Nach der WM in Russland musste man das Schlimmste befürchten. Frankreich hat sich mit neuem Pragmatismus zum zweiten Weltmeistertitel gespielt. Hinten dichtmachen, Ball erobern, Tempo-Gegenstoss, Tor – so sah das oft aus, wenn die Franzosen spielten. Sicherheit als oberste Maxime. Die Furcht vor dem Schreckgespenst «Catenaccio» machte die Runde.
Wir können aufatmen. Es kam anders. Die Équipe Tricolore war nicht stilprägend für den europäischen Klubfussball. Im Halbfinal der Champions League stehen mit Ajax Amsterdam, Barcelona, Liverpool und Tottenham vier Mannschaften, die dominant spielen wollen, sich der Attraktivität verpflichtet sehen, dem Spiel, der Freude. Das liegt an ihren Trainern, ihren Spielern, vor allem aber daran, dass sie Fehler nicht fürchten.
In extremis qualifizierte sich Tottenham für die K.-o-Phase der Königsklasse (nach zwei Pleiten gegen Barça und Inter). Dort kegelten die Spurs Dortmund und Manchester City raus. Beim Hinspielsieg (1:0) gegen den Ligakonkurrenten aber verletzte sich Superstar Harry Kane (Bänderriss). Tottenhams Chancen schrumpften.
Aber dann kam dieses Wahnsinnsspiel. Trotz 3:4-Pleite und dank dem Videoschiedsrichter und einem verrückten Wechsel (Trainer Mauricio Pochettino brachte vor der Pause Stürmer Llorente für Abräumer Sissoko) setzten sich die Spurs durch. Erstmals seit 1962 schafften sie den Sprung in den Halbfinal der Königsklasse.
Der Mut, den eigenen Weg zu gehen, das zeichnet dieses Team aus. Weder im Sommer noch im Winter hat Tottenham einen Transfer getätigt. Natürlich auch, weil man für über eine Milliarde Franken ein neues Stadion baute. Aber auch weil man auf Trainer Mauricio Pochettino vertraut. Auf sein Talent, Spieler zu entwickeln. Spieler wie Harry Kane, der aus dem eigenen Nachwuchs kam und heute einer der wertvollsten Spieler der Welt ist (Marktwert 150 Millionen Euro). Und jetzt, einen Tag vor dem Spiel gegen Ajax, sagt Pochettino: «Wenn wir gewinnen und in den Final einziehen, könnte es reichen für ihn.»
Die Mannschaft der Herzen, der Aussenseiter, das Team, das die Gesetze des Geldes ausser Kraft gesetzt hat. «Man kann einen reicheren Verein nicht besiegen? Ich habe noch nie gesehen, dass eine Tasche voller Geld Tore schiesst», hat Ajax-Legende Johan Cruyff einst gesagt. Die Amsterdamer haben sich die Worte ihres Übervaters zu Herzen genommen. Im Achtelfinal wirbelten sie das Weisse Ballett (Real Madrid) durcheinander, im Viertelfinal stolperte die Alte Dame (Juventus Turin).
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— UEFA Champions League (@ChampionsLeague) April 23, 2019
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Der Halbfinaleinzug von Ajax – ein Fussball-Märchen. Erstmals seit 2005 und dem PSV Eindhoven hat es wieder eine Mannschaft unter die letzten vier geschafft, die nicht aus einer der grossen fünf Ligen Europas kommt. Mit Talent, Selbstvertrauen, Liebe zum Spiel und einer gehörigen Portion Mut. Den propagiert Trainer Erik ten Hag seit seiner Ankunft vor anderthalb Jahren.
Unermüdlich soll sein Team nach vorne gehen, die Tiefe suchen, kombinieren. Dabei vertraut er nicht nur auf Routiniers wie Abwehrboss Daley Blind, 29, oder Topstürmer Dusan Tadic, 30, sondern vor allem auch auf Talente aus dem eigenen Nachwuchs. Captain Matthijs de Ligt, 19, zum Beispiel. Oder Regisseur Frenkie de Jong, 21. Ten Hag hat eine Wundermannschaft geformt, aber die Millionen der Grossklubs reissen sie im Sommer auseinander
Natürlich dürstet Liverpool nach dem Triumph in der Königsklasse. 1:3 verloren die Reds letztes Jahr im Final gegen Real Madrid. Der Schmerz von Stürmer Mohamed Salah nach einem Ringkampf mit Real-Verteidiger Sergio Ramos ist unvergessen, genauso wie die Patzer von Goalie Loris Karius.
Man möchte wieder jubeln, wie damals, 2005, als man die AC Milan trotz 0:3-Rückstand noch bezwang. Aber noch viel mehr als nach der Krone des europäischen Klubfussballs sehnen sich die Fans nach dem ersten Meistertitel seit 1990. Nur ein Punkt liegt Jürgen Klopps Team hinter Manchester City. Aber es droht dabei zu bleiben und Liverpool könnte mit 97 Punkten aus 38 Spielen leer ausgehen. Und im Halbfinal gehts ausgerechnet gegen Topfavorit Barcelona.
Aber wer, wenn nicht Motivator Klopp, sollte eine solche Aufgabe meistern? Ihm ist es zuzutrauen, dass er den Roten Riesen aufrichtet, auch wenn er in der Meisterschaft scheitern sollte. Nach zwei verlorenen Champions-League-Finals (mit Dortmund scheiterte er 2013 an Bayern, mit Liverpool an Real), will er den Endspiel-Fluch bezwingen. Das spielerische Potenzial hat sein Team.
Ungeschlagen sind die Katalanen bisher in der Königsklasse, sie sind der grosse Favorit. Vor allem dank Lionel Messi. Der Argentinier präsentiert sich in der aktuellen Saison in Bestform. In wettbewerbsübergreifend 45 Spielen hat er 46 Tore erzielt und 22 vorbereitet. Er hat damit annähernd gleich gute Werte wie in der Saison 14/15 als Barcelona letztmals die Champions League gewann (damals erzielte er 58 Tore in 57 Spielen und bereitete deren 28 vor).
Das liegt zum einen daran, dass er – bis auf den Armbruch Ende Oktober – von Verletzungen verschont blieb, zum anderen an der Chemie zwischen dem Superstar und Trainer Ernesto Valverde. Messi habe sich mit keinem anderen Trainer so gut verstanden wie mit Valverde, heisst es bei Barça. Valverde lobt Messi: «Er verkörpert unseren Stil.»
Den Stil, den ihm Johan Cruyff eingetrichtert hat. Valverde spielte einst unter dem Holländer. Er hat die Philosophie dieses Klubs aus erster Hand gelehrt bekommen. Schnelle Passfolgen, tödliche Zuspiele in die Tiefe, viel Ballbesitz – bis heute ist «La Masia», Barcelonas Talentschmiede, davon geprägt. Und genau dort kommt Messi her. Dort wird geübt und nochmals geübt. Denn es gibt kein effektiveres Mittel gegen die Angst, Fehler zu machen, als Automatismen.
Bezahlen an sich ist ja ok. Alles kostet heutzutage. Aber ich will nicht für Hockey ein Abo von Mysports, für CL eines vom Teleclub etc. Ich will einfach TV-Sport sehen. Das muss bald mal einfacher werden. Sonst geht der Schuss irgendwann mal nach hinten los. Ich habe jedefalls noch nie so wenige CL-Spiele geschaut, wie diese Saison.