In der 93. Minute ertönte der Pfiff. Penalty für Real Madrid. Dabei hatten sich im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals bereits alle auf eine Verlängerung eingestellt. Mit viel Leidenschaft und kluger Taktik hatte Juventus Turin im Estadio Bernabeu von Real Madrid den 0:3-Rückstand wettgemacht und jetzt das!
Nach einer Kroos-Flanke in den Strafraum schraubte sich Cristiano Ronaldo mal wieder in schwindelerregende Höhen und köpfte den Ball zur Mitte, wo Lucas Vazquez einschussbereit zur Stelle war. Doch Juves Medhi Benatia bringt den Real-Joker zu Fall. Der englische Schiedsrichter Michael Oliver pfeift Penalty – ein harter, aber wohl korrekter Entscheid.
Während die Kameras auf die wütenden Juve-Spieler schwenken und die Rote Karte gegen Gianluigi Buffon einfangen, ist für einen gleich klar, dass jetzt sein grosser Moment kommen wird: Cristiano Ronaldo.
Der Portugiese schiesst alle Penaltys der Königlichen, doch selten zuvor war einer so wichtig wie dieser. Trifft CR7, steht Real im Champions-League-Halbfinal. Trifft er nicht, geht's in die Verlängerung. Der Druck, der auf Ronaldo lastet, ist riesig – vor allem wenn man die lange Wartezeit betrachtet. Zwischen Pfiff und Ausführung vergehen rund fünf Minuten.
Was geht einem da durch den Kopf? Was macht man in dieser gefühlt unendlich langen Zeitspanne? Auf die erste Frage gibt es leider keine Antwort, auf die zweite hingegen schon. Zwei Kameras haben Ronaldo und das Geschehen um ihn zwischen Pfiff und Schussabgabe genau beobachtet.
Zu sehen ist, wie sich Ronaldo erst etwas abseits vom Trubel um Schiedsrichter Oliver aufhält, sich dann kurz mit Toni Kroos bespricht, bevor er zum Punkt schreitet. Dort warten allerdings die ersten Juve-Spieler auf ihn und es kommt zu einem kleinen Gerangel, das sich aber bald wieder auflöst. Ronaldo setzt schliesslich den Ball, doch Gonzalo Higuain und später auch Mario Mandzukic kicken diesen wieder weg. Das Ziel der Italiener ist klar: CR7 in der Konzentration zu stören.
Doch Ronaldo lässt sich nicht beirren. Er putzt sich Nase, wischt sich Mund ab und wartet hochkonzentriert, bis er endlich schiessen darf. Dann ist es so weit: Sein Penalty ist an Souveränität nicht zu überbieten, unhaltbar für Juve-Ersatzkeeper Wojciech Szczesny ins rechte Lattenkreuz.
Man kann Ronaldo für seine Nervenstärke in einem so heiklen Moment eigentlich nur bewundern, trotzdem fliegen ihm die Herzen der neutralen Fussball-Fans am Tag nach Reals Halbfinal-Einzug nicht zu. Das war vor einem Woche nach seinem spektakulären Fallrückzieher-Tor im Hinspiel noch anders. Da bejubelte ihn die ganze Welt, sogar die Juve-Anhänger verneigten sich vor ihm und spendeten tosenden Applaus.
Der Grund für den Liebesentzug: Ronaldos Oben-ohne-Jubel. Nach seinem 120. Tor im 150. Champions-League-Spiel riss er sich sein Trikot vom Leib, sprintete zur Eckfahne, spannte die Muskeln an und liess sich von den Zuschauern feiern.
Schon oft hatte er so gejubelt, doch diesmal hielten es viele Beobachter nicht wirklich für angebracht. Denn Real hatte ja eigentlich 1:3 verloren, Fussball-Legende Buffon sich gerade mit einer Roten Karte wahrscheinlich für immer aus der Königsklasse verabschiedet und der Juve-Anhang im Hinspiel noch für ihn applaudiert.
Mangelnder Respekt? Oder darf Ronaldo in einem solchen Moment so explodieren? Das muss jeder für sich entscheiden. Nach der Partie erwies sich der Matchwinner jedenfalls als fairer Sportsmann. Als in den Katakomben Gigi Buffon begegnete, nahm er den untröstlichen Torhüter kurz in den Arm und küsste ihn liebevoll auf die Wange.