Es ist kurz vor seinem 19. Geburtstag. Breel Embolo sitzt in jener Bar, in der Spieler des FC Basel für gewöhnlich Interviews geben. Der Shooting-Star des Schweizer Fussballs spricht über sich, seine Laster und Leidenschaften. Embolo offenbart einen Schuh- und Jacken-Tick, tritt in ein Fettnäpfchen, als er nicht den Autosponsor des Vereins als seine Lieblingsmarke bezeichnet. Alles halb so wild. Embolo ist jung, sagt, was er denkt. Es sei verziehen.
Es ist kurz vor der Geburt seines zweiten Kindes, Clay Enzo, als Breel Embolo zum Gespräch in Gladbach empfängt. 20 Minuten habe er Zeit, kein bisschen mehr. Dann sei Training, so die Anweisung der Medienchefin. Nach 45 Minuten schaut Embolo auf sein Handy. Er hat sich verquatscht, den Trainingsstart verpasst. Er rennt davon, sich entschuldigend. Einen Rüffel hat’s gegeben, mehr nicht. Es sei verziehen.
Die beiden Episoden zeigen die Schwere an Problemen, die Embolo bis dato als Fussballer verursacht hat. Im Klartext: Seine Fehlerchen sind überschaubar, er ist ein aufrichtiger, herzlicher Mensch. Und er ist jung. Immer noch. 24-jährig wurde er erst gerade. Etwas, was man sich immer wieder vor Augen führen muss. Ja, auch seinen Führerschein musste er einmal abgeben. Es gibt Schlimmeres. Auch das sei verziehen. Aber Skandale? Davon war der wohlerzogene Embolo immer weit weg.
Aber Breel Embolo ist erwachsen geworden. Und so sind es auch seine Probleme. Kurz vor seinem 24. Geburtstag ereignet sich die Geschichte, die ihn wohl noch einige Zeit verfolgen dürfte. Es ist eine Geschichte mit zwei Auslegungen. Derweil Embolo beteuert, nach einem Spiel nur Basketball bei einem Freund geschaut zu haben, kursiert die Version, dass er sich nach einer Party in einer Badewanne versteckt hatte. Die Wahrheit? Kennt nur Embolo.
Er entschuldigte sich auf den sozialen Medien. Er wisse um seinen Fehler in diesen Zeiten, in denen auch ein Fernsehabend bei einem Freund einen Verstoss gegen die Coronaregeln im strikten Deutschland darstellen würden. Sein Verein Borussia Mönchengladbach brummt ihm zwar ein sattes Bussgeld auf, nimmt ihn aber stets in Schutz. Auch, weil Breel Embolo der Mensch ist, der er ist.
Ein Spiel wurde er zur Strafe aus dem Kader gestrichen. Seither gehört er wieder dazu. Doch befreit wirkt Embolo nicht. Aus seinem Umfeld ist zwar zu hören, dass er sich vom anfänglichen Schock über die hohen Wellen seiner Geschichte erholt habe. Und doch stellt sich die Frage: Wie geht es Breel Embolo wirklich?
Der 24-Jährige schweigt. Interviewanfragen für ihn werden konsequent abgelehnt. Sein Umfeld schweigt seit geraumer Zeit ebenfalls. Doch wäre es gerade in diesen Zeiten spannend, zu wissen, wie es dem Menschen Embolo geht. Einem noch immer jungen Mann, dessen Schritte seit seinem 16. Lebensjahr ganz genau beobachtet werden. Einem jungen Talent, das sich selbst einst als Glückskind beschrieb, «weil ich kaum je verletzt war», aber jetzt längst auch die Schattenseiten kennt.
Sein einstiger Teamkollege Fabian Frei sprach einmal von einer «Traumwelt», in der Embolo lebe. «Ich hoffe, er kann davon zehren, wenn es weniger gut läuft.» Es war kurz vor der Erfüllung von Embolos grossem Traum, dem Schritt in die Bundesliga. Dem FC Basel und vor allem der Super League war der junge Spieler damals längst entwachsen. Die Verantwortlichen erkannten, dass er wechseln muss, um wieder alles aus sich herausholen zu können. Das war im Sommer 2016.
Schalke ist seine neue Traumwelt. Doch sie verkommt schnell zum Albtraum. Schien- und Wadenbeinbruch, das Syndesmoseband kapputtgetreten. Gerade dann, als es endlich zu laufen beginnt. Es ist Embolos erster wirklicher Rückschlag in seiner Karriere, verbunden mit der Frage: Wie kommt er, der als seine positivste Eigenschaft stets seine immer vorhandene gute Laune nennt, aus diesem ihm unbekannten Gefühl der Tiefe wieder raus?
Die Folgen sind allen bekannt. Embolo schafft es zurück, aber später und mit mehr Mühe als gedacht. Und mit immer wiederkehrenden physischen Problemen. Seither hat das Glückskind an Unbeschwertheit verloren. Wenn er spricht, ist da zwar noch immer sein Schalk, gerade wenn es um seine Kinder geht. Aber Embolo wirkt reifer, reflektierter, weniger überschwänglich. Die Verletzung, sie war ein erster Scheideweg für ihn.
Ebenso wie sein Wechsel zu Gladbach einer war. Embolo liess Schalke und das Pech hinter sich, wollte einen Neuanfang. Er gelang. Auf dem Platz war er wieder er: befreit, wild, scheinbar glücklich. Und vor allem: gesund. Seit seinem Abgang beim FC Basel war er nie mehr so im Flow. Embolo spielte, traf, legte auf. Das Glückskind schien wieder zurück in seiner Traumwelt. Auch, weil privat alles passte. Embolo wird bereits im jungen Alter von 22 zum zweiten Mal Papa, mit Naomi hat er seine Traumfrau gefunden.
Doch wie lange hat das Glück angedauert? Im Herbst des vergangenen Jahres löscht sie ihr Profil auf Instagram. Um die Familie, die ihr Glück oft so offenherzig zeigte, wird es plötzlich still. Seit Anfang dieser Woche hat sie ihren Account wieder aufgeschaltet. Derweil hat Embolo die gemeinsamen Paarbilder von seinem Profil entfernt.
Wie es Breel Embolo und seiner Familie geht, wissen nur seine engsten Vertrauten. Klar ist nur, dass er neuerlich am Scheideweg steht. In seine vielleicht erfolgreichste Phase in der Bundesliga, in der er bei Gladbach gar zum dritten Captain aufgestiegen ist, fällt diese berühmte Nacht im Januar. Vielleicht waren es nur die Flausen eines jungen Mannes, der ein Ventil brauchte, weil er nicht mehr so traumtänzerisch durch die Welt gehen kann wie einst.
Vielleicht gehört es in seinen Reifeprozess, auch mal wirklich dumme Sachen zu machen, nachdem er so lange der Vorzeige-Youngster des Landes war. Das Gefühl, ein Sündenbock zu sein, ist jedenfalls neu für ihn. Und es dürfte ihn treffen. Weil Breel Embolo ein Mensch ist, der sich vieles vornimmt und nicht gerne enttäuscht.
Und jetzt also dieses Tor gegen Bulgarien. Dazu blitzten in manchen Momenten die embolo'sche Leichtigkeit und der Schalk von früher auf. Vielleicht wird man später einmal auf diese Nacht von Sofia zurückblicken und sagen: Sie war der Auslöser für die erneute Wende zum Guten in der Geschichte des Breel Embolo. Es wäre ihm zu wünschen.