Plötzlich Gänsehaut: Die Nati trotzt allen Zweifeln
Um 22.55 Uhr war es geschafft. Wurde das Stade de Genève zum Tollhaus und atmeten Hunderttausende vor dem Fernseher tief durch. Nach einem erkämpften 1:1 gegen Finnland zieht die Schweiz in die K.o.-Phase ein.
Ihr Spiel war weiss Gott nicht fehlerfrei. Tiefpunkt war das rustikale Foul von Viola Calligaris, das zum finnischen Penaltytreffer führte und für das ihr der Holzfällerverband vermutlich den Antrag auf eine Mitgliedschaft zusenden wird.
Der Glaube an den Gipfel
Aber das Schweizer Spiel war abermals eines mit viel Leidenschaft. Eines mit dem Glauben daran, den Gipfel erreichen zu können. Und natürlich hatte die Nati das nötige Wettkampfglück. Ein Tor in der 92. Minute des letzten Gruppenspiels entschied über das Weiterkommen.
Riola Xhemaili stand goldrichtig. Géraldine Reuteler war auch gegen Finnland omnipräsent und bereitete den Ausgleich vor – mit einem Pass, der als Schuss gedacht war. Bei Nadine Riesen war der Name Programm. Lia Wälti dirigierte und biss, handicapiert von einem lädierten Knie, auf die Zähne. Noelle Maritz brillierte mit ihrer Kampfkraft. Und Alisha Lehmann zeigte bei ihrem Kurzeinsatz, dass sie mehr als ein «Maskottchen» dieses Teams ist.
Die Noten der Nati beim 1:1-Unentschieden gegen Finnland
Sundhage zeigt es den Kritikern
Eine grosse Gewinnerin ist vor allem auch Pia Sundhage. Die Trainerin bewies schon wieder, wie beim Sieg gegen Island, ihr glückliches Händchen bei Einwechslungen. Unbeirrbar ging die Schwedin ihren Weg. Wie sich zeigen sollte, war es der richtige.
Fussball ist ein Sport der tausend Emotionen und lebt nicht nur von der spielerischen Klasse. Fast noch mehr lebt er von der Spannung – und die liefert diese Schweizer Auswahl. Sie schreibt gerade ein kleines Sommermärchen, das ein Filmregisseur nicht packender schildern könnte.
Die grosse Chance wurde gepackt
Nach einer miesen Vorbereitung mit dem Abstieg in der Nations League hatte die Nati beim EM-Start kaum Kredit. Aber gerade rechtzeitig, mit dem Anpfiff des Startspiels gegen Norwegen, konnte sie den Hebel umlegen, so wie nach dem verschifften Frühling plötzlich die Sonne dominierte.
Das EM-Fieber hat das Fussball-Land erfasst, nur schon die TV-Einschaltquoten belegen dies. Wenn Spannung drin und ein Nationalteam am Ball ist, spielt die Frage Männlein oder Weiblein keine Rolle.
So bunt, laut und riesig waren die Fanmärsche an der EM
Schon jetzt lässt sich festhalten: Die Chance, die sich dem Frauenfussball bot, dem Sport mit einem Heimturnier zu Aufmerksamkeit zu verhelfen, wurde gepackt. Wie sich diese verwerten lässt, wenn die EM Geschichte sein wird, ist eine Frage für einen anderen Tag, nicht für diesen Moment des grossen Jubels.
Nichts mehr zu verlieren
Nun wartet aller Voraussicht nach Weltmeister Spanien. Auf dem Weg zum WM-Titel liessen die Spanierinnen vor zwei Jahren im Achtelfinal der Schweiz beim 5:1-Sieg nicht den Hauch einer Chance. Gegen dieses Über-Team ist ein Sieg für die Schweiz im Normalfall ein Ding der Unmöglichkeit. Doch selbst wenn es schon vor dem Anpfiff nach einer Durchhalteparole klingt: Jedes Spiel muss zuerst gespielt werden.
Hollywood-Filme über Underdogs, die wider Erwarten erfolgreich sind, enden selten schon im Viertelfinal.
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