Giorgio Chiellini wird das wichtige Spiel in der WM-Qualifikation zwischen Italien und der Schweiz heute Abend (20.45 Uhr) verpassen. Der 37-jährige Verteidiger kämpft mit Adduktorenbeschwerden. Dennoch war er in den letzten Tagen bei der Mannschaft mit dabei und hält mit Kritik nicht zurück:
Tatsächlich war die Belastung für Profifussballer noch selten so gross wie in den letzten rund anderthalb Jahren. Seit nach dem Unterbruch aufgrund der Coronavirus-Pandemie der Spielbetrieb wieder aufgenommen wurde, gab es kaum Pausen. Zuerst wurden die nationalen Meisterschaften, dann die europäischen Wettbewerbe beendet. Wenig später ging es sofort weiter mit den Qualifikationen für Champions League und andere europäische Wettkämpfe, und die Ligen starteten in die neue Saison. Im vergangenen Sommer wurden dann auch noch die EM und die Olympischen Spiele nachgeholt. Und zwischendurch fanden auch noch WM-Qualifikation und Nations League statt.
Pedri vom FC Barcelona hat 2020/21 etwa 71 Spiele absolviert – EM und Olympia inklusive. Nun büsst der 18-jährige Spanier dafür: Seit Ende August hat er wegen muskulären Beschwerden keine Partie mehr gespielt.
Es gibt auch andere Beispiele: Leipzigs Dani Olmo (66 Spiele 2020/21) verpasste den Saisonstart wegen eines Muskelfaserrisses. Chelseas Timo Werner (65 Spiele) fällt derzeit mit einer Zerrung aus. Und auch Haris Seferovic (63 Spiele) hatte diese Saison aufgrund zweier Muskelverletzungen schon 16 Spiele für Benfica verpasst. Der «Mann aus Sursee» wird gegen Italien ebenso fehlen wie Nico Elvedi, Breel Embolo oder Granit Xhaka.
Der Blick auf die aktuellste Verletztenliste der 32 Champions-League-Klubs zeigt vor allem eines: Sie ist lang, sehr lang. 111 Ausfälle sind aktuell laut transfermarkt.ch gemeldet. 40 davon – und damit die am häufigsten auftretende Verletzung – sind Muskelverletzungen, insbesondere im Oberschenkel. Dort sind vorne der Hüftbeuger und hinten die «Hamstrings» grossen Belastungen ausgesetzt.
Eine Folge des dicht gedrängten Spielplans? Möglich. «Bei Müdigkeit und Erschöpfung ist man anfälliger auf muskuläre Verletzungen», bestätigt YB-Mannschaftsarzt Jan Montagne auf Anfrage von watson. In intensiven Phasen bräuchte der Muskelapparat eigentlich mehr Erholung, aber das sei, gerade wenn man europäisch spiele und auch für die Nationalmannschaft aufgeboten ist, nicht immer möglich.
Haben sich denn seit dem Frühsommer 2020 die Verletzungen gehäuft? «Ich habe nicht das Gefühl, dass das so ist», erklärt Montagne. «Ich denke, dass der Herbst generell die intensivste Phase ist. Wir spielen europäisch und haben unter der Woche zwölf zusätzliche Spiele. Diese Drei- oder Viertagesrhythmen sind sehr anstrengend.»
Etwas anders sieht das Simon Storm, Leiter Physiotherapie und Athletik beim FC St.Gallen: «Ich habe schon das Gefühl, dass im Vergleich zu früheren Saisons häufiger Verletzungen auftreten. Beim FC St.Gallen hatten wir vor allem eine Häufung von Bänderverletzungen in den Sprunggelenken, was wir in den Jahren zuvor so nicht beobachtet hatten. Auch bei Muskelverhärtungen und -ermüdungen ist eine leichte Zunahme feststellbar.» Es entspreche einer gewissen Logik, dass solche Sachen häufiger vorkommen, wenn die Spieler müde sind.
In der Schweiz kommt hinzu, dass die Sommerpause wegen der längeren Winterpause deutlich kürzer ist als in den europäischen Topligen. «Nach der letzten intensiven Saison hatten wir diesen Sommer in der Super League drei Wochen Pause. Ich würde sagen, das war das Minimum, das es gebraucht hat», erklärt Storm. Mehr Pause wäre vor allem wünschenswert, damit die Spieler auch mal runterfahren können, ohne sogleich sofort wieder ans Training denken zu müssen.
Zwischendurch eine Pause würde auch Jan Montagne von Schweizer Meister YB begrüssen: «Wir versuchen jeweils während den Nationalmannschaftspausen, auf Erholung zu setzen. Doch weil wir viele Nationalspieler im Kader haben, ist das nicht bei allen möglich.» Ein Problem sei auch, dass wenn mal ein Spieler ausfällt, die Belastung für die Teamkollegen auf der gleichen Position steige und diese dann selbst auch anfälliger auf Blessuren seien.
Mittlerweile hat sich der Spielplan wieder etwas normalisiert, und im Sommer 2022 steht den Spielern wieder einmal eine Pause ohne Grossanlass bevor. Doch gleich danach wird die Belastung wieder steigen: Im November und Dezember 2022 steht dann die WM in Katar an.