«Riola? Sie kann von mir einfach alles haben!» Viola Calligaris, die den Penalty zum 0:1 verschuldet hat, weiss, bei wem sie sich bedanken kann. Riola Xhemaili heisst die Frau, die mit ihrem Ausgleich in der 92. Minute dieser letzten Gruppenpartie gegen Finnland den Schussversuch von Géraldine Reuteler ins Tor ablenkt – und damit im ganzen Land eine Ekstase auslöst. Sie ist es, die die Nation mit ihrem Tor in einen Freudentaumel versetzt.
Gemeinsam mit ihrer guten Freundin im Nationalteam, Alisha Lehmann, feiert sie danach vor den frenetischen Schweizer Fans im Stade de Genève. Zum ersten Mal stehen die Schweizer Fussballerinnen in einem EM-Viertelfinal.
Die 22-jährige Solothurnerin denkt nach dem wichtigsten Tor ihrer Karriere aber auch zurück: «Ich hatte keine einfachen Monate in der Nati. Es gab viele Leute, die an mir gezweifelt haben. Das Tor bedeutet mir viel.» Dass Riola Xhemaili dieses so eminent wichtige Ausgleichstor schiesst, ist eine dieser Geschichten, die so nur der Fussball schreiben kann. Lange sah es nicht danach aus, dass sie an der Heim-EM überhaupt dabei sein würde – und nun wird sie dank ihres späten Tors zu einer Schweizer Volksheldin.
Es ist 2021 und der neue Stern am Schweizer Fussballhimmel heisst Riola Xhemaili. 17 ist die Solothurnerin, aber schon längst eine Überfliegerin. Sie ist Captain beim FC Basel, wechselte zum SC Freiburg in die Bundesliga, und Nationaltrainer Nils Nielsen adelt sie bereits als eine der wichtigsten Nationalspielerinnen, sie ist klare Stammkraft.
Xhemaili dankt mit starken Leistungen zurück. Sie spielt viel in der EM-Qualifikation und auch an der EM in England kommt sie zum Einsatz. Unvergessen bleibt ihr Lattenknaller im Gruppenspiel gegen die Niederlande. Danach schnürt sie in der WM-Qualifikation gegen Moldawien einen Dreierpack. Die Zukunftsaussichten der flexibel einsetzbaren Offensivspielerin sind rosig.
Riola Xhemaili ist das Wunderkind in einer Zeit, als selbst den grössten Experten im Schweizer Frauenfussball die Namen von Iman Beney, Sydney Schertenleib oder Noemi Ivelj noch unbekannt sind. Sie ist das neue Aushängeschild einer goldenen Zukunft. «Ich wurde enorm gehypt», blickt sie zurück. «Das war nicht immer einfach.»
Zunächst geht ihre Karriere steil nach oben, auch wenn sie erst spät mit dem Fussball beginnt. Während ihr Zwillingsbruder Rion beim FC Solothurn kickt, spielt Riola zunächst Volleyball. Erst mit 11 tritt sie ebenfalls dem Klub bei – und sticht bei den Jungs heraus. Von Beginn an ist klar: Dieses Mädchen ist ein grosses Talent. Sie ist technisch beschlagen, hat grosses Spielverständnis und weiss, wo das Tor steht.
Mit 15 kommt das Angebot des FC Basel, ihr Bruder Rion, der mittlerweile beim FC Winterthur im U21-Team in der 1. Liga spielt, folgt ihr. Riola Xhemaili wird Captain, führt das U16-Team des FC Basel sogar als Führungsspielerin auf den Platz.
Als sie in der Nationalliga A der Frauen mit 15 debütiert, trifft sie sogleich. Früh wird sie Captain beim FCB, sie ist eine Leaderin. Aber die Schweizer Liga wird ihr schnell zu klein, sie greift nach den Sternen. Die grosse deutsche Bundesliga ruft, der SC Freiburg. Auch in Deutschland weiss sie rasch zu überzeugen.
Dann aber kommt im Sommer 2023 der Bruch in der Karriere. An der WM in Neuseeland fehlt Xhemaili überraschend im Kader von Inka Grings. Die damalige Nationaltrainerin wird für die Entscheidung, das Toptalent zu Hause zu lassen, kritisiert. In der Schweizer Medienlandschaft wird diskutiert. Viele denken, Xhemaili sei deshalb nicht dabei, weil sie als mögliche Ersatzspielerin für schlechte Stimmung im Team gesorgt hätte. Nach dem Rückschlag in der Nati läuft es für Xhemaili auch bei ihrem neuen Klub nicht nach Wunsch. Beim deutschen Spitzenteam Wolfsburg kommt sie fast nie zum Zug.
Seither sucht Xhemaili ihren Platz im Nationalteam. Auch unter der aktuellen Nationaltrainerin Pia Sundhage findet sie ihren Namen oft nur noch auf der Pikettliste. Erst kurz vor der Europameisterschaft im eigenen Land rückt Riola Xhemaili wieder ins Nati-Camp ein. Dank starker Leistungen in den Niederlanden bei PSV Eindhoven – dorthin wurde sie von Wolfsburg verliehen und inzwischen fix verpflichtet – hat sie auf sich aufmerksam gemacht.
In der holländischen Liga stand sie in jedem Spiel in der Startelf, erzielte dabei in 22 Partien zehn Tore und bereitete sieben weitere Treffer vor. «Für mich persönlich war es eine Hammer-Saison. Ich habe jedes Spiel gemacht, Tore geschossen und Assists geliefert», sagt Xhemaili. «Diese Saison war unglaublich wichtig für mich, um Selbstvertrauen zu tanken.»
Doch die Akzeptanz aus dem Klub fehlt ihr im Nationalteam. Die Beziehung zu Sundhage ist geprägt von einer Hassliebe. Immer wieder gibt es Rückschläge für die 22-Jährige, dennoch weiss auch Sundhage, welche Qualitäten Xhemaili mitbringt. «Sie ist eine Goalskorerin, auch im Training», hat die Nationaltrainerin festgestellt.
Im EM-Eröffnungsspiel steht Xhemaili überraschend dank starker Trainingsleistungen in der Startelf, in der zweiten Partie gegen Island muss sie dann von der Bank zuschauen, wie die Schweizerinnen gewinnen. Und nun ist sie die Heldin im Schweizer Spiel. Captain Lia Wälti beschreibt ihre Mitspielerin so: «Sie hat eine Qualität, die andere nicht haben. Sie kann das Unerwartete machen.»
In den letzten fünf Jahren ist viel passiert bei Riola Xhemaili, auch wenn sie betont, dass sie mit ihren 22 Jahren «noch immer jung» sei. Nicht immer war es einfach für sie, nicht in der Nati, nicht in Wolfsburg. Erst in den Niederlanden, wo die Aufmerksamkeit kleiner wird, blühte sie wieder so richtig auf. Und nun brilliert Riola Xhemaili, das Wunderkind von einst, auch auf der grösstmöglichen Bühne: der Europameisterschaft im eigenen Land.
da bin ich durchs leben geirrt, habe dumme Fehler gemacht und überhaupt mal langsam gelernt, erwachsen zu sein...
Und hatte immer wieder die Chance nochmal anzufangen, weil "dä isch ja no jung" und bekam so die eine oder andere Chance mehr.
Und diese Spielerinnen haben da schon 5+ Jahre Karriere mit schwerwiegenden auf und ab...