Ersatz, leistet Del Piero einen grossen Beitrag zum Weltmeistertitel. Im Halbfinale gegen Gastgeber Deutschland sichert er mit dem schönen Tor in der Schlussminute der Verlängerung den 2:0-Sieg. Im Finale steht er endlich wieder einmal auf der Siegerseite bei einem Penaltyschiessen, Del Piero bucht sogar das vorentscheidende 5:3.
Als Kapitän führte Del Piero höchstpersönlich seine Juve mit 20 Toren in 35 Partien in die Serie A zurück. Mit dieser Bilanz wird die Nummer 10 auch Torschützenkönig der Serie B.
In den nächsten Jahren feiert «Pinturicchio» wiederum zwei grosse Erfolge: Torschützenkönig (2008) und Meisterschaft (2001). Nach 698 Pflichtspielen bekommt der neben dem Platz ruhige Zeitgenosse keinen neuen Vertrag mehr. In der Nationalmannschaft wird er ins EM-Kader 2008 berufen, scheitert jedoch im Viertelfinale am späteren Europameister Spanien – wie könnte es anders sein – im Penaltyschiessen.
Alessandro Del Piero ist jedoch noch nicht bereit, seine Fussballschuhe an den Nagel zu hängen. Beim australischen Verein FC Sydney kickt er die letzten zwei Jahre und skort auch in Down Under regelmässig. Er mag inzwischen für Fussballer das biblische Alter von 39 Jahren erreicht haben, die berühmte Freistosstechnik ist geblieben.
Eine gewisse Spielfeldregion ist sogar nach Del Piero benannt worden. Ab dem Strafraum bis etwa 20 Meter vor dem Tor – auf der vom Schützen gesehen linken Seite des Feldes – heisst auch «Zona Del Piero». Geübt hat der Schnibbler die Freistosstechnik übrigens mit Tennisbällen in der Garage, als er als Kind stundenlang den Ausschaltknopf ins Visier nahm. Was das nächste Ziel in der Agenda des Ausnahmekickers ist, steht in den Sternen. Der dreifache Familienvater hat zunächst nur angekündigt, beim FC Sydney als Spieler aufzuhören.