Trainingsplatz, Hotel, Büro, Trainingsplatz, Büro, Trainingslager, Hotel, Büro... – der Alltag des Fussballtrainers Urs Fischer ist in den vergangenen Wochen wenig abwechslungsreich verlaufen. Dann aber hat sich am vergangenen Montag endlich ein Zeitfenster aufgetan, und der passionierte Fischer ist ans Wasser gefahren, um zu angeln.
«Ja, das ist ein Hobby von mir. Beim Fischen schalte ich total ab und denke nie an Fussball», erzählt der Zürcher einer staunenden Berliner Medienschar. «Ich war erfolgreich und habe eine Bachforelle gefangen.» Ein etwas forscher Reporter entgegnet, er habe ein Bild davon in der Zeitung gesehen; der Fisch sei doch ziemlich klein gewesen. Und fragt Fischer, ob er mit Union auch so kleine Fische an Land ziehen werde. Gelächter.
Gut 48 Stunden vor seiner grossen Premiere sitzt Urs Fischer bestens gelaunt in der Alten Försterei auf dem Podium. Es ist seine erste Pressekonferenz vor einem Pflichtspiel mit Union Berlin. In diesem Stadion, das mithilfe von Fronarbeit leistenden Fans zu einem Schmuckkästchen ausgebaut wurde und in dem jedes Jahr ein grandioses Weihnachtssingen stattfindet, feiert Fischer am Sonntag seinen Einstand in der zweiten deutschen Bundesliga. Gegner ist der FC Erzgebirge Aue, und das Ziel selbstverständlich der Sieg. «Das wird jedoch schwierig. Ich habe die Auer studiert. Sie sind aufsässig», sagt Fischer.
Nach Rolf Fringer, Martin Andermatt, Hans-Peter Latour, Marcel Koller, Christian Gross, Andy Egli, Lucien Favre, Martin Schmidt, René Weiler und Jeff Saibene ist er der elfte Schweizer Trainer in einer der beiden höchsten deutschen Bundesligen. Sein Vertrag läuft bis 2020.
Der Klub, dessen Hymne «Eisern Union» von Nina Hagen gesungen wird, ist knapp 20 Kilometer südöstlich der Hauptstadt in Köpenick zu Hause. Er startet in seine zehnte Zweitligasaison in Folge und gehört zu einer Gruppe von Klubs, die im Aufstiegsrennen eine Aussenseiterchance haben. Allerdings nur, was den Relegationsplatz (Barrage) anbelangt. Denn für die meisten Experten ist es sonnenklar: Die beiden Bundesliga-Absteiger HSV und Köln werden auf direktem Weg ins Oberhaus zurückkehren.
Bei Union gibt man sich betont zurückhaltend. Fischer sagt: «Wir wollen uns sportlich stabilisieren und wir wollen uns in der Tabelle verbessern.» Und ergänzt mit Schalk: «Dann haben wir eine schöne Bachforelle …»
Nach einer verpfuschten Saison, vor der Präsident Dirk Zingler vollmundig den Aufstieg als Ziel ausgegeben hatte, am Ende aber nach einem Schlussspurt auf den achten Rang froh über den Klassenerhalt sein musste, hat Union in diesem Sommer einen Umbruch erlebt. Ein neuer Trainerstaff, Änderungen im Management und sieben Zu- und sieben Abgänge beim Spielerkader sorgen dafür, dass man noch nicht so genau weiss, wo man steht und was die Saison bringen wird. Eine Zeitung hat geschrieben, Union sei eine Wundertüte.
Fischer wird gefragt, ob er nervös sei. «Wenn ich einmal nicht mehr nervös oder angespannt bin, dann höre ich sofort auf», antwortet der Schweizer. «Aber Medikamente brauche ich keine.» Nach sechs Wochen Vorbereitung freue er sich, dass es nun endlich losgehe.
Und dann braucht Fischer ein Wort, das in der Schweiz bei jeder Pressekonferenz von ihm zu hören und irgendwann irgendwie kultig war: «Irgendwo.» Er sagt: «Vorbereitungsspiele sagen schon irgendwo etwas aus, aber wo genau die Mannschaft steht, weiss man als Trainer dennoch nicht.» Von den sechs Testspielen haben die «Eisernen» nur eines verloren; das letzte vor einer Woche in London mit 0:3 gegen den englischen Zweitligisten Queens Park Rangers. «Vielleicht war es ein Dämpfer zur rechten Zeit», sagt Fischer. Seit seinen zwei Jahren beim FC Basel ist er sich zwar eine breite Anhängerschaft gewohnt. Dass aber gleich 1500 Union-Fans zu einer Testpartie nach England reisen, ist auch für ihn etwas Besonderes. Auch das Spiel gegen Aue wird mit 22'000 Zuschauern ausverkauft sein. In der letzten Spielzeit kamen bei einer Auslastung von 96,6 Prozent im Schnitt 21'267 Fans. Mit 9500 verkauften Dauerkarten stellte Union 2017/18 einen Klubrekord auf.
Die Erwartungen sind hoch, Fischer ist gefordert. Doch das eine Jahr Pause nach dem schmerzhaften Abgang beim FCB hat ihm gutgetan. Er konnte die Batterien wieder aufladen, hospitierte bei Mönchengladbach und ist bereit für sein erstes Engagement im Ausland.
Als Assistenten hat er den Österreicher Markus Hoffmann dabei, mit dem er schon beim FCB zusammengearbeitet hat. Und eigentlich war auch vorgesehen, dass ihn, wie in Basel, Fitnesstrainer Werner Leuthard unterstützt. Doch der Deutsche hat nun bei Eintracht Frankfurt unterschrieben. Nichtsdestotrotz ist Fischer vor dem Saisonstart hochzufrieden. «Wenn ich nichts Negatives sage, heisst es zwar, ich sei zu positiv», sagt der 52-Jährige, «aber ich habe wirklich den Eindruck, dass hier alle mitziehen.»
Auch umgekehrt gibt es Lob. Sportchef Oliver Ruhnert beschreibt Fischer als «klar, diszipliniert und konsequent». Captain Christoph Trimmel sagt: «Der Trainer erkennt sofort die Schwächen jedes Einzelnen und versucht, direkt dort anzusetzen.»
Es lässt sich schon sagen, Fischers «Abenteuer» Union Berlin habe sich gut angelassen. Mit ihm sei eine gehörige Portion Bodenständigkeit in die Alte Försterei gekommen», hat das «Berliner Abendblatt» geschrieben. Beim Testspiel gegen Bordeaux haben die Fans den Trainer gefeiert und «Fischer, Fussballgott!» gerufen. «Es geht mir gut», sagt Fischer am Freitagmittag. Der FC Basel und dessen Probleme sind weit weg.
Was habt ihr denn geraucht? Das ist Berlin, Köpenick ist doch kein Vorort. Nie Bahnwärter Thiel gelesen? 😜