Manchmal ist eine kleine Geste am Rande entscheidend, um die wahre Dimension einer Geschichte zu verstehen. Es spricht einiges dafür, dass dies auch am vergangenen Freitag mit dem Ende des Spiels Schweiz gegen Serbien der Fall war. Es geht natürlich um den Doppeladler. Um den Doppeladler von Stephan Lichtsteiner. Doch der Reihe nach.
Lichtsteiner ist Captain des Schweizer Nationalteams. Er ist das seit März 2016 und der Ausmusterung von Gökhan Inler. Es war jene Zeit, als das Schweizer Team im Nachgang des Balkangrabens gespalten war. Seither ist im Team-Gefüge einiges passiert. Die verschiedenen Gruppen haben sich intensiv miteinander auseinandergesetzt. Sie haben diskutiert, sie haben sich selbst reflektiert. Und vor allem haben sie gemerkt: Nur, wenn alle einen Schritt aufeinander zugehen, kann die Equipe als ganze Erfolg haben.
Stephan Lichtsteiner ist einer der Leader, die vorangeschritten sind. Ein anderer ist Valon Behrami. Ein dritter Johan Djourou. Sie alle haben es mithilfe von Trainer Vladimir Petkovic hingekriegt, dass das Binnen-Klima in der Nati ein anderes, ein freundlicheres ist als zu Zeiten des Balkangrabens. Zur Erinnerung: Schon Ende 2014 gab der Doppeladler zu reden. Manch einer zeigte ihn etwas gar häufig – und stiess damit Nati-Kollegen vor den Kopf. Die Frage war: Wie wichtig ist den Spielern mit mehr als nur einer Heimat die Schweiz eigentlich?
Es ist eine heikle Frage, weil mit ihr unterschwellig ein Angriff auf die Integrität verbunden ist. Weil Misstrauen mitschwingt. Misstrauen gegenüber jungen Menschen, die schon alleine ihrer Geschichte wegen anders fühlen, als sich das die meisten Menschen in der Schweiz überhaupt vorstellen können.
Lichtsteiner hat einst die Diskussion um «echte» Schweizer und die «anderen» angestossen. Es war zu einer Zeit, in der vieles schief lief, in der die Gruppen in der Nati auseinanderdrifteten – darum war das Verständnis für einen Doppeladler intern manchmal überschaubar.
Jetzt, an der WM 2018, ist das anders. Es ist nicht nur Lichtsteiners Doppeladler, der zeigt, wie das gegenseitige Verständnis gewachsen ist. Sämtliche Schweizer erweckten im Anschluss an den Sieg gegen Serbien den Eindruck, als wüssten sie sehr genau, wie schwierig die Partie gerade für die Torschützen Shaqiri und Xhaka war. Sie wurden in den letzten Wochen tausendfach mit dem Krieg zwischen Serbien und Kosovo konfrontiert. Sei es aus ihren beiden Heimatländern Schweiz und Kosovo. Oder sei es via soziale Medien. Shaqiri gab offen zu, dass die Wunden noch nicht ganz verheilt seien. Auch in seiner Familie wurden Häuser in der Heimat abgebrannt. Xhaka ist gar noch direkter betroffen. Sein Vater wurde von Serben während dreier Jahre als Gefangener festgehalten.
Die politische Dimension des Doppeladlers ist die eine Geschichte. Aber in Kaliningrad wurde eben mehr offensichtlich. Dass in diesem Schweizer Team ein Wandel stattgefunden hat und man sich viel näher ist als auch schon. Die Frage ist nun: Wie viel Kraft kosten die Diskussionen um den Doppeladler im weiteren Verlauf des Turniers? Und hätte das alles nicht verhindert werden können?
Es wäre bestimmt nicht falsch gewesen, wenn die FIFA bei der Auslosung die Partie Schweiz gegen Serbien gar nicht erst zugelassen hätte. Doch darauf hatte der Schweizer Fussballverband keinen Einfluss.
Fraglich ist hingegen: Warum haben die Fussball-Bosse mit aller Konsequenz eine öffentliche Auseinandersetzung mit den politischen Dimensionen dieses Aufeinandertreffens verhindern wollen? Die vielen Fragen waren da. Antworten durfte es keine geben. Vielleicht hätten sie dazu beigetragen, bei den Spielern ein Bewusstsein zu schaffen für überbordende Jubelgesten.
Inzwischen gelöschte Instagram Posts von Xhaka:
"Hey, Serbia I destroyed your net, because my name is Granit Kosova".
Dazu seine Aussage im Postmatch Interview:
"This is history being made. A team that's not even at the World Cup scored today, not once, but twice. Serbia one, Albania two!"
Quelle:
https://www.givemesport.com/1339308-granit-xhaka-deleted-an-instagram-post-about-his-celebration-vs-serbia