Gianni Infantino war unvermeidbar. Niemand konnte ihm entgehen. Welches WM-Spiel am Fernsehen auch gerade lief, irgendwann blendete die Regie den FIFA-Boss ein, wie er in der VIP-Loge im Stadion sass und das Spiel verfolgte. Nicht selten umgeben von Scheichs oder anderen Autoritären der Weltfussball-Szene.
An der WM der Scheichs von Katar gab es den Schweizer bisweilen sogar doppelt. Als zum Schluss der Gruppenphase zwei Spiele gleichzeitig ausgetragen wurden, brachte Infantino es fertig, an beiden Parteien zu sein. Oder jedenfalls: Ins TV-Bild gerückt zu werden. So geschehen am 2. Dezember 2022, als er sowohl bei Brasilien gegen Kamerun wie auch beim gleichzeitig laufenden Spiel Schweiz gegen Serbien in seiner VIP-Loge eingeblendet wurde.
Der Münchner Merkur zitierte damals den verblüfften ZDF-Kommentator Bélà Réthy, der feststellte: «Der ist, glaube ich, bei jedem Spiel. Oder die haben jetzt ein Bild von ihm in der Regie, wo sie ihn jedes Mal reinschneiden.»
Der omnipräsente Gianni Infantino, immer mal wieder reingeschnitten. Wenns sein musste, gleich doppelt.
Ein gutes halbes Jahr später findet wieder eine FIFA-Fussball-WM statt. Die WM der Frauen in Australien und Neuseeland. Die WM läuft seit fast einer Woche, pro Tag finden im Durchschnitt drei Spiele statt. Aber vom FIFA-Präsidenten ist bisher nicht viel zu sehen.
Wo ist Gianni Infantino? Er flimmert während der Spiele kaum je über den Bildschirm. Das Rampenlicht, den grossen Auftritt sucht er diesmal jedenfalls nicht.
Ist Infantino überhaupt vor Ort? Oder versteckt er sich bloss? Zeigt er sich nur gerne, wenn Scheichs und Oligarchen in der Nähe sind?
Deshalb die Frage Anfang Woche von CH Media an den Weltfussball-Verband FIFA: «Verfolgt Herr Infantino eigentlich die Spiele der Frauen WM vor Ort, oder ist er anderweitig beschäftigt? In der TV-Übertragung wird er im Unterschied zur WM in Katar offenbar nicht eingeblendet in der VIP Loge.»
Ein FIFA-Sprecher schreibt auf Englisch: «Seit dem Start des Turniers wohnte der Fifa-Präsident jeden Tag mindestens einem Spiel der FIFA-Frauen-WM bei. Er beabsichtigt, in jedem der zehn Stadien mindestens einen Match zu schauen.»
Tatsächlich, es gibt Bilder. So eines vom 22. Juli, das Infantino in Auckland, Neuseeland, beim Match zwischen der USA und Vietnam zeigt. Er steht dort mit etwas skeptischem Blick unter nicht näher bezeichneten Zuschauerinnen und Zuschauern.
Natürlich: Weil die Frauen-WM zudem in zwei Ländern und neun weit entfernt liegenden Städten ausgetragen wird, liegt mehr als ein Match-Besuch pro Tag für Infantino kaum drin. Was aber Infantinos im Vergleich zu Katar verschwindend kleine TV-Präsenz nicht restlos zu erklären vermag.
Es gibt auch andere Unterschiede. So ist nicht bekannt, dass Infantino zur Vorbereitung oder für die Dauer der WM nach Neuseeland oder Australien gezogen wäre, wie er im Fall von Katar tat. Er dislozierte damals mitsamt Frau und Töchtern ins steinreiche, autoritär regierte Emirat. Gegenüber dem «Blick» sprach Infantino von einer «einzigartigen Gelegenheit» und gab an: «Die Vorbereitung und Durchführung der Fussball-Weltmeisterschaften in Katar sind sowohl für den Fussball und die FIFA als auch für Katar ein Projekt von herausragender Bedeutung.»
Die WM werde in die Geschichte der Region und der FIFA eingehen, gab der Präsident weiter an, dafür lohnten sich «auch die grössten Anstrengungen».
Die nächsten «grössten Anstrengungen», wohl inklusive temporärer Umzug, so schätzen Beobachter, wird Infantino für die nächste Fussball-WM der Herren auf sich nehmen, die 2026 in den USA, Kanada und Mexiko ausgetragen wird.
Dieser Austragungsort war 2018 bestimmt worden, in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump, an dem Infantino offensichtlich grossen Gefallen fand. So 2018 im Weissen Haus, als er Trump ein Etui mit einer gelben und einer roten Karte übergab. «Das kann nützlich für Sie sein», sagte er Trump. Wenn er jemanden rauswerfen wolle, brauche er ihm nur die rote Karte zu zeigen.
Trump wiederum dankte Infantino für seinen Einsatz für die WM. Wie auch anderthalb Jahre später, am WEF in Davos, als Trump «Johnny» Infantino für die Hilfe beim Zuschlag dankte: «Du hast einfach nicht aufgehört. Du wolltest die WM dort, und ich wollte sie dort. Bevor ich ins Amt kam, haben wir das Ding durchgezogen.»
Zurück zur Frauen-WM: Fehlt dem machtbewussten Infantino vielleicht, trotz gegenteiliger Versicherungen, schlicht das Interesse am bisher auch finanziell vergleichsweise wenig lukrativen Frauen-Fussball?
Man tue ihm Unrecht, versichern Leute, die Infantino gut kennen. Die Frauen-WM sei dem FIFA-Präsidenten wirklich ein wichtiges Anliegen – allein schon darum, weil er ja vier Töchter habe.
Zufall oder nicht, am Tag nach der Anfrage von CH Media gab Infantino Gegensteuer. Am Dienstag verbreitete die FIFA eine Mitteilung samt Videoclip, in der sich Infantino begeistert über den Start der WM zeigte. Die WM sei ein Riesenerfolg, so der FIFA-Boss. «Wir können schon jetzt sagen, dass dies die grösste Fussball-WM der Frauen aller Zeiten ist.»
A propos: Während manche sich fragen, wo Infantino ist, fragt sich dieser, wo die beiden Sonderermittler stecken, die in der Schweiz noch immer gegen ihn und den ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber untersuchen. Seit Monaten hätten die insgesamt sieben Beschuldigten nichts mehr von den zwei Bundesermittlern gehört.
Gemeint sind die ausserordentlichen Bundesanwälte Hans Maurer und Ulrich Weder, die seit Anfang 2022 die «Schweizerhof»-Affäre untersuchen. Es geht da um die Frage, ob es zu unerlaubter Kungelei zwischen Bundesanwaltschaft und FIFA-Boss samt Gefolge kam, ob Straftaten wie Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung, Begünstigung oder Anstiftung dazu begangen wurden. Kommt es zur Anklage, oder wird das Verfahren eingestellt? Nimmt das alles noch ein böses Ende für Infantino?
Die Sonderermittler lassen Beschuldigte und Öffentlichkeit zappeln. Auf Anfrage von CH Media nach dem Stand der Verfahren halten sie fest, dass sie sich derzeit nicht dazu äussern können. (aargauerzeitung.ch)
Nicht weiter schlimm, da geht es ihm wie vielen anderen.