Benjamin Kololli trainiert allein. Abseits der Mannschaft macht er vergangene Woche auf einen Nebenplatz Spezialübungen. Der 26-Jährige trippelt auf Anweisung eines Co-Trainers durch eine Koordinationsleiter, macht kurze Sprints oder Richtungswechsel mit dem Ball. Auch wenn diesmal ein Hämatom im Fussknochen der Grund für das Einzeltraining ist, passt die Symbolik. Denn Benjamin Kololli ist anders als die meisten seiner Kollegen. «Fussball ist teilweise auch ein Individualsport im Kollektiv», sagt er.
Sowieso sagt der Flügelstürmer, der im Sommer von Absteiger Lausanne zum FC Zürich wechselte, gerne was er denkt. Ehrlich und direkt: «Im Fussball fehlen Leute, die offen ihre Meinung sagen. Nur so kommst du weiter.»
Aussenverteidiger spielen? Für Kololli zumindest über einen längeren Zeitraum undenkbar. Bernhard Challandes kann als Nati-Trainer des Kosovo ein Lied davon singen. Denn in einem Land, wo die Offensive traditionell grossgeschrieben wird, mangelt es an guten Verteidigern. Also schob er Kololli eine Position nach hinten und die Diskussionen gingen los. Das Resultat: Challandes musste den uneinsichtigen Spieler auf die Tribüne setzen. «In jeder Beziehung gibt es Meinungsverschiedenheiten. Mit dem Partner, mit den Eltern, mit den Geschwistern. Auch mit den Trainern bin ich nicht immer gleicher Ansicht», sagt Kololli. Solange der Respekt da ist, sei das kein Problem.
Probleme gibt es dafür, wenn sich Kololli ungerecht behandelt fühlt. «Dann kann mein Temperament auch einmal überschäumen. Mein Kopf funktioniert so. Ich muss glücklich sein, um mich zu entwickeln, und das bin ich nur, wenn ich spiele.»
Wenn die Trainer nicht auf ihn setzen, schaut er sich nach einem neuen Verein um. Als er mit 17 nicht den Sprung zum Nachwuchs des FC Sion schafft, wirft er den Bettel hin. Statt zum Fussball geht er zum Thai-Boxen. Doch als sich der Kampfsportverein nach drei Monaten auflöst, juckt es Kololli wieder in den Füssen.
Drei Jahre später bekommt er doch noch ein Angebot von Sions U21. Bei den Wallisern feiert er auch sein Profi-Debüt in der Super League. Es folgen die Stationen Le Mont, Biel, eine kurze glücklose Episode bei YB und schliesslich Lausanne: «Meine beste Entscheidung.» Dort reift der Waadtländer zum Leistungsträger.
Die «weitere wichtige Entscheidung», der Wechsel zum FCZ, wird dadurch ermöglicht. Seit Sommer wohnt er mit Freundin Tina und Hund Leto in der grössten Stadt der Schweiz. In Zürich fällt Kololli in dieser Saison mit 13 Toren und 8 Assists vor allem sportlich auf. Aber auch neben dem Platz gibt es Schlagzeilen. Beim Europa-League-Auswärtsspiel im zypriotischen Larnaka springt er beim Torjubel versehentlich in einen drei Meter tiefen Graben: «Meine Freunde sagten mir: ‹Benji, so was kannst nur du machen.› Weil ich mich glücklicherweise nicht verletzt habe, war das im Nachhinein aber sehr lustig.»
Gegen Napoli lupft er einen Penalty frech in die Mitte. Dieser Panenka-Elfmeter ist zwar nur das späte 1:3. Trotzdem jubelt Kololli ausgelassen über den Ehrentreffer. «Ich lebe das Spiel anders. Die Wut über die Niederlage musste raus», sagt er.
Trotz aller Nebenschauplätze und Diskussionen steht sein aktueller Trainer Ludovic Magnin voll hinter seinem Schützling. Denn er erinnert ihn an sein früheres Ich: «Benjamin hat etwas Verrücktes. Er hat einen klaren, manchmal harten Kopf, und er scheut sich nicht davor, Verantwortung zu tragen», sagt er.
In den letzten fünf Spielen ohne Kololli hat der FCZ nur einen Punkt geholt. Kein Wunder, denn der Flügelstürmer ist an 36 Prozent aller FCZ-Tore beteiligt. Für den Cup-Halbfinal ist Kololli deswegen ein Ass im Ärmel der Zürcher. Bei der 0:3-Niederlage gegen Lugano wurde er am vergangenen Wochenende in der Schlussphase bereits eingewechselt, um sich nach seiner Verletzung an die Wettkampfintensität zu gewöhnen. Gegen den FC Basel könnte seine Anwesenheit auf dem Platz den Unterschied ausmachen.
Als der FCZ im letzten Jahr den Schweizer Cup gewann, war Kololli noch nicht dabei. Jetzt muss er sich in der Garderobe immer wieder anhören, wie schön dieses Erlebnis, dieser Titelgewinn war. Deswegen ist der Sommer-Neuzugang besonders motiviert: «Ich habe noch nie einen Titel gewonnen, deswegen wäre die Verteidigung des Cupsieges unglaublich.»
Auch in der Nations League ist Kololli mit dem Kosovo noch zwei Spiele von einem Titel entfernt. Als Meister der Gruppe D könnte sich das 1,8-Millionen-Einwohner-Land auch noch für die EM 2020 qualifizieren. Kolollis dunkelbraune Augen funkeln schon heute fast so wie seine beiden Glitzer-Ohrringe, wenn er erzählt, wie sehr er sich wünscht, seine Heimat an einer EM zu vertreten und natürlich ein eigenes Panini-Sammelbild zu besitzen.
Ob er das zur Not auch als Aussenverteidiger mitmachen würde? «Bernhard Challandes wird mich als Offensivspieler aufbieten.» Falls nicht, dreht Benjamin Kololli womöglich wieder irgendwo alleine seine Runden.