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Die SSC Napoli steckt nach der Meistersaison in einer Krise

epa11062815 Players of Napoli at the end of the Italian Serie A soccer match Torino FC vs SSC Napoli at the Olimpico Grande Torino Stadium in Turin, Italy, 7 January 2024. EPA/Alessandro Di Marco
Napoli-Spieler nach der Niederlage gegen den FC Turin.Bild: keystone

Ein Meister auf Formsuche – Napolis grosser Kater nach dem rauschenden Fest

Im April 2023 kürte sich die SSC Napoli sensationell zum italienischen Meister und beendete damit eine lange Durststrecke. In der aktuellen Saison haben die Neapolitaner den Anschluss an die Spitze verloren – dabei ist das Team noch fast dasselbe.
13.01.2024, 08:0516.01.2024, 07:29
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Im letzten Frühling war es nach über 30 Jahren wieder so weit: Die SSC Napoli stand am Saisonende an der Tabellenspitze und holte sich den Scudetto. Im entscheidenden Spiel reichte ein Remis gegen Udine, um den ersten Titel seit der Ära Maradona in den Süden zu holen und eine ganze Stadt in grenzenlose Ekstase zu versetzen.

So sieht es aus, wenn Napoli den Sieg des Scudetto feiert

Neapel in Feierlaune.Video: watson/lucas zollinger

Heute, nicht einmal ein Jahr später, weht in der Hafenstadt ein deutlich kühlerer Wind und es zeigt sich in aller Deutlichkeit, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg manchmal ist. Gerade erst Meister geworden, liegt Napoli in der Serie A aktuell auf Platz neun, 20 Punkte hinter dem führenden Inter Mailand. In der Coppa d'Italia sieht es auch nicht rosiger aus: Gegen Frosinone – das erst auf die vergangene Saison hin wieder in die Serie A aufgestiegen war – verlor Napoli gleich mit 0:4 und schied im Achtelfinal aus.

Die Fans, die im letzten Mai noch in aller Überschwänglichkeit ihre Meisterhelden gefeiert hatten, gehen mit der Mannschaft spätestens seit der 0:3-Niederlage gegen Torino am vergangenen Sonntag hart ins Gericht. «Vergogna», Schande, lautete das Verdikt der Napoli-Fans, die in Turin bei eisigen Temperaturen Zeugen des lauen Auftritts ihrer Mannschaft wurden.

Die Kurve liest den Spielern die Leviten.Video: YouTube/Manuel Parlato

Ein Team mit zwei Gesichtern

Diese rasante Talfahrt ist vor allem deshalb erstaunlich, weil das Team bis auf den südkoreanischen Innenverteidiger Min-jae Kim, der zu Bayern München wechselte, keine gewichtigen Abgänge zu verkraften hatte. Die Mannschaft ist also noch immer aus demselben Holz geschnitzt, weiss eigentlich, wie man gewinnt. Mit Victor Osimhen und Khvicha Kvaratskhelia kann Napoli auch weiterhin auf die Dienste seiner beiden erfolgreichsten Torschützen zählen.

Sucht man nach einem Schuldigen für den sportlichen Zerfall, muss man den Blick nach oben richten. Die Führungsetage hatte das Schiff bereits verlassen, bevor es überhaupt zu sinken begann. Erfolgstrainer Luciano Spalletti gab eine Auszeit als Grund für die Niederlegung seines Amtes an – die vermutlich nur aufgrund der Differenzen mit dem Präsidenten Aurelio De Laurentiis überhaupt nötig wurde –, er wurde schliesslich im August als Nachfolger des italienischen Nationaltrainers Roberto Mancini angeheuert.

epa10700370 New SSC Napoli head coach Rudi Garcia (R) poses with SSC Napoli President Aurelio De Laurentiis at a press conference in Naples, Italy, 19 June 2023. EPA/CIRO FUSCO
De Laurentiis (links) bewies mit seinen personellen Entscheiden kein gutes Händchen. Bild: keystone

Der Sportdirektor Cristiano Giuntoli hatte in Neapel beim Aufspüren von neuen Talenten (Osimhen, Kvaratskhelia, Kim) einen solch feinen Spürsinn bewiesen, dass er ausgerechnet von Juventus Turin abgeworben wurde und den Klub in Richtung Norden verliess. Übrig blieb nur noch der Präsident Aurelio De Laurentiis, ein Filmproduzent, der mit seinen Personalentscheiden mitverantwortlich dafür ist, dass Napoli heute tatsächlich einem sinkenden Schiff gleicht.

Die Niederlage, die dem Spalletti-Nachfolger Rudi Garcia das Genick gebrochen hatte, war diejenige gegen die Kellermannschaft Empoli im November. Ein Durchschnitt von 1,75 Punkten pro Match war zu wenig für den Verein, der sich mit dem Gewinn des Scudetto nach einer langen Durststrecke wieder einmal den Platz an der Sonne ergattert hatte. «Zwischen Rudy Garcia und Napoli hat rein gar nichts funktioniert», titelte damals das Online-Magazin Undici.

Nicht nur der Konterfussball, den Garcia spielen liess, sei Napoli zum Verhängnis geworden, der Franzose hätte es auch nicht geschafft, die Mannschaft so erfolgreich zu führen, wie dies Spalletti gelungen war. Aber wie gut ist eine Mannschaft wirklich, wenn sie bei einem Trainerwechsel auseinanderfällt? Die Frage, die Undici in fast rhetorischer Manier stellt, ist bei Napoli durchaus berechtigt.

Neuer Trainer, altes Pech

Und dann kam Walter Mazzarri. Laut der «Gazzetta dello Sport» sei die Wahl nur aufgrund eines Mangels an besseren Alternativen auf den ehemaligen Cagliari-Trainer gefallen – und den Grund für die mangelnden Alternativen, so die Zeitung, müsse der Präsident, der nicht als einfacher Zeitgenosse bekannt ist, in erster Linie bei sich selbst suchen.

Notnagel Mazzarri konnte Napoli bisher nicht zurück auf die Siegesstrasse bringen. Mit einem Punktedurchschnitt von 1,0 sind die Wolken über Neapel gar noch düsterer geworden.

Und es könnte noch schlimmer kommen für die Neapolitaner. So halten sich die Wechselgerüchte rund um den Stürmer Victor Osimhen hartnäckig. Bei Chelsea soll der Stürmer, der erst im Dezember bei Napoli verlängert hatte, laut der Zeitung «Daily Mail» hoch oben auf der Wunschliste stehen. Um den Nigerianer auf die Insel zu holen, müssten die ebenfalls serbelnden Engländer tief in die Tasche greifen: Auf 130 Millionen Euro soll sich Osimhens Ausstiegsklausel belaufen.

Der Stürmer gerät – oder bugsiert sich – immer wieder ins Auge der vereinsinternen Stürme. Vor kurzem beleidigte er beispielsweise den Berater seines Teamkollegen Kvaratskhelia via Instagram als «ein Stück Dreck», als dieser behauptete, Osimhen würde im Sommer nach Saudi-Arabien wechseln, und im vergangenen Oktober brachte ein TikTok-Video, in dem Osimhen auf eine degradierende Art und Weise parodiert wurde, den Verein in Verlegenheit.

Ein Derby unter gänzlich anderen Vorzeichen

Die nächsten Spiele der Serie A wird Osimhen, der jüngst zu Afrikas Fussballer des Jahres gewählt wurde, aufgrund seiner Teilnahme am Afrika Cup verpassen, und so wird sich schon jetzt zeigen, wie sich Napoli ohne seinen Knipser schlägt.

Angesichts der gehässigen Stimmung, die rund um die SSC Napoli herrscht, ist das Derby gegen den Tabellenletzten Salernitana an diesem Wochenende (Samstag, 15 Uhr) mehr als nur ein geografisch bedingter Revierkampf. Reichte beim Derby im letzten April ein Punkt, um einen riesigen Schritt in Richtung Scudetto zu machen, spielt Napoli dieses Mal, glaubt man dem «Corriere dello Sport», um nichts Geringeres als um seine «verletzte Ehre».

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