«Il y a un wagon restaurant? On a besoin d’un refill!»
Nach dem 13. Cupsieg der Vereinsgeschichte ist der Erfolgs-Hunger bei den Sion-Fans fürs Erste gestillt. Aber Durst hat die rot-weisse Meute immer noch, das wird einem beim Betreten des Extrazugs von Basel nach Sion schnell klar.
Die meisten hier sind seit 8 Uhr morgens auf den Beinen, dann nämlich fuhr der Extrazug von Sion los in Richtung Basel. Neun Stunden, viel Sonne und einen 3:0-Sieg später geht es wieder zurück ins Wallis. Eine richtige «Tour de Suisse» – oder treffender: «Tour de l’apéro».
Denn auf einmal dröhnt es durch den Wagon: «Apéro, Apéro, Apéroooo.» Ein überaus glücklich wirkender Fan – oben ohne selbstverständlich – marschiert triumphierend mit einem Sixpack Quöllfrisch zu seinem Abteil. Er wird gefeiert, als ob er soeben alle drei Tore zum Sion-Triumph höchstpersönlich geschossen hätte. Refill: Check!
Ein wenig angeknackst wirken die Herren und Damen aus der Südschweiz nach all den Strapazen schon. Doch so kurz nach dem Sieg hält das Adrenalin die Schlaf-, und «Ich-will-endlich-ausnüchtern»-Hormone noch in Schach. Es wird gesungen, gefeiert und getanzt: «On a la treizième, on a la treizième, on a la tre- treizième!»
Plötzlich ertönt der berühmte SBB-Dreiklang: Eine Durchsage! «Bonjour, une annonce de la CFF: L’apéro dans le wagon restaurant est offert!» Wie bitte: Die SBB gibt eine Runde aus?
Ist natürlich nur ein Scherz. Denn schnell wird klar, dass sich ein Sion-Fan das Durchsage-Mikrophon geschnappt hat. Bald schallen im Minutentakt Schlachtrufe durch die Lautsprecher. Wobei: Schlachtrufe ist wahrscheinlich das falsche Wort. Denn neben «Allez-Sion-Allez»-Gegröle wird auch mal ein «Frère-Jacques, Frère-Jacques, dormez vous?» angestimmt.
Sogar an die wenigen Deutschschweizer im Zug wird gedacht: «Et maintenant une chanson pour mes chers amis de la Suisse allemande: ‹In eine unbekanntes Land, ist eine Mannschaft ganz bekannt, die so kleine aber grosse FC Sion›», trällert der selbsternannte Zugbegleiter durch die Lautsprecher. Sehr zum Amüsement der Fahrgäste, lautes Gelächter füllt die Wagons.
Apropos Zugbegleiter: Die sind ebenfalls an Bord. Billette werden jedoch keine kontrolliert, Sion hat schliesslich den Cup gewonnen! Zwischen 1. und 2. Klasse wird heute auch nicht unterschieden. Sogar die im Jahr 2005 verbannten Raucherabteile erhalten ein kurzes Revival. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich, doch während der Zug in Richtung Berner Oberland rollt, wird ein Fan nach dem anderen vom Schlaf übermannt.
Die Beine werden hochgelagert, die Sion-Fancaps ins Gesicht gezogen. Ein bisschen Energie tanken, ist jetzt wichtig: Denn die Sion-Spieler kommen erst um 22 Uhr beim Fanfest auf der Place de la Planta an. Und dann soll ja noch die ganze Nacht weitergefeiert werden. Sogar der nimmermüde Stimmungsmacher am Lautsprecher hat sich schlafen gelegt. Dabei wäre sein «Frère-Jacques» jetzt durchaus angebracht.
Doch es ist schnell vorbei mit der Ruhe: Lautes Gebrüll dringt vom Abteil nebenan zu uns: Wawrinka hat soeben die French Open gewonnen. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Auf einen Schlag sind wieder alle Wach und johlen: «Et Warinka, et Wawrinka, il a gagné Roland Garros!» Was für ein Tag für die Romandie!
Ein bisschen «Röschtigraben» fährt im Zug auch mit. Nachdem ich mich als Zürcher oute, sind sich «Les Valaisans» schnell einig: «Tu as supporté Bâle, non?! Tous les Suisses allemands ont supporté Bâle aujord’hui!»
Dann wieder kollektiver Jubel: Der Zug hat den Lötschbergtunnel passiert; Wallis, endlich wieder zuhause!
Kurz darauf heisst es in Visp umsteigen! Der Coop Pronto am Bahnhof wird im Nu überrannt, eine Apple-Store-Neueröffnung in Peking ist ein Kindergeburtstag dagegen. Refill: Check!
Was danach folgt, wäre für jemanden mit Klaustrophobie der reinste Albtraum: Gefühlt zwängen sich in einen einzigen Wagon etwa zehnmal so viele Menschenkörper wie Sepp Blatters Heimatdorf Ulrichen Einwohner hat.
Zwei Wagen weiter ist derweil etwa so viel los wie in einer Aprés-Ski-Hütte auf der Bettmeralp anfangs August. Doch wer will jetzt schon allein sein? Jetzt wird gefeiert, und wie! Während der 30-minütigen Fahrt das Rohnetal hinunter jagt ein Fan-Song den anderen: «On a la treizième!»
In Sion angekommen, strömt die Masse aus dem Zug und macht sich auf, die umliegenden Kebab- und Raclette-Stände zu bevölkern – und irgendwo wartet bestimmt auch der nächste Apéro. Und ich weiss, wenn es nächstes Jahr heisst, «on a la quatorzième», dann werde ich – für eine Zugfahrt lang – wieder zu einem Sion-Fan.