Es ist einer dieser wunderbaren Herbsttage in Lugano. Die Sonne lacht über der Stadt. Licht und Schatten vollführen zwischen Bergen und See ein phänomenales Spiel. Mitten in dieser Szenerie betritt um kurz vor 10:30 Uhr Xherdan Shaqiri die Bühne. «Hallo Zämä», begrüsst Shaqiri die Beobachter. Er kommt im Lugano-Outfit, schwarz-weisses Shirt und Hosen, dazu türkisblaue Schuhe.
Der Schweizer Nationalspieler ist nicht einfach so zu Besuch beim FC Lugano. Er ist Trainingsgast beim Super-Ligisten. Das Ziel: Fit bleiben für die WM. Weil seine Saison mit Chicago Fire bereits am 9. Oktober zu Ende ging, musste eine Übergangslösung her. Lugano, der Partnerverein von Chicago Fire, hat gerne Hand geboten.
Die meisten Trainingsspielchen an diesem Mittwoch absolviert Shaqiri an der Seite von Nati-Kollege Renato Steffen. Die Laune ist prächtig. Die Lust am Fussball gross. Mehr als einmal setzt er zum spektakulären Scherenschlag an, vielleicht, um in seinem Körper schon mal die Erinnerungen an das Traumtor an der EM 2016 gegen Polen zu wecken.
Bis am 12. November darf Shaqiri beim FC Lugano mittrainieren. An jenem Wochenende finden in Europas Fussballligen die letzten Spiele statt. Dann geht es nach Katar. Hoffentlich mit einem fitten Xherdan Shaqiri.
Mittlerweile ist es Nachmittag geworden in Lugano. Shaqiri nimmt Platz in der «Sala Est», ein spartanischer Raum im Cornaredo, der Heimat des FC Lugano. Neben ihm sitzen auch Nati-Direktor Pierluigi Tami und Lugano-Trainer Mattia Croci-Torti.
Shaqiri ist es wichtig, zunächst allen zu danken, die sein persönliches WM-Trainingslager ermöglicht haben. Er sagt:
Shaqiri brauchte die Freigabe von Chicago, schliesslich steht er trotz der verpassten Playoff-Qualifikation in der MLS weiter unter Vertrag. Erst am 14. November dürfen die nationalen Verbände über die Spieler verfügen. Shaqiri brauchte zudem eine Versicherung, für den Fall, dass er sich während der nächsten drei Wochen verletzt.
Sowohl Unterkunft in Lugano als auch Versicherung bezahlt Shaqiri aus der eigenen Tasche. Wobei er deswegen nicht gleich darben muss. 8,16 Millionen Dollar Brutto verdiente er in dieser Saison. Dass die Löhne in den USA öffentlich sind, stört ihn nicht. «In Amerika gibt es deswegen weniger Neid und Gerede», sagte er kürzlich der NZZ am Sonntag.
Shaqiris primäres Ziel ist es, dass der «Motor in den nächsten Wochen immer wieder läuft.» So sagt er das. Dass er ausschliesslich Trainings, aber keine Spiele bestreitet in den nächsten Wochen, stelle hingegen kein Problem dar.« Ich habe in dieser Saison sehr viele Partien bestritten. Und ich werde nicht vergessen, wie man einen Ball spielt und schiesst», sagt Shaqiri.
Und natürlich taucht auch die Frage auf, ob sich denn die Trainingskollegen in Lugano überhaupt trauen, so richtig zur Sache zu gehen gegen ihn. Shaqiri sagt: «In gewissen Situationen sieht man schon, dass die Spieler ein bisschen ruhiger spielen gegen mich.» Eine Sonderbehandlung wünscht er aber auf keinen Fall. Trainer Croci-Torti hat explizit darauf verzichtet, seine Spieler anzuhalten, mit angezogener Handbremse gegen Shaqiri zu agieren. «Das ist gar nicht nötig, Xherdan hat auch so den Respekt von uns allen. Jeder weiss, was er für die Schweiz bedeutet.» Eines gibt Croci-Torti gleichwohl zu bedenken: «Ich habe ihm gelernt, dass es immer besser ist, mit 100 Prozent in einen Zweikampf zu gehen und nicht nur mit 80 Prozent.» Verletzungen passieren häufig genau dann, wenn die Körperspannung fehlt.
Auch Luganos Trainer ist bestens aufgelegt an diesem Nachmittag. Vielleicht liegt das daran, dass sein Team dank Shaqiri wieder einmal im nationalen Fokus steht. So sehr, wie sonst nur, wenn Lugano gerade den Cupfinal gewinnt. Frage an Croci-Torti: «Wie viele WM-Tore von Shaqiri können Sie der Schweiz versprechen dank Ihres Trainings?» Es folgt ein Lachen. Viele Worte. Und schliesslich dank unseres Nachhakens auch eine Antwort. «Sagen wir mal: vier Tore. Und das würde bedeuten, die Schweiz erreicht den Halbfinal. Das wäre doch toll!»
Shaqiri selbst hat schon im Frühjahr gesagt, dass es zuallererst darum gehe, die schwierige Gruppe mit Brasilien, Serbien und Kamerun als Gegner zu überstehen. Er sagt aber auch:
Aber eines sei klar: «Wir sind gut beraten, bodenständig zu bleiben. Denn die Schweiz muss immer über ihre Grenzen gehen, um etwas Grosses erreichen zu können.» So, wie das im phänomenalen EM-Achtelfinal gegen Frankreich der Fall war (3:3, Sieg nach Penaltyschiessen).
Eine letzte Frage noch. Wie hat Shaqiri seine von Nati-Trainer Murat Yakin verordneten Ferien verbracht, unmittelbar nach Saisonende? «Ist das wirklich spannend?», fragt Shaqiri zurück, «nun gut: zunächst war ich in Mexiko, um ein paar Tage Sonne zu geniessen. Dann in Manchester in meinem Haus, ich wollte eigentlich noch ein Premier-League-Spiel schauen gehen, kam aber nicht dazu, weil ich putzen musste. Und schliesslich noch ein paar Tage in der Schweiz.»